Newsnational Dienstag, 14.10.2014 |  Drucken


"Der Islam ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung"

"Um wirkungsvoll gegen islamistische Verirrungen vorzugehen, braucht Deutschland die Muslime als Partner" meint Heribert Prantl in einem vielbeachtenen Kommentar in der"Süddeutschen", den wir hier abdrucken

Es gibt ein paar Tausend junge Leute in Deutschland (viele Männer, einige Frauen), die die radikale Religion des Salafismus zumal in der gewaltgeneigten Spielart für unwiderstehlich halten; den Eintritt dort feiern sie als großes soziales Ereignis; sie treten dann der übrigen Welt, die sie als verdorben verachten, mit moralischer Überlegenheit und Aggression gegenüber. Kennzeichnend für Salafisten sind drei "A": Ablehnung von Parteien und Parlamenten, Abwertung anderer Lebensformen, Anspruch auf absolute Wahrheit; so erläutert es griffig ufuq.de, zu Deutsch "Horizonte", ein Verein von Islamwissenschaftlern. Die Radikalmuslime halbieren die Moderne: Sie lehnen deren Kultur ab, nutzen aber deren Technik meisterlich, zumal das Internet; sie machen es zum Zentrum von Predigt und Propaganda. Den "Televangelismus" haben christlich-evangelikale Gruppen erfunden, die Islamisten haben ihn radikalisiert und perfektioniert - bis hin zum Terrorvideo. Der salafistische Mainstream lehnt zwar Terrorismusab; ein Teil zumal der jungen deutschen Salafisten geht aber auf dem Radikalisierungspfad begeistert weiter, angefeuert von Predigern eines pervertierten Dschihad, der eigentlich der "Weg Gottes" sein soll, den diese Prediger aber als Karawane des Terrors inszenieren. Der Übergang vom Missionierungsnetzwerk zum Gewaltaktivismus ist fließend. Zwischen Salafismus und Dschihadismus gibt es "gefährliche Nähe" (so der Titel eines Werkes, das die Politologen Klaus Hummel und Michail Logvinov herausgeben).

Der "Weg Gottes" wird zur Karawane des Todes pervertiert


Cyber-Propaganda verbindet die lokale und regionale Szene mit den Akteuren des weltweiten Dschihad und macht die radikalen Salafisten in deutschen Städten zum Teil einer globalen Bewegung, die nicht nur von wahhabitischen Herrschern in den Ölstaaten finanziert, sondern auch von den brutalen Fehlern der westlichen Terrorbekämpfung gefüttert wird: Da waren der als Kreuzzug bezeichnete Irakkrieg und Abu Ghraib, da sind die vielen als "Kollateralschäden" bei US-Drohnenangriffen in Afghanistan, Pakistan, Jemen und Somalia getöteten Zivilisten, darunter viele Kinder. So entsteht globale Wut, so entsteht der Mythos vom verfolgten Islam. Dieser Islam, über den die Aktivisten der Gewalt oft gar nicht so viel wissen, wird zum Vehikel und zur Legitimation für violentes Verhalten. Der Dschihad ist dann nur einen Mausklick weit weg. Es gibt ein paar Hundert junge Leute hierzulande, Schülerinnen und Schüler darunter, die ziehen frisch radikalisiert in den Irakund nach Syrien in den Krieg. Sie sind Deutsche, kommen aus allen Schichten; es handelt sich um Neu- und Wiederbekehrte, nicht unbedingt nur um Bildungsverlierer und Desintegrierte. Unter den Dschihad-Legionären finden sich deutsche Konvertiten und ordentlich aufgewachsene deutsche Muslime. Es handelt sich nicht nur um Kinder von Einwanderern; auch Kinder aus eingesessenen Familien sind darunter, oft noch in der Pubertät, nicht wenige mit bikulturellen Eltern. Die islamische Radikalisierung ist dann auch ein Mittel, sich maximal von den für lasch und traditionsvergessen erklärten Eltern abzugrenzen. Erst kokettieren diese Jugendlichen mit der Gewalt, dann werden sie selbst gewalttätig; die religiös verbrämte Gewalt ist ihr Mittel, Anerkennungsdefizite zu kompensieren. Sie töten, werden getötet oder kehren aus dem Terrorkrieg zurück und sind dann eine unberechenbare Gefahr. Was tun?

Der Islamismus ist kein Altersübergangs-, sondern ein Dauerproblem


Einfach abwarten? Kriminologen raten bei der Reaktion auf Jugendkriminalität generell zur Zurückhaltung, sie sei ein Altersphänomen. Gern wird da ein Satz des weltweisen William Shakespeare zitiert, der einen alten Schäfer sagen lässt, dass es am besten gar kein Alter zwischen zehn und 23 geben sollte: Dazwischen sei nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, als Alte ärgern, als stehlen und balgen. Aber eine so individualistische Sicht auf den jungen gewalttätigen Islamismuswäre Selbstbetrug. Er ist kein Altersübergangs-, sondern ein Dauerproblem. Auf seine Verflüchtigung kann man nicht hoffen, man muss mit Verfestigung rechnen - dafür spricht die Einbettung in die Religion und die islamistischen Strukturen. Also nicht abwarten. Was dann?Man kann phantasieren, dass es gut wäre, wenn man die Webseiten der islamistischen Terroristen zerstören könnte, um deren Agitationsbasis zu eliminieren. Das ist Phantasterei. Man kann vorschlagen, radikale Salafisten zu einem psychiatrischen Problem zu machen, sie also für gemeingefährlich-krank erklären - und eine Anstalt für sie errichten, um sie alle wegzusperren. Das wäre ein Verbrechen, um Verbrechen zu verhindern. Als besondere Hilflosigkeit erscheint es, deutschen Islamisten den Entzug der Staatsbürgerschaft anzudrohen. Abgesehen von der Verfassungswidrigkeit wäre das eine Art von radikaler Ausstoßung; das passt in eine fundamentalistische Religion, aber nicht in ein rechtsstaatliches System.Man kann, damit kommt man in den Bereich des Gewohnten, das Strafrecht verschärfen. Das wurde stets getan, wenn irgendwas getan werden sollte. Aber Ursachen bekämpft man damit nicht und die "radikalen Milieus" (ein Forschungsobjekt der Soziologen Stefan Malthaner und Peter Waldmann) werden von noch einem Paragrafen mehr nicht geschwächt. Im Übrigen: Das Anti-Terror-Strafrecht, aufgebaut in RAF-Zeiten und seit 9/11 forciert, ist so engmaschig, dass man mit der Lupe suchen muss, was noch bestraft werden könnte. Es gibt aber Vollzugsdefizite; Gewaltaufrufe müssen besser observiert und bestraft werden. Und die Innenminister mögen sich bitte klar werden, ob sie die Aus- oder die Wiedereinreise von Dschihadisten verhindern wollen; sinnvollerweise die Ausreise, weil "Aus den Augen, in den Krieg" keine Lösung ist.

Der Islam muss als Partner gewonnen werden


Was also tun? Man braucht Präventionsnetze, bestehend aus Lehrern, Eltern, Sozialarbeitern, Moscheegemeinden und aufgeklärten, staatlich kontrollierten Islamunterricht an Schulen. Man braucht den Islam als Partner, um gegen islamistische Verirrungen einzuschreiten. Die De-Radikalisierung der Islamisten schafft man nur zusammen mit den Muslimen in Deutschland. Man muss muslimische Autoritäten für die Auseinandersetzung mit deutschen Dschihadisten gewinnen. Es wäre also fatal, wenn der Islam von der deutschen Mehrheitsgesellschaft im Ganzen als gefährliche Religion erfasst und homogenisiert würde; Tendenzen dazu gibt es. Es wäre fatal, wenn der törichte Streit, ob Deutschland Einwanderungsland ist, vom Streit darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört, fortgeführt würde. Die Mehrheitsgesellschaft würde dann Opfer ihrer eigenen Obsession. Vier Millionen Muslime leben in Deutschland. Der Islam ist nicht das Problem. Er gehört zum Alltag. Er ist Teil der Lösung.



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