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Mittwoch, 22.07.2009 | Drucken |
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UN-Gesandter gegen Rassismus zog Bilanz für Deutschland: Mehr gegen Diskriminierung tun
UN warnt vor NPD und andere rechtsextremen Gruppierungen und kritisiert Kopftuchverbot - EU Fundamental Rights Agency präsentiert Report 2009
Berlin — Nach einer zehntägigen Reise durch Deutschland hat der UN-Sonderberichterstatter gegen Rassismus, Githu Mugai, Behörden und Bürger aufgefordert, mehr gegen Diskriminierung im Alltag zu tun. Die Rundreise Mugai unternahm ein paar Tage vor der Ermordung von Marwa El-Sherbini durch den NPD-Sympatisnaten Alex W.
Die Deutschen richteten nach ihren Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus ihr Augenmerk vor allem auf die Bedrohung durch rechtsextreme Gruppierungen, sagte Mugai bei einer Bilanz seiner Reise in Berlin. Bekämpft werden müsse aber auch der alltägliche Rassismus, der sich im Bildungssystem oder bei der Wohnungssuche zeige. Laut einem Bericht der „Zeit“ kritisierte Muigai auch das Kopftuchverbot. Das Tragen religiöser Symbole schmälere in Deutschland die Chancen bei der Jobsuche, sagte Muigai. Er forderte die Gleichbehandlung aller religiösen Symbole.
Mugai begrüßte, dass sich nach einer langen Debatte die Auffassung durchgesetzt habe, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei und Einwanderer einen wertvollen Beitrag für das Land leisteten. Der UN-Gesandte kritisierte, dass das deutsche Bildungssystem nicht ausreichend auf die besonderen Bedürfnisse von Einwanderern eingehe. Der Schulunterricht solle flexibler gestaltet werden und die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen erleichtert werden, damit Einwanderern nicht ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbaut werden.
Um rassistisch motivierte Entscheidungen bei der Vergabe von Wohnungen und Jobs zu verhindern, sei 2006 zwar das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten, sagte Mugai. Dennoch hätten viele Ausländer, mit denen er auf seiner Reise gesprochen habe, darüber geklagt, dass sie von Vermietern oft abgelehnt würden.
Mugai forderte daher, die AGG-Beschwerdestelle finanziell und personell besser auszustatten. Die Behörde solle möglichst in allen 16 Bundesländern Büros haben und so näher an den Opfern von Diskriminierungen sein. Der Kenianer kritisierte außerdem, dass Einwanderer in Deutschland nicht ausreichend in staatlichen Institutionen wie der Justiz oder Polizei vertreten seien. Auch die politischen Parteien bemühten sich nicht genug um Menschen mit Migrationshintergrund, zumal Nicht-EU-Bürger selbst an Kommunalwahlen nicht teilnehmen dürften. Mit Blick auf die NPD und andere rechtsextreme Gruppierungen sagte Mugai, diese sollten verboten werden, wenn die Rechtslage das zulasse.
Mugai lobte ausdrücklich die Stadtverwaltungen von Stuttgart und Nürnberg für ihr Engagement gegen Rassismus. Außer diesen Städten und Berlin hatte der UN-Sonderberichterstatter gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und verwandte Formen von Intoleranz Köln, Heidelberg, Leipzig, Hamburg und Rostock besucht. Dabei habe er viele interessante Projekte kennengelernt und mit Politikern, Einwanderern sowie Vertretern religiöser Gemeinschaften gesprochen.
In dem FRA-Bericht (EU-MIDIS) zu Diskriminierung von Muslimen in Europa, der erst kürzlich erschienen (siehe auch untere link: http://fra.europa.eu/fraWebsite/press/mr-280509_en.htm) sind auch ausgewählte Ergebnisse zu Deutschland nachzulesen, die das oben beschriebene Bild von des UN-Gesandten bestätigen.
Danach geben 31 % der befragten türkischstämmigen Muslime geben an, innerhalb der letzten zwölf Monaten Diskriminierung (in mind. Einem von neun sozialen Bereichen, z.B. Arbeit/Arbeitssuche, Gesundheitssystem, Wohnungssuche, Zugang zu Geschäften oder Gaststätten, Schule) erlebt zu haben (europäischer Durchschnitt: 30%).
Durchschnittlich haben die Befragten in den letzten 12 Monaten 5.8 solcher diskriminierender Vorfälle erlebt (europäischer Durchschnitt: 7,7)
Besonders verbreitet – im Vergleich zu anderen EU-Staaten – erscheint in Deutschland, Diskriminierung bei der Arbeitssuche (28%), durch Schulpersonal (11%) und durch Personal im Bereich der sozialen Dienstleistungen („social service“) (10%) erlebt worden zu sein.
Wissen um Anti-Diskriminierungsgesetze: 45 % der befragten Muslime in Deutschland geben an, es gäbe keine Gesetzt, das Diskriminierung bei der Arbeitssuche verbietet (38% wissen um ein solches Gesetz)
„Racial profiling“: 24% der befragten türkischstämmigen Muslime in Deutschland gaben an, in den letzten 12 Monaten von der aufgehalten worden zu sein; 37 denken, dies geschah wegen ihres ethnischen Hintergrunds. In Bezug auf Polizeikontrollen an der Grenze glaubten dies 36% der befragten türkischstämmigen Muslime in Deutschland.
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