Newsnational Donnerstag, 10.03.2022 |  Drucken


Pro Tag kommt es zu knapp zwei Angriffen auf Muslime und ihren Einrichtungen in Deutschland. Auf dem Bild zu sehen sind Folgen eines Anschlags auf eine Moschee in Dresden
Pro Tag kommt es zu knapp zwei Angriffen auf Muslime und ihren Einrichtungen in Deutschland. Auf dem Bild zu sehen sind Folgen eines Anschlags auf eine Moschee in Dresden

Mutmaßlicher Rückgang der Straftaten gegen Muslime

Zuletzt verzeichnete die Bundesregierung einen Rückgang islamfeindlicher Straftaten im Jahr 2021. Der ZMD plädiert für eine genauere Betrachtung, da erwartungsgemäß vieles im Dunkeln liegt.

Anschläge auf Muslime und Moscheen, wie in Chemnitz, Leipzig und jüngst in Halle sind keine Ausnahmefälle. Zuletzt war ein steter Anstieg von islamfeindlichen Straftaten zu verzeichnen. Im Jahr 2018 wurden 824 Straftaten gemeldet, 2019 stieg die Zahl auf 884. Im Jahr 2020 dann sogar auf 1129 Straftaten.

2021 soll die Zahl der Straftaten mit 662 Fällen erstmals seit drei Jahren gesunken sein. Der Rückgang sei unter anderem auf die Corona-Beschränkungen im öffentlichen Raum zurückzuführen. Zu den erfassten Straftaten gehören Hetze im Internet, Beleidigungen, persönliche Angriffe, Drohbriefe, aber auch Schmierereien Sachbeschädigung und Anschläge auf islamische Einrichtungen und Moscheen.

Hohe Dunkelziffer

Die Bundesregierung erfasste für das Jahr 2021 45 Anschläge, Schändungen und Schmierereien auf „Religionsstätten/Moscheen“. Wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) verweisen auch zivilgesellschaftliche Initiativen und Institutionen, wie brandeilig.org, die CLAIM-Allianz sowie die DITIB Antidiskriminierungsstelle (ADS) darauf, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte. Im Vergleich zu diesen erfassten Daten mit denen der Bundesregierung ist auffällig, dass sich davon nur 10 von insgesamt 45 Angriffen überschneiden. Laut Angaben von brandeilig.org und ADS wurden im Jahr 2021 jedoch fast doppelt so viele Angriffe auf Moscheen verübt, nämlich mehr als 80.

Der Grund für die große Differenz liegt in der unterschiedlichen Auslegung des Moscheebegriffs. Diesen definiert die Bundesregierung wie folgt: „Das Angriffsziel ‚Religionsstätte/Moscheen‘ gilt dabei nur für Moscheen selbst, die Stätten der Religionsausübung; Moscheevereine oder sonstige islamische Einrichtungen sind davon nicht umfasst“. Laut dieser Beschreibung würden beispielsweise angezündete Müll- oder Altkleidercontainer einer Moschee nicht als Moscheeangriff gezählt werden. Damit wird die Nähe zur Moschee ausgeblendet, obwohl das politische Motiv und die politische Strafhandlung auf der Hand liegt. Um islamfeindliche Straftaten daher künftig umfassender zu registrieren, ist insofern auch eine Kooperation zwischen den Betroffenen, den Initiativen der Meldestellen und der Bundesregierung unabdingbar.

Darüber hinaus werden viele antimuslimische Straftaten aus Unwissenheit und Scheu vor Bürokratie seltener zur Anzeige gebracht (siehe Dunkelziffer). Die unzureichende Vorgehensweise und fehlende Sensibilisierung der Behörden auf diesem Feld büßt an Vertrauen ein. Dies wird auch dadurch deutlich, dass Delikte nur selten aufgeklärt werden. Mangelnde Schulungen tragen ebenfalls dazu bei, dass islamfeindliche Straftaten als solche nicht richtig wahrgenommen werden.

ZMD fordert Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden

Auf diese Umstände hat der ZMD mehrfach in der Vergangenheit aufmerksam gemacht. Zuletzt am Jahrestag des Anschlags von Hanau, indem der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek eindringlich appellierte: „Der Schutz vor antimuslimischer Hetze und Gewalt ist eine Aufgabe der inneren Sicherheit (…), Schulungs-, Sensibilisierungsmaßnahmen und Antirassismus-Trainings bei Polizei, Justiz und Sicherheitsbehörden bereitzustellen, da sie bei der Bekämpfung von Rassismus und rassistischer Gewalt eine zentrale Rolle spielen“.

Ein weiterer Punkt, und dies geht aus den Mitteilungen der Behörden hervor, ist, dass weniger als 5% der Täter, die Angriffe auf Moscheen im Jahr 2021 verübten, gefasst, geschweige denn verurteilt wurden. Festnahmen gelingen den Behörden hierbei nur selten.

Ein zusätzlicher Missstand ist, dass nicht alle islamfeindlichen Taten als solche registriert werden. Antimuslimische Übergriffe und Diskriminierungen treten verstärkt in unterschiedlichen Kontexten auf, wie im Arbeitsmarkt, in Schulen, auf dem Wohnungsmarkt und im Gesundheitswesen. Oft fallen rassistische Diskriminierungen nicht unter die Kategorie des antimuslimischen Rassismus, obgleich sie, z. B., wenn eine Frau mit Kopftuch angegriffen wird, auch auf der Hand liegen.

Das ist einer der Gründe für die Errichtung des ersten bundesweiten Meldeportals ‚I Report‘, über das CLAIM antimuslimisch motivierte Übergriffe und Diskriminierungen erfasst und sichtbar macht. Betroffene und Zeugen können solche Vorfälle online melden. Denn immer öfter treten solche Straftaten im öffentlichen Raum auf und sind in der Mitte der Gesellschaft verankert. Demnach fallen z. B. teilweise Hassverbrechen gegen Muslime in die unzureichend und ungenau zu betrachtende Bezeichnung wie „Fremdenfeindlichkeit“.



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