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Dienstag, 06.07.2010

Spiegel.de-Interview: Aiman Mazyek über Jugendliche, die in Hannover eine jüdische Tanzgruppe attackierten

SPIEGEL ONLINE: Herr Mazyek, in Hannover haben Jugendliche - die meisten von ihnen mit muslimischem Hintergrund - auf einem Fest der Liberalen Jüdischen Gemeinde eine Tanzgruppe mit Steinen angegriffen, antisemitische Parolen gerufen. Eine Tänzerin wurde verletzt. Hat Sie der Vorfall schockiert?

Mazyek: Das ist ein schrecklicher Vorfall, den wir auf das Schärfste verurteilen. Es muss alles getan werden, um die Täter zu finden und zu bestrafen. Aber der Fall darf nicht unnötig religiös oder politisch aufgeladen werden. Die Mehrheit der Muslime weiß, dass Antisemitismus keinen Platz im Islam hat. Niemand hat klammheimliche Freude geäußert. Ich würde mich sehr freuen, wenn die jüdische Gemeinde in Hannover das Fest im nächsten Jahr noch einmal begeht. Es wäre mir eine Ehre, daran teilzunehmen. Wir alle dürfen uns von solchen abscheulichen Taten nicht entmutigen lassen.

SPIEGEL ONLINE: Die Tatverdächtigen waren zum Teil Kinder, einer soll neun, der andere elf Jahre alt sein. Woher kommt dieser Hass auf Juden?

Mazyek: Keine Gesellschaft ist vor Rassismus und Antisemitismus gefeit. Oft sind es Gruppen, die sich ausgegrenzt fühlen und dann aus diesem Gefühl andere diskriminieren. Dieses Phänomen ist bekannt, und wir müssen es ernst nehmen, ohne dass wir die Taten entschuldigen. In Schulen muss Bildungsarbeit stattfinden und religiöse Aufklärung darüber, wie der Islam zu anderen Religionen steht. Nämlich, dass der friedliche Dialog mit den anderen Religionen im Islam angelegt ist - und dies sagen wir nicht aus"political correctness".

SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielt der Nahostkonflikt für solche Übergriffe?

Mazyek: Der Nahostkonflikt ist ein politischer Konflikt. Alle, die da Religion mit ins Spiel bringen wollen, gießen Öl ins Feuer. Wir als Zentralrat der Muslime haben daran kein Interesse. Wir haben ein existentielles Interesse daran, mit jüdischen Bürgern in Frieden zu leben.

SPIEGEL ONLINE: Was tun muslimische Verbände gegen Antisemitismus bei muslimischen Jugendlichen?

Mazyek: Ich wehre mich gegen monokausale Zuschreibungen, dass das alleine die Aufgabe der Religionsgemeinschaft ist. Ein Mix macht es aus. Elternhaus, Moschee, Schule und Gesellschaft. Jugendliche, die gewalttätig und antisemitisch sind, sind in den allermeisten Fällen überhaupt keine aktiven Gemeindemitglieder. Der Kampf gegen Antisemitismus muss in Elternhaus und Schule beginnen. Wir rufen in Fortbildungsseminaren mit Imamen und Moscheevorstehern immer wieder dazu auf, von den Aussagen im Koran Gebrauch zu machen, der ganz deutlich Rassismus verbietet und verabscheut.

SPIEGEL: Müssen sich muslimische Verbände in Deutschland stärker mit Juden solidarisieren?

Mazyek: Sie rennen da bei mir offene Türen ein. Wir sollten uns stets mit jenen solidarisieren - seien es Juden, Christen, Muslime oder Atheisten -, die Leid oder Unrecht erfahren haben.

SPIEGEL ONLINE: Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen erklärte, einen solchen Vorfall habe es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Hat der Angriff eine neue Qualität?

Mazyek: Wir müssen aufpassen, dass wir mit solchen Aussagen nicht die Täter aufwerten. Nochmals: Ich werbe dafür, den Angriff nicht unnötig noch weiter politisch aufzuladen und hoffe, dass uns trotz aller Aufregung die Besonnenheit nicht abhanden kommt. Wir müssen den Blick für die Ursachenbekämpfung schärfen.

SPIEGEL ONLINE: Jüngst ergab eine Studie, dass die Gewaltbereitschaft bei Muslimen mit zunehmender Religiosität steigt. Was hat der Islam mit dem Angriff zu tun?

Mazyek: Die Ergebnisse der Studie selbst stellen da keine direkte Verbindung her. Wie auch? Denn je intensiver ein Muslim sich mit seinem Glauben beschäftigt, desto toleranter ist auch seine Haltung zu anderen Religionsgemeinschaften. Mit dem Wissen über den Islam steigt die Mäßigung und Toleranz und nicht umgekehrt.

Das Interview führte Anna Reimann vom 26.06.10, mit freundlicger Genehmigung der Redaktion



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