Rückkehr auf der internationalen Bühne
Syrien nach Assad mit einer Million Tote, hunderttausende Inhaftierte und Folteropfer, 14 Millionen Vertriebene, die Zerstörung von etwa zwei Millionen Wohnhäusern sowie den Einsatz chemischer Waffen bei über 200 Angriffen
New York / Damaskus, 26. September 2025 – Mit seiner Teilnahme an der 80. Sitzung der UN-Generalversammlung in New York sendete Präsident Ahmad al-Sharaa ein deutliches Signal: Syrien ist wieder auf der internationalen Bühne zurück. Es war das erste Mal seit 1967, dass ein syrischer Staatschef vor der Generalversammlung sprach.
Am 24. und 25. September nahm Präsident al-Sharaa in New York an den Beratungen der Generalversammlung teil und hielt eine viel beachtete Rede. In seinem Vortrag erklärte er, Syrien trete in eine neue Phase ein, geprägt von „Frieden, Stabilität und Wohlstand“. Er bezeichnete den Sturz der früheren Machthaber als „Sieg über Unterdrückung“.Al-Sharaa warf dem früheren Regime eine Reihe schwerwiegender Verfehlungen vor: rund eine Million Tote, hunderttausende Inhaftierte und Folteropfer, 14 Millionen Vertriebene, die Zerstörung von etwa zwei Millionen Wohnhäusern sowie den Einsatz chemischer Waffen bei über 200 Angriffen. Er stellte seine Regierung als neue Ordnungsmacht dar, die den Wiederaufbau und die Rückkehr der Geflohenen ermöglichen wolle – ohne neue Vertreibungen.
Al-Sharaa kündigte den Beginn eines umfassenden nationalen Dialogs an. Parallel dazu sollen zwei neue nationale Gremien eingerichtet werden: eines zur Übergangs- und Versöhnungsjustiz („Transitional Justice“) und eines zur Klärung des Verbleibs von Vermissten. Außerdem sollen Reformen in Verwaltung, Justiz und Militär starten. Ein zentrales Reformziel: sämtliche bewaffneten Gruppen müssten unter staatlicher Kontrolle stehen. Darüber hinaus plante die Regierung, Parlamentswahlen vorzubereiten und Institutionen zu restrukturieren, um eine effizientere Führung und bessere Staatsführung zu gewährleisten.
Neben seiner Rede nutzte al-Sharaa den Aufenthalt in New York für intensive diplomatische Kontakte. Am 24. September traf er u. a. mit dem Präsidenten Lettlands, Edgars Rinkēvičs, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis zusammen. Am 25. September folgten Gespräche mit UN-Generalsekretär António Guterres, dem niederländischen Premierminister, dem spanischen König Felipe VI sowie beim Empfang durch US-Präsident Donald Trump und First Lady Melania Trump. Besonders das Treffen mit dem US-Präsidenten gilt als strategisch bedeutend im Rahmen von Syriens außenpolitischer Neuorientierung.Die Rückkehr Syriens in den diplomatischen Dialog wird von Beobachtern mit gemischten Gefühlen gesehen. Für die neue Führung bietet sich eine Chance, internationale Isolation zu überwinden – zugleich stehen hohe Erwartungen an konkrete Schritte: echter Wiederaufbau, Rückkehr der Flüchtlinge sowie eine glaubwürdige Aussöhnungspolitik.Insbesondere das Versprechen, künftige Wahlen zu organisieren, birgt große Erwartungen – und zugleich Konfliktpotenzial. Die angekündigten Institutionen für Transitional Justice und zur Klärung von Vermisstenfällen könnten zentrale Prüfsteine sein: Werden sie unabhängig arbeiten? Wie wird mit früheren Regimeakteuren umgegangen? Und wie wird die internationale Gemeinschaft reagieren?Eines ist klar: Der Auftritt al-Sharaas vor der UN war weniger symbolisch – er war eine diplomatische Herausforderung. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob Syrien den angekündigten Kurs in konkrete Reformen übersetzen kann – und ob die internationale Gemeinschaft Zugeständnisse macht.