Newsnational Dienstag, 22.03.2011 |  Drucken

Vor der Islam-Konferenz zu lesen: Die Ringparabel und ihre Bedeutung für die deutsche Gesellschaft 2011

Eine Buchbesprechung mit Rupert Neudeck über: Im Ringen um den Wahren Ring. Lessings „Nathan der Weise“ – eine Herausforderung der Religionen von Karl-Josef Kuschel

Eigentlich sollte zweierlei geschehen: Entweder sollte der neue Bundesinnenminister dieses Buch lesen, bevor er zu der neuen Islam-Konferenz einlädt. Oder er sollte den Professor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs in Tübingen, Karl-Josef Kuschel einladen, seine Vorlesung über Lessings Nathan der Weise, eine Herausforderung der Religionen vor Beginn der Konferenzverhandlungen zu halten. Denn nur im „Ringen um den Wahren Ring“ wird eine solche Konferenz Erfolg haben. Es wäre im Sinne des großen Gnade- und Toleranzphilosophen Lessing nötig, die Konferenz von vornherein auf die drei abrahamitischen Religionen auszuweiten, denn nur im Gesamt dieser drei vernetzten Religionen wird es zur großen Religionstoleranz kommen.

Dieses Buch ist zum ersten Mal in seinem Grundkontext 2004 herausgekommen, jetzt hat der Verlag aufgrund der aktuellen Ereignisse eine ergänzte Auflage herausgebracht. Sie beginnt mit dem Hinweis auf drei sensationelle Weltdokumente, die ganz im Sinne Lessings die Ringparabel für die Geschicke der Menschheit fortschreiben. Im Oktober 2007 schrieben 138 muslimische Würdenträger ein sensationelles Dokument. Eine Einladung an alle christlichen Kirchen. Man appelliert an die Kirchen, endlich zu einem Dialog zu kommen auf der Basis des Doppelgebots der Gottes- und Menschenliebe und mit Berufung auf den Koran Sure 5,48: Ein Text, der an der Stirnwand jedes Raumes geschrieben sein sollte, in dem solche Konferenzen stattfinden wie die Islamkonferenz: „Lasset uns nur in Rechtschaffenheit und guten Werken wettstreiten. Lasset uns einander respektieren, fair, gerecht und freundlich miteinander in ehrlichem Frieden, in Harmonie und gegenseitigem Wohlwollen leben.“ Das sei ein „beispielloser Vorgang“ gewesen. Dass Muslime gegen diese Botschaft verstoßen, sei doch keine Widerlegung: „Seit wann leben alle Christen auf dieser Welt nach der Bergpredigt?“ Am 2. Mai 2008 wurde im Vatikan eine „Gemeinsame Erklärung“ veröffentlicht, die nach Beratungen von Katholiken mit Schiiten in Teheran herauskam. Darin heißt es: „Glaube und Vernunft sind nicht in sich gewalttätig. Weder Vernunft noch Glaube sollten für Gewalt gebraucht werden.“

Und im Juli 2009 publizierte der Internationale Rat der Christen und Juden einen „Aufruf an christliche und jüdische Gemeinden in der ganzen Welt“, in dem die Gläubigen beider Religionen aufgefordert werden, gemeinsames gesellschaftliches Handeln beim Verfolgen gemeinsamer Werte zu unterstützen“. Es gab nach dem 11. September 2001 allein auf deutschsprachigen Bühnen 24 „Nathan“-Inszenierungen. Die Welt war aufgewacht. Am 20. Oktober 2002 wurde „Nathan the wise“ am Pearl Theater in New York aufgeführt. Und Kuschel zitiert die Motive, die auch die Neuausgabe seines Buches motivieren: Zeitlosigkeit sei gut, habe der Rezensent der NYT geschrieben, „but timeliness is better“, aber Zeitgemäßheit sei besser.

Die Intellektuellen, die ins Theater gehen und die bürgerliche Oberschicht sind nicht eigentlich die „Adressaten des Stücks“. Denn diese Theaterbesucher sind nicht die, die die Todesstrafe unterstützen oder die Enthauptung von Abtrünnigen propagieren. Überall aber, zumal in der islamisch dominierten Welt ist das Stück aufgeführt worden. In Pakistan wurde der Nathan aufgeführt, und der Regisseur und Schauspieler Khalid Ahmad schrieb dazu: Wenn er heute ein Stück schreiben und den islamischen Klerus kritisieren würde, wie Lessing das vor 200 Jahren in Deutschland tat, dann wäre die Parallele, dass Nathan ein Ahmadi wäre. „Die christliche Kirche würde ich durch eine Moschee ersetzen, und der Patriarch wäre ein muslimischer Fanatiker“. Es wurde in Addis Abeba 1993/94 aufgeführt. In Äthiopien wird sich viel entscheiden, weil dort Christentum und Islam nebeneinander und miteinander gelebt haben: Orthodoxe Kirche 40 % und die islamische Gemeinschaft 45-50%.
Der Autor schließt mit der Forderung viele „Nathan“ Institute zu schaffen. Auch um gegen die Einschätzung vorzugehen, der Nathan sei überholt, denn er sei allzu sehr das Produkt des „Optimismus der Aufklärung des 18. Jahrhunderts“.

Der erste Buchteil gilt dem „Schwierigen Weg zum ‚Nathan’“ da kommt Autor Kuschel schon auf die Vorgänger des Toleranzgedankens, J.F. Cronegk, Voltaire, Torquato Tasso. Im zweiten Teil geht es gegen die „Tragödien in Sachen Religion“. Im Dritten Teil dann entfaltet Kuschel das „pro-muslimische Stück“ als das er den Nathan und die Parabel enttarnt. Saladin sei als Muslim ein „kritischer Spiegel für die Christen“ und der Derwisch Al-Hafi als der Sprecher der Toleranz im Geiste der islamischen Mystik. Der vierte Teil widmet sich dem „Modell eines Miteinander von Juden, Christen und Muslimen“ in den Ringgeschichten. Der Autor beschreibt die literarischen Vorläufer der Lessingschen Ringparabel, die es im Christentum, in der jüdischen Literatur wie im Islam gegeben hat. Er schließt mit der „Basis des Miteinander von Juden, Christen und Muslimen“: Mit dem Wetteifer um das Gute, der Ergebenheit in Gott und der „Alltäglichkeit des Wunderbaren“.

Der Autor weist darauf hin, dass der „Nathan“ ein proislamisches Buch ist. Die Feindschaft gegen den Islam und die Türken war ja eine Leitlinie der europäischen Geschichte. Mit Blick auf Geerd Wilders und Thilo Sarrazin u.a. möchte man sagen, bis heute. 1683 standen die muslimischen Türken vor Wien und „blutrünstige, Angst erregende Muslime waren ein kulturelles Klischee“. Lessings „Nathan“ sei – ähnlich wie 1782 Mozarts „Entführung aus dem Serail“ - ein Zeugnis der Wende, die gewiss auf das Nachlassen der Türkengefahr im 18. Jahrhundert zurückgeht.

Die Islam-Konferenz in den nächsten Monaten müsste beginnen wie mit einem Gebet mit den Sätzen, die Lessing seinem Muslim Saladin über dessen Freund, den Juden Nathan in den Mund legt – zur Abwehr des Fanatismus eines Christen:
„Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde
Muss einer mit dem anderen hadern.
Gib ihn nicht sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!
Sei keinem Juden, keinem Muselmane
Zum Trotz ein Christ!“

Kuschel hat eine wunderbare Fähigkeit, Alltägliches mit geradezu Erhabenem zu verbinden. Er beschreibt, wie der Nathan geboren war aus der tragischen Doppelerfahrung des Gotthold E. Lessing 1777, am zweiten Weihnachtstag war sein Söhnchen einen Tag nach der Geburt gestorben. 14 Tage später war seine Frau an den Folgen des Kindbetts gestorben, am 10. Januar 1778. Lessing schrieb dennoch die größte Vision, den „süßen Wahn“, die Ringparabel, die bis heute nicht eingelöst ist. „Lasst lächelnd wenigstens ihr einen Wahn, in dem sich Jud’ und Christ und Muselmann vereinigen, so einen Süßen Wahn“. Die Vision der Ringparabel in Frage gestellt durch „Auschwitz“, bedroht durch terroristischen Massenmord. Und dennoch ist Lessings dramatisches Gedicht vom Wettstreit der Religionen um das Gute ein Programm geblieben. Der Autor betont, die Schlagseite in der Interpretation des Nathan zu vermeiden. Der Saladin aus dem Stück „erlöst“ alle muslimischen Anti-Helden vom Schlage Aladins. Saladin und Sittah „erlösen“ auch den jahrhundertealten tief eingefressenen Christlichen Antiislamismus. Der erscheint wie der Antijudaismus unausrottbar.

Er schließt mit der Vision, die ja schon in vielen Gestalten Realität ist, wie z.B. in Mithri Raheb, Somaya Nasser in Birzeit, oder in Daoud Nassar auf dem Weinberg „Tent of Nations“ Er schließt mit dem Bild des palästinensischen Arztes Mohammed aus Ramallah, der ein jüdisch-palästinensisches Institut gründet, nachdem er jahrelang die verwundeten Kinder der Intifada behandelt hat, die zerbrochenen Handgelenke und durchschossenen Arme. In dem Institut kann jeweils die eine Seite die Geschichte der anderen studieren. „Denn beide kennen sich fast immer nur als stockschwingende Soldaten und als Steinebrecher. Mohammed geht den Weg Nathans, den Weg Saladins“.
Also, die nächste Islamkonferenz sollte mit einem Gang ins Theater beginnen. Und man sollte „Nathan der Weise“ geben. Die Ringparabel wird uns von allen Panikmachern und Sarrazins und Keleks befreien.

Karl-Josef Kuschel: Im Ringen um den Wahren Ring. Lessings „Nathan der Weise“ – eine Herausforderung der Religionen. Patmos Verlag Ostfildern 2011 232 Seiten



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