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Freitag, 13.02.2009

Über illegale Gastarbeiter, Zigeuner und zwei Filmbesprechungen – Wir waren für Sie auf der Berlinale 2009

Am 5. Februar begannen die 59. Internationalen Filmfestspiele in Berlin, die Berlinale.
Zwei Filme zur Problematik Herkunft, Rasse und Migration aus dem reichhaltigen Filmangebot stellen wir vor (siehe auch unterer link dazu).

In der Rubrik „Perspektive Deutsches Kino“ ist der 2008 entstandene Film von Stefan Schaller mit dem Titel „jedem das seine“ zu sehen. Schaller studiert seit Oktober 2005 an der Filmakademie Baden- Württemberg szenische Regie. Das Werk ist eine gemeinsame Produktion des Bayerischen Rundfunk mit der Cine Plus Filmproduktion.

Zum Inhalt: Zwei Brüder, der ältere Nico (Carlo Ljubek) und der kleinere Milos (Sergey Moya, 2005 Bester Darsteller internationales Filmfestival Madrid; 2006 bester jugendlicher Hauptdarsteller in der Sparte „Kinospielfilm“ Undine Award, seit dieser Zeit Förderstipendium der Berenberg Bank Stiftung) sind Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien. Nico ist mittlerweile mit einer deutschen Frau verheiratet und Polizeibeamter von Beruf. Sein Freundeskreis besteht nur aus Deutschen. Sein bester Freund ist Georg (Clemens Schick), gleichzeitig sein Vorgesetzter und auch sein Vereinskamerad im Fußballverein. Niemand weiß von Nicos Vergangenheit. Er gilt als Vorzeigedeutscher. Milos hingegen verdient seinen Lebensunterhalt als Autoscheibenputzer an Kreuzungen.
Eines Tages stehen sich die Brüder dienstlich gegenüber. Man wirft dem „Zigeunerjungen von der Straße“ eine Straftat vor. Milos begegnet seinem Bruder Nico im Verhör und dieser fordert ihn eindringlich auf, „die Klappe zu halten.“ Er will nicht mehr diskriminiert werden. Eine Szene aus dem Film beispielsweise: Vorgesetzter Georg sagt kurz vor Dienstschluss, er werde jetzt ins Schwimmbad gehen. „Für heute habe ich genug von diesen Zigeunern“, so der Filmpolizeibeamte Georg. Sieht die Realität anders aus? „Die Sinti fühlen sich wie die Made im Speck des bundesrepublikanischen Sozialsystems, fahren mit dem Mercedes vor dem Sozialamt vor, gehen keiner geregelten Arbeit nach und schotten sich konspirativ ab.“ Dieser Satz stammt nicht aus dem Film, sondern ist ein Zitat aus der Fachzeitschrift „Der Kriminalist.“ Diese Aussage hat ein stellvertretender Landesvorsitzender des „Bundes deutscher Kriminalbeamter“ gemacht. Ein Mann also, der einen Eid auf die Verfassung geschworen hat. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, im Grundgesetz steht noch nicht einmal, dieses Grundrecht gilt nur für deutsche Staatsbürger. Stefan Schaller sah diese, bis heute aufrechterhaltene Aussage!! auch als Stein des Anstoßes für diesen „ Deutschen Spielfilm.“

„Es geht mir in meiner Geschichte um die Anfeindungen und Diskriminierungen, welche die Volksgruppe der Sinti und Roma schon immer ausgesetzt waren. Besonders natürlich zur Zeit des Nationalsozialismus. Bis heute bestehen Vorurteile gegen dies Volksgruppe“, so der Regisseur. Natürlich wusste er, der Spruch „Jedem das Seine“ stand am Eingang der „Menschenvernichtungsmaschine Buchenwald.“ Dazu der Filmemacher: „Der Missbrauch der Redewendung „Jedem das Seine“ während des Dritten Reiches darf jede weitere Verwendung nicht unmöglich machen. Vielmehr muss die Vereinnahmung Anlass sein, sich- unter Berücksichtigung der brisanten Konnotation- dem ihr eingeschriebenen kulturellen Wert mit der notwendigen Sensibilität immer wieder neu zu diskutieren und zu kommentieren.“
Fazit für diesen Spielfilm: ein gelungenes Meisterwerk von einem Regiestudenten. Was geht in einem Menschen vor, der seinen Bruder verleugnet? Von einem Ehepartner kann man sich scheiden lassen, aber Geschwister kann man nicht durch Scheidung oder Verleugnung „loswerden.“ Es wird viele Nicos und ihre Milos in der deutschen Gesellschaft geben, die ja offiziell kein Einwanderungsland ist. Schaller hat uns Zuschauern vieles offenbart. Das fängt damit an, was ein Beamter ungestraft in einem Fachmagazin so sagt bis hin zu der Tatsache, welche Familienprobleme es geben kann bei Einwanderern. Vo diesen Problemen sind „Hinz und Kunz“ niemals betroffen. Dank Schaller weiß man, es gibt Leute mit solchen Identitätskrisen.

In der Rubrik „Panorama Dokumente“ läuft der 2008 gedrehte spanische 81 Minuten Film „Coyote.“ Chema Rodriquez ist der Regisseur. Mit „Kojote“ wird ein gewerbsmäßiger Menschenschmuggler genannt, der illegalen Einwanderern aus Süd-, Latein- und Mittelamerika hilft, in die USA zu gelangen. Jedes Jahr versuchen das über eine halbe Million Menschen. Rodriquez und sein aus drei weiteren Kollegen bestehendes Team hat eine Reise aus Mittelamerika bis zur Grenze Mexiko- USA begleitet. Aus Guatemala stammen die 3 Illegalen. Der Menschenschmuggler „Kojote“ macht sie mit gefälschten Papieren schon mal zu Mexikanern. Herzzerreißende Szenen gleich am Anfang des Dokumentarfilms: Eine junge Frau geht mit ihren zwei kleinen Kindern in ein amerikanisches Schnellrestaurant essen. Ein Luxus, den man sich sonst nie leistet. Unter Tränen teilt sie ihren Kindern mit, morgen werde sie Richtung USA reisen und Geld verdienen. Lange Zeit werden die Kinder bei Cousins untergebracht werden.
Ein junger Bursche, gerade mal um die 17 Jahre alt, zeigt dem Filmteam die kleine Wohnung und alle Familienmitglieder, die dort beengt hausen. Er sei der älteste in der Familie, also müsse er Geld verdienen. Hier weint beim Abschied die alte Großmutter, die ahnt, ihren Enkel nie mehr wieder zu sehen.
Rodriquez hält immer wieder tiefreligiöse Gesten fest. Die Großmutter ermahnt ihren Enkel, er möge niemals „vergessen, dass Jesus täglich das Licht der Welt ein- und ausschaltet.“
Am Busbahnhof betet der „Kojote“ mit seinen 3 Fahrgästen um eine gute Fahrt. „Gott möge die Illegalen und ihre Helfer schützen. Auch möge Gott ihnen diese Taten verzeihen.“ Man habe ja gar keine andere Wahl, als wie in den USA sein Geld im Untergrund zu verdienen, wenn man im eigenen Lande nicht verhungern wolle. Trotzdem liebt man sein Heimatland. Bei Reisebeginn singen sie am Busbahnhof die Nationalhymne. Zwei Kameraleute halten die Reise dokumentarisch fest. Ein Kameramann fährt im Reisebus mit und zeichnet auf, der andere fährt mit dem Regisseur im Auto dem Bus hinterher.
Der „Koyote“ hat an diesem Film mitgewirkt, weil er erst ein Buch über sein Tun schreiben wollte. Schnell war er sich bewusst geworden, dieses Buch werde kaum jemand kaufen. Da kam das Angebot der Filmemacher für ihn wie gerufen.
Ein Satz drückt seinen ganzen Kummer aus. „Ich, wir alle hier, sind doch auch ein Teil dieser Welt.“ Dieser Teil darf aber ohne Visum nicht in die USA. Auch dort hat man hohe Grenzzäune errichtet, wie anderswo auch. So zum Beispiel in Israel. Freizügigkeit gilt nicht für jeden und überall auf dieser Welt.
Eine Filmszene zeigt das weitere Elend. Nach 2 Tagen Reise ruft die junge Mutter ihre beiden Kinder an und kann vor lauter Tränen nicht mehr sprechen. Sie hofft, die Kinder werden ihr später verzeihen, sie allein bei Verwandten gelassen zu haben. Man gehe doch Richtung Nordamerika für ein besseres Leben, auch für die Kids. Der Junge sagte ja zum Abschied, vielleicht könne er sich bald von dem Geld der in den USA arbeitenden Mutter einen Nintendo kaufen. Der Regisseur begleitete den „Kojote“ und die drei illegalen insgesamt 4 Wochen.
Ähnlich wie in den USA gibt es auch bei uns illegale Einwanderung. Immer wieder tauchen Gerüchte auf, die Verantwortlichen aus Wirtschaft und Politik sind darüber gar nicht nur „erbost“, weder in den USA noch hier. Die illegalen Arbeiter kennen ihre Rechte nicht, falls ja, nutzt es ihnen nichts. Für sie gelten keine Mindestlöhne, keine geregelten Arbeitszeiten. Sie kommen auch bei Krankheit zur Arbeit, eine Krankenversicherung haben sie ja sowieso nicht. In keine Gewerkschaft können sie, die im Untergrund leben, eintreten.
Rodriquez macht uns klar, der Wohlstand wird auch auf dem Rücken der illegalen Einwanderer erwirtschaftet. Leider verschließen wir vor diesem Problem zu oft unsere Augen.
So teilte der auf der Berlinale anwesende Regisseur beispielsweise in der Pressekonferenz mit, ein Staat wie Mexiko plane die Einnahmen der Illegalen ein. Löhne von Polizisten und Zöllnern beispielsweise könne man auf einem sehr niedrigen Niveau halten. Aufgrund etlicher Straßenkontrollen vom Süden des Landes bis zum Grenzübergang zu den Vereinigten Staaten von Amerika müssten die Reisenden aus Guatemala, Honduras und anderen Staaten sich die Weiterfahrt mit Bestechungsgeldern bei den mexikanischen Beamten erkaufen. Dadurch werden die offiziell im Niedriglohnsektor angesiedelten Berufe Zöllner und Polizist wieder aufgewertet.
Eine Ausbeutung der „armen Teufel“ durch „arme Teufel“, dann ein sklavenähnliches Leben in den USA. Für diejenigen, die es schaffen, illegal einzureisen. Jederzeit dann mit der Angst leben zu müssen, eines Tages aufzufliegen.
Rodriquez hat mit einem kleinen Filmetat schonungslos offen gelegt, was „Arbeitsteilung“ und „Globalisierung“ auch bedeuten können.
„Kojote“ und seine drei Mitstreiter haben keine Gage erhalten, weil sie „denen da draußen“ mal zeigen wollten „was hier abgeht.“ Die Wahrheit gibt es kostenlos, offenbart der Schlepper.
Das Illegale beim Überqueren des Rio Grande ertrinken oder als blinde Passagiere in Bahnwaggons, Lastwagen oder Schiffen ersticken oder verdursten, ist ein weiteres düsteres Kapitel der „illegalen Gastarbeiter.“ (Volker- Taher Neef, Berlin)

In eigener Sache: Im Zusammenhang mit der Berlinale 2008 stellten wir den Film „Nacht vor Augen“ vor. Ein junger Bundeswehrsoldat kommt in diesem Spielfilm verstört vom Auslandskriegseinsatz zurück. Regisseurin des Films ist Brigitte Maria Bertele.
Die deutschen Filmkritiker zeichneten die Filmemacherin jetzt mit dem Preis „bestes Spielfilmdebüt“ aus. (siehe dazu untere link)




Lesen Sie dazu auch:
Von Soldaten und dem Tod auf der Berlinale – Zwei Kriegsfilmbesprechungen

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