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Mittwoch, 21.04.2010
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Islamonline in der Krise - Youssef al-Qaradawi stellt sich hinter Redaktion und wird seines Amtes enthoben„Es geht um redaktionelle Unabhängigkeit und Medienethik“ – Redaktion hat Angst vor der Beschlagnahmung durch erzkonservative Geldgeber(qantara.de)Noch Anfang März galt islamonline.net als eine der erfolgreichsten Webseiten im Nahen Osten. Jetzt ist ein Machtkampf zwischen der Redaktion und den orthodox islamistischen Geldgebern in Katar ausgebrochen. Alfred Hackensberger berichtet.Die 120.000 Leser, die islamonline.net sonst täglich anklickten, dürften sich sehr gewundert haben, als auf ihrer bevorzugten Webseite nichts mehr funktionierte. Tag für Tag dieselben Nachrichten und die immergleiche Fehlermeldung: "Probieren Sie es noch einmal!" Die gesamte Belegschaft der rund 350 Mitarbeiter protestierte seit dem 15. März mit einem Sit-in im Bürogebäude westlich von Kairo. Der Besitzer von IOL, die Al-Balagh Cultural Society in Katar, hatte die Seite angeblich aus Kostengründen auf einen kleineren, aber auch langsameren Server transferiert und die Passwörter ausgetauscht. "Zugang verweigert", hieß es für die Redaktion in Kairo, die man damit aus ihrer eigenen Zeitung aussperrte. Gerne hätte man weiter berichtet, "gerade über die damaligen israelischen Bombenagriffe auf Gaza", wie einige Mitarbeiter versicherten. Gleichzeitig hätte man natürlich auch über die eigene Sache informiert. Damit mussten sie nun auf Twitter, YouTube, LiveStreams und einen eigenen, neuen Blog ausweichen, was publizistisch nicht minder erfolgreich war: arabische Medien berichten ausführlich über den Streik und seine Hintergründe. Rote Rosen und moralischer Sittenverfall Die Blockade der Hardware steht sinnbildlich für den Konflikt zwischen Kairoer Redaktion und Finanziers in Katar. Es geht um unterschiedliche ideologische Positionen. Die Redaktion will, nach eigenen Angaben, weiter "einen pluralistischen und moderaten Islam" präsentieren, während man in Katar eine erzkonservative Linie bevorzugt. Bestes Beispiel dieser Diskrepanz ist der Zwischenfall, der zur Eskalation der ganzen Sache führte. Nachdem Katar den Vorstand der ägyptischen Firma im Januar umbesetzt hatte, war es mehrfach zu Querelen mit der Redaktion um die Inhalte von Artikeln gekommen. "Das war das erste Mal", erklärte Bibi-Aisha Wadvalla, die aus Südafrika stammende Chefin vom Radio IOL, "dass ein Vorstand in redaktionelle Entscheidungen eingegriffen habe". Im Februar wollte die IOL-Redaktion dann einen Text zum St. Valentinstag am 14. Februar von einer lokalen ägyptischen Tageszeitung übernehmen, wie sich Abu Hattab, ein IOL-Redakteur erinnert. "Der Vorstand lehnte das jedoch strikt ab". Ein Vorgang, der für wertkonservative Muslimen durchaus nicht ungewöhnlich erscheinen mag. Der "Tag der Liebe", wie er im Westen apostrophiert wird, ist für sie unmoralisch. So ist der Verkauf von roten Rosen in Saudi-Arabien, dem Land der heiligsten Stätten des Islams, um den Valentinstag verboten; das "sittenwidrige" Grünzeug wird von der Religionspolizei beschlagnahmt, sofern man sie dessen habhaft wird. Ein willkommener Anlass Als die IOL-Redaktion aber nicht nachgeben wollte, kam der Bescheid aus Katar, dass alle Arbeitsverträge in Kairo zum 31. März auslaufen würden. Zugesichert wurden den Mitarbeitern eine Abfindung von sechs Monatsgehältern, sowie je Jahr Betriebszugehörigkeit ein weiteres Gehalt. Der Valentinsprotest, so glaubt IOL-Redakteur Abu Hattab, sei nur ein willkommener Anlass gewesen. "Sie wollten, dass niemand bleibt und waren ganz zufrieden, falls alle 300 Beschäftigten aufhörten". Für ihn steht fest, in Katar wollte man aus IOL gezielt eine ganz und gar religiöse Webseite machen. Mittlerweile gibt es wieder neue Nachrichten auf Islamonline.net, aktuelles über Indonesien, Pakistan oder Jerusalem. Aber bei einigen Themen gibt es immer noch Fehlermeldungen und gerade bei den Rubriken, die das Onlinemagazin so beliebt machten, tut sich nach wie vor nichts. Bei "Frag den Experten" oder dem "Cyber Ratgeber" gehen die letzten Eintragungen auf Ende Februar zurück. Normal gibt es täglich Anfragen und Antworten. Moderner Dschihad, modernes Bestreben Rückendeckung bekamen die Mitarbeiter von Scheich Youssef al-Qaradawi, der aus der TV-Sendung "Scharia und Leben" auf Al Jazeera bekannt ist. Der ägyptische Geistliche gehörte 1997 zu den Gründern von IOL. Mit finanzieller Hilfe von Sheika Mozah, der Frau des regierenden Emirs von Katar, übernahm die Al-Balagh Cultural Society ein Studentencomputerprojekt der Universität, aus dem sich schließlich die Webseite entwickelte. "Dieses Projekt ist weder nationalistisch noch für irgendeine Gruppe bestimmt", sagte der islamische Gelehrte al-Qaradawi damals. "Es ist ein Projekt für die gesamte islamische Gemeinde. Es ist der Dschihad unserer Epoche." Mit anderen Worten: eine zeitgemäße Werbung für den Islam. Aus dem Missionsgedanken entstand jedoch ein Portal, vergleichsweise wenig dogmatisch, das am Austausch unterschiedlicher Meinungen interessiert war und auch Tabuthemen wie Pornographie oder Homosexualität aufgriff. Im Rahmen des konservativen Mainstreams etwas Besonders. Wer ist der Chef im Haus? Aus der Unterstützung Youssef al-Qaradawis wurde jedoch nichts. Er wollte mit den IOL-Beschäftigten verhandeln und eine Lösung finden. Kurz vor seiner Abreise nach Kairo setzte man den Scheich kurzerhand als Vorsitzenden der Al-Balagh Cultural Society ab. Letztendlich ein Affront für den 84-Jährigen, der bisher über 80 Bücher veröffentlicht hat und, trotz seiner oftmals umstrittenen Erklärungen und Fatwas, einer der einflussreichsten islamischen Gelehrten ist. Ein Schritt, mit dem Katar unmissverständlich deutlich wollte, wer der Chef im Hause ist. Allerdings mit wenig Wirkung. Die IOL-Mitarbeiter setzten ihre Sit-ins im Bürogebäude fort und kämpften weiter für ihre Interessen. Auflehnung gegen Autorität und ziviler Ungehorsam: Etwas, an das man in den meisten arabischen Ländern, gerade in der Golfregion der Emire und Könige, nicht gewohnt ist. Widerstand und juristischer Protest Das anfängliche Angebot einer Abfindung, uneingeschränkt für alle, wurde von Katar wieder zurückgezogen, danach dennoch vertraglich fixiert, aber bis heute nicht erfüllt. Eine emotionale Achterbahnfahrt für die etwa 350 IOL-Angestellten, bei denen es allen um die Existenz geht. Anscheinend setzte man in Katar auf die Devise: Wenn es ums Geld geht, dann hat die Solidarität bald ein Ende. "Aber hier geht es nicht ums Geld", wie Abu Hattab, der IOL-Redakteur versichert. "Es geht vielmehr um redaktionelle Unabhängigkeit und Medienethik. Wir geben nicht nach. Sie wollen IOL beschlagnahmen, aber wir leisten Widerstand!" Der Anwalt der Belegschaft, Yasser Fathi, reichte letzte Woche bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der UNO eine Beschwerde ein. Die Manager aus Katar, die die Gelder von IOL in Ägypten verwalten, hätten gegen das Gesetz und die Rechte der Arbeitnehmer verstoßen. Außerdem wurde ein Bericht bei der Staatsanwaltschaft in Kairo abgegeben und eine Klage eingereicht. Man hätte sich nicht an den ausgehandelten Vertrag über die Abfindungen gehalten. Die Administration schuldet mehr 270 IOL-Mitarbeitern 12 Millionen ägyptische Pfund (1,6 Millionen Euro). Angeblich soll das Geld bald ausbezahlt werden, aber nach den Ereignissen der letzten vier Wochen, kann man davon ausgehen, dass dieser Streit noch lange nicht ausgefochten ist. (Erstveröffentlichung in www.qantara.de, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Siehe auch unterer Link) Lesen Sie dazu auch:
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