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Montag, 06.04.2009
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Deutschland bald schuldenfrei - ein Sommernachtstraum, Herr Steinbrück? Wi(e)der die Zinswirtschaft - Aus dem neusten Islamischen Wort von Aiman A.MazyekWi(e)der die Zinswirtschaft - Aus den neusten Islamischen Wort von Aiman A.MazyekDie Finanzmärkte liegen am Boden, der Welthandel droht weiter einzubrechen. Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Während ich das Islamische Wort niederschreibe, lese ich die Eilmeldung, dass US-Präsident Barack Obama den Rettungsplan von General Motors verworfen hat. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel wartet passend mit der Titelgeschichte auf: „Rette, wer kann“.Sind wir noch zu retten? Wir erleben gewaltige Erschütterungen, und ich befürchte, dass wir erst am Anfang einer in der Geschichte einmaligen Krise stehen. Das kapitalistische System, so wie wir es bisher kennen, hat Menschen reich gemacht und viele auch arm. Und täuschen wir uns nicht: es ist keine reine Erfolgsstory. Der Kapitalismus hat auch – um mit unserem Bundespräsidenten zu sprechen - eine „eigene Geschichte des Scheiterns“. Horst Köhler war jahrelang Direktor des Internationalen Währungsfonds und hat schon im Jahre 2000 vor dem wachsenden Risiko einer Systemkrise gewarnt. Mit wenig Erfolg, wie er in seiner letzten Berliner Rede kürzlich zugab. Natürlich frage ich mich als religiöser Mensch, ob diese Systemkrise ihren Ursprung in hemmungsloser Gier nach Gewinn und Profit hat. Natürlich frage ich mich als Muslim, ob die Jagd nach Zins und Zinseszins die Finanzakteure blind gemacht hat. Evangelische Theologen, katholische Bischöfe, viele Menschen des Glaubens haben sich zurecht in die Debatte eingemischt. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ So heißt es in Artikel 14, Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes. Gibt es einen Widerspruch zu den Grundüberzeugungen des Islams? Nein ! Der Islam kennt Eigentum, und er spornt die Menschen an, nach Eigentum und Wohlstand ebenso zu streben, wie er die Menschen zur Gemeinnützigkeit auffordert. Es wird immer Menschen geben, die mehr als andere besitzen. Fleiß und Mühe dürfen sich bereits im Diesseits bezahlt machen. Doch es muss der eigenen Arbeit Lohn sein. Im Koran heißt es unmissverständlich: „Gott hat den Handel erlaubt und das Zinsnehmen verboten…“ (Sure 2,275). Der Handel als solcher ist etwas, was aktive Arbeit voraussetzt, was den Wohlstand fördert, was Menschen und Völkern in vielerlei Hinsicht nützt und zusammen kommen lässt. Der Islam lehnt jede Art von Zinsgeschäften kategorisch ab. Der Islam lehnt auch jede Art von Glücksspiel ab. Es war die Kombination von Zinsgeschäften mit einer besonderen Art von „Glücksspiel“– den hochspekulativen Hedgefonds - die den Zockern an den Börsen die Sinne vernebelt und die Krise mitausgelöst haben. Alle drei abrahamitischen Religionen verbieten oder zumindest verboten, Geld gegen Zins zu verleihen. Im Dritten Buch Mose heißt es: „Und Du sollst nicht Zinsen von ihm nehmen noch Aufschlag [...]" (25, 35-37). Es gibt in der vom westlichen Kapitalismus geprägten Finanzwelt kein Zinsverbot mehr. Theologische Bedenken wurden schon vor langer Zeit abgelegt. Der Zins wirkt wie ein Katalysator, um profitable Geschäfte zu tätigen. Viele Muslime sind aber bei der kompromisslosen Ablehnung der Zinsen geblieben. Wären es nur die Zinsen, wonach die Finanzjongleure weltweit gestrebt haben, das Wehklagen wäre deutlich leiser. Gier macht offenbar erfinderisch. Denn nicht nur der verzinsliche Geldverleih hatte vor der Krise ungeahnte Höhen erreicht. Es wurde mit Schulden gehandelt. Dieser sogenannte Derivatenhandel ist die potenzierte und – moralisch gesprochen – die pervertierte Form der Zinsgeschäfte. Wir wissen heute, dass viele Menschen weit über ihre Verhältnisse gelebt haben. Der Zins hat dazu entscheidend beigetragen. Der Zins stärkt das Recht des Stärkeren, weil er die Schuldner in eine Zwangslage bringen kann, aus der es oft kein Entrinnen gibt. Eine auf Zins basierende Geldwirtschaft kann in verantwortungsloses Wirtschaften abdriften. „Freiheit ist ein Gut, das stark macht. Aber es darf nicht zum Recht des Stärkeren werden“, sagte der Bundespräsident passend dazu. Das Risiko des Geldverleihers ist vergleichsweise gering. Die Lasten der gigantischen Zockermanie müssen nun die Wirtschaft und die Allgemeinheit tragen. Das geltende System mag für die Banken sehr komfortabel sein. Im Sinne der Allgemeinheit ist es nicht. Lange Jahre sind die Gewinne der Banken und Spekulanten privatisiert worden. Die Verluste aber, die Negativergebnisse hemmungsloser Geldgier, die werden der Allgemeinheit aufgebrummt. Deshalb macht jetzt der Finanzminister gigantische Steuerschulden. Rein rechnerisch können wir die Zeche aber nicht zurückzahlen, es sei denn, ein Wunder geschieht. Der Bund Deutscher Steuerzahler legt Zahlen vor, die dies verdeutlichen: Die Bundesrepublik hat Schulden in Höhe von über 1,5 Billionen Euro und in jeder Sekunde kommen über 4000 Euro dazu. Selbst wenn wir den über Jahrzehnte angehäuften Schuldenberg abtrügen, indem wir geliehenes Geld zurückzahlen, wir drohten dennoch zusammen zu brechen – und zwar unter der Zinslast. Anstatt aber auf dieser Basis neue Schulden zu machen, könnte der Finanzminister die Frage aufwerfen: Schulden machen ohne Zins - geht das? Und wenn ja: Wäre das nicht vielleicht die einzige Chance, dass Deutschland irgendwann einmal schuldenfrei wird? Bisher bietet diese Frage allenfalls intellektuellen Zündstoff, obgleich sie real und lebensnah ist, wie kaum eine andere Frage in dieser Zeit. Aus meiner Sicht spricht sehr viel dafür, dass Juden, Christen und Muslime in dieser schweren Krise ihre heiligen Texte zur Hand nehmen und die ethische Legitimität der Finanzjongleure hinterfragen. Die Jünger des grenzenlosen Kapitalismus haben die Welt an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds gebracht. Gläubige aller Konfessionen müssen religionsübergreifend auf die Verwerflichkeit dieses Handelns hinweisen und gemeinsam für ethische Standards im Geldgeschäft eintreten, die allen Menschen nützen – nicht einigen Finanzhaien. (Erstveröffentlichung am 03.ß4.09 im SWR/CONTRA; mit freundlicher Genehmigung der Redaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" im SWR/Stuttgart) Lesen Sie dazu auch:
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