Nachrichten Dienstag, 01.12.2009 |  Drucken

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Schweiz gegen die Religionsfreiheit

Europaweite Bestürzung wegen des Volksentscheides – Zentralrat befürchtet, dass Islamfeindlichkeit nicht ernst genommen wird und weitere Angstdebatten für ganz Europa – Scharfe Kritik von Kirchen und Reaktionen aus In- und Ausland - Schlag gegen die Menschenrechte

Das Schweizer Referendum gegen den Bau von Minaretten hat in Deutschland eine Grundsatzdebatte ausgelöst. Deutsche Muslime fürchten, dass eine islamfeindliche Welle über Europa schwappt. Die Angst ist berechtigt: Europaweit jubeln Rechtspopulisten. Die Islamfeindlichkeit hat ebenso europaweit zugenommen (nicht nur in Deutschland) und die Debatten um den Islam arten immer mehr zu Angstdebatten aus. Teile der Politik bagatellisieren dieses Phänomen, reden es klein oder betreiben sogar selbst Islambashing, anstatt aktiv dagegen vorzugehen.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler, reagierte mit Bedauern auf das Ergebnis des Schweizer Volksentscheids. "Ich bin sehr erschrocken, dass eine rechtspopulistische Bewegung und eine rechtspopulistische Partei eine so überwältigende Mehrheit für so ein Verbot erringen konnte", sagte er. Zugleich fürchtet er, dass von dem Ergebnis der Abstimmung eine Signalwirkung ausgehen könnte. "Ich bin natürlich auch sehr besorgt, dass es zu einer europaweiten islamfeindlichen Volksbewegung kommen könnte."

In Deutschland zeigten sich die christlichen Kirchen über das beschlossene Bauverbot entsetzt. "Mit großer Sorge sehen wir die Entscheidung in der Schweiz", sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch.

Stimmen aus In- und Ausland

Die Bundesregierung mahnte zur Zurückhaltung. Man wolle keine Ratschläge erteilen. Beim Bau von Moscheen müsse aber vor Ort entschieden und behutsam vorgegangen werden, sagte Innenminister Thomas de Maizière.
SPD-Vize Olaf Scholz sprach von einem "falschen Signal". Muslime müssten Moscheen bauen können. Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagte, Minderheitenrechte dürften nicht Gegenstand direkter Demokratie sein. "Religionsfreiheit kann man nicht zur Abstimmung stellen."

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte, das Ergebnis der Volksabstimmung sei Ausdruck einer auch in Deutschland weit verbreiteten Angst vor der Islamisierung der Gesellschaft. Darauf konterte SPD-Vize Klaus Wowereit und warnte davor, Ängste vor einer Islamisierung zu schüren.

Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft bezeichnete das Votum als "Ausdruck von ziemlich vielen Vorurteilen". In Frankreich und Großbritannien wurde es als "Angriff auf die religiöse Freiheit" kommentiert. Der Europarat stellte die Berechtigung von Volksabstimmungen zu international garantierten Grundrechten in Frage. Die Vereinten Nationen wollen die Rechtmäßigkeit des Verbots prüfen. Experten untersuchen nun, ob das Verbot mit internationalem Recht vereinbar sei, sagte ein Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte am Montag in Genf.

Der türkische Kulturminister Ertugrul Günay kritisierte das Minarett-Verbot als Zeichen religiöser Intoleranz. Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), die 57 Länder vertritt, in denen der Islam Staatsreligion ist, nannte das Votum "enttäuschend und beunruhigend".

Angst Angesichts der zahlreichen Bestrebungen, auch in anderen Ländern die Bevölkerung über ähnliche Verbote zu befragen, wird bereits die Berechtigung solcher Volksabstimmungen in Frage gestellt. Begründung: Plebiszite dürften nicht international garantierten Grundrechte aufweichen. Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiere das Recht auf Meinungs- und Religionsfreiheit, gab der Generalsekretär des Europarats, Thorbjörn Jagland, am Montag in Straßburg zu bedenken. Es sei daher Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu prüfen, ob ein Verbot von Minaretten mit der Konvention zu vereinbaren sei. Die Schweizer Grünen haben bereits den Gang vor das Straßburger Gericht angekündigt.

Fazit

Die Schweizer haben im Grunde genommen nicht gegen Minarette abgestimmt, sondern gegen die Werte und Grundfesten ihrer eigenen Verfassung. Die Abstimmung ist ein Koletaralschaden für die Demokratie und steht im Widerspruch zum Schweizer Modell, welches für Weltoffenheit, Liberalität und Toleranz stand.

Der Schweizer Volksentscheid gegen Minarette ist auch ein Präzedenzfall, der sich gegen die in den Menschenrechten garantierte Religionsfreiheit richtet.
Und eine Mehrheit kann keiner Minderheit vorschreiben, wie diese ihre Gotteshäuser zu bauen hat. Und dies hat der Volksentscheid getan und damit exakt gegen Menschenrechtskonventionen verstoßen und die Religionsfreiheit in der Schweiz eingeschränkt.

Wir müssen die Moschee im Dorf lassen: In der Schweiz ging es um vier Minarette für 400 000 Muslime. Doch in dem einstigen Modellstaat für Toleranz überließen Politiker und Medien den Rechten das Feld, die eine hysterische Angstdebatte über Ausländer und Muslime losgetreten haben. Und Angst macht bekanntlich blind und führt zu Fehlentwicklungen. Eines dieser Fehlentwicklungen ist die Abstimmung gegen den Bau von Minaretten.



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