Bardo ist nicht Charlie Hebdo
Terroropfer sollten unabhängig ihrer Herkunft gleichrangige Massensolidarität erfahren. Von Mohammed Khallouk
Erneut hat ein Terroranschlag, mutmaßlich ausgehend von radikalen gewaltbereiten Islamisten, die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Auf einem zentralen, häufig von Touristen aufgesuchten Platz in der tunesischen Hauptstadt Tunis trafen plötzlich schwer bewaffnete Männer ein. Sie schossen wahllos auf Touristen, verfolgten Flüchtende ins daneben liegende Bardomuseum, nahmen einige davon als Geiseln und konnten nur durch Todesschüsse der Sicherheitskräfte gestoppt werden. Die Bilanz des Blutbades sind mindestens 19 Tote, darunter neben den meisten Angreifern und einigen Polizisten im Wesentlichen Touristen aus Europa.
Wie vor zwei Monaten beim Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris prägte auch dieses Ereignis in Tunis die Titelseiten westlicher Medien. Es fand eine große Trauerkundgebung im Stadtzentrum in der Nähe des Anschlagsortes statt. Staatsführer aus aller Welt drückten ihr Mitgefühl mit den Opfern aus und beteuerten, die tunesische Regierung beim sogenannten „Kampf gegen den Terrorismus“ zu unterstützen. Großdemonstrationen in europäischen Hauptstädten und einen gemeinsamen Auftritt der Staatenlenker der westlichen Sphäre sucht man diesmal jedoch vergeblich.
Wenn sich westliche Politiker an die Öffentlichkeit begeben, bestimmt meist die Frage, wie hoch die Opferzahlen aus Europa stammender Personen, vor allem der eigenen Nationalität gewesen sein mögen, die Statements. Das Schicksal tunesischer oder anderer arabischer Zivilisten scheint die europäische Öffentlichkeit weit weniger zu beschäftigen. Während bei den Tätern eine tatsächliche oder vermeintliche arabische Abstammung und mutmaßliche islamistische Motivation stets als bedeutsame Information in jedem Boulevardblatt gilt, interessieren bei den Opfern vorwiegend diejenigen aus dem westlichen Kulturkreis.
Aber auch die westlichen Terroropfer genießen offenbar nicht gleichrangig die Massensolidarität. Karikaturenzeichner, die den religiösen Glauben von millionen Menschen zum Gegenstand des weltweiten Spottes herabstufen, erfahren erheblich höhere öffentliche Aufmerksamkeit als kulturinteressierte Touristen, die ein Museum besuchen und zugleich einem arabisch-islamischen Land zu Deviseneinnahmen verhelfen. Hier zeigt sich ein Messen mit zweierlei Maß, das Gewalt dieser Dimension zwar in keiner Weise rechtfertigt, jedoch kaum dazu beiträgt, das in den Großdemonstrationen bekundete Miteinander der Kulturen und Religionen nach außen zu demonstrieren.
Beabsichtigen die Verantwortungsträger in Politik und westlichen Medien tatsächlich ihrem Anspruch gerecht zu werden, den universellen Menschenrechten zu dienen und den gegenseitigen Respekt zwischen verschiedenen Weltanschauungen zu fördern, sind sie zu Reflektion ihres eigenen Agierens aufgefordert. Es gilt sich bewusst zu werden, dass Muslime und Mitglieder des islamischen Kulturkreises gegenwärtig zu den weltweit häufigsten Opfern extremistischer Gewalt zählen.
Zwar stellt sich ein Teil dieser Gewalt als Opposition gegen einen als „imperialistisch“ empfundenen Westen dar, diesem Bewusstsein lässt sich jedoch auch von westlicher Seite begegnen, indem der Islamischen Welt ebenso wie den Muslimen in der eigenen Gesellschaft signalisiert wird, die Errungenschaften der Aufklärung wie Demokratie und Menschenrechte gelten ihnen gleichermaßen und sind mit dem Islam, zeitgemäß ausgelegt, aber wertegebunden praktiziert, vollständig kompatibel.
Der Autor ist dezeit als Professor in der Universität zu Doha tätig
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