Artikel Montag, 28.07.2008 |  Drucken

Mit dem Islam gegen Zwangsheirat - Schirmherr Tarik Ramadan setzt sich in Berlin für Frauenrechte ein

Hand in Hand gegen Zwangsheirat - so lautet der Titel der Rotterdamer Initiative, die am 15. Juli im Kreuzberg Museum in Berlin vorgestellt und diskutiert wurde. Auf dem Podium saßen unter anderem Marianne Vorthoren von der Stiftung SPIOR, die das Projekt in Rotterdam initiiert und angeleitet hat, und Prof. Tariq Ramadan, der Schirmherr dieses Projekts ist und sich inhaltlich mit der Thematik auseinander gesetzt hat.

Die Veranstaltung ist gleichzeitig Auftakt für das „Aktionsbündnis Zwangsheirat“, das sich vor zwei Monaten mit den Vereinen Inssan e.V., Muslimische Jugend in Deutschland e.V., der Neuköllner Begegnungsstätte und unabhängigen Frauen in Berlin gegründet hat und nun das niederländische Modell in ähnlicher Weise auf Deutschland übertragen möchte. Dass das Interesse daran groß ist und die Notwendigkeit gesehen wird, sich mit dem Problem Zwangsverheiratung auseinanderzusetzen und aktiv zu werden, bewies die Anwesenheit zahlreicher Gäste - Politiker, Journalisten, Sozialarbeiter, Interessierte. So eng war es, dass im dritten Stock noch ein Raum mit Videoübertragung zur Verfügung gestellt werden musste. „In Rotterdam wurden im Jahr 2007 109 Fälle von Ehrverbrechen gezählt, etwa die Hälfte davon waren Zwangsverheiratungen“, erläutert Vorthoren. Die Dunkelziffer ist vermutlich hoch. „In Berlin sind uns etwa 330 Fälle von drohender oder erfolgter Zwangsverheiratung bekannt“, so Petra Koch-Knöbel, Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, aktiv im Berliner „Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung“ und ebenfalls Teilnehmerin der Podiumsdiskussion.

„Wir können gemeinsam dafür sorgen, dass es nicht zu Zwangsheiraten kommt, und dafür müssen wir aufklären und sensibilisieren“, sagte Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening gleich zu Anfang. „Zwangsheirat passiert in vielen Kulturen - in christlichen Familien in Pakistan, auf der aristokratischen Ebene in Europa, unter Sinti und Roma und so weiter“, betonte Tariq Ramadan. In Deutschland kommen vor allem die „muslimischen“ Fälle zur Sprache, da die hiesigen Einwanderer meist türkischer Abstammung sind. Die Initiative „Hand in Hand gegen Zwangsheirat“ als Kooperation verschiedener Moscheegemeinden, aber auch „säkularer“ Vereine, will zeigen, dass der Islam nicht Grund des Problems von Zwangsehen ist, sondern vielmehr als Teil der Lösung gesehen werden sollte. Viele Qur’anverse und Aussprüche des Propheten Muhammad weisen darauf hin, dass Zwangsehe aus islamischer Sicht nicht zu rechtfertigen ist.

Darauf deutete auch der Berliner „Jugendimam“ Ferid Heider auf dem Podium hin. „Ich sage meinen Schülern in der Moschee immer: Hört nicht auf eure Eltern!“. Gelächter im Raum. Natürlich meint er damit, dass Eltern respektiert werden sollen - aber nicht, wenn es um psychische oder körperlicher Gewalt und auch um Zwangsverheiratung geht. Da geht es um ihre eigenen Rechte, die sie wahrnehmen dürfen, ja müssen! Marianne Vorthoren erzählt von ihren praktischen Erfahrungen. In vielen Seminaren habe es Leute gegeben, die wirklich geglaubt hätten, dass Zwangsehe im Qur’an vorgesehen sei. Dabei habe jeder doch das Recht, seinen Partner selbst auszusuchen. Viele Imame hätten die Jungen und Mädchen dazu ermutigt. Einer habe es ganz praktisch ausgedrückt: „Sich kennenzulernen heißt nicht, dass ich jemandem ein zehn Jahre altes Bild vor die Nase lege und sage: das ist er!“ Das Publikum lachte - so absurd erschien ihm diese Vorstellung. Dabei passiert das vielleicht sogar im eigenen Bezirk in Berlin. Präventiv arbeitet die Rotterdamer Initiative, und präventiv will auch das „Aktionsbündnis Zwangsheirat“ arbeiten. Und das, indem man mit Betroffenen, Gefährdeten und Beteiligten redet, bevor es zu spät ist. Das können Jugendliche, Männer und Frauen, Eltern und Kinder, Verwandte, aber auch Autoritäten wie Imame und Hodschas sein. SPIOR arbeitet hauptsächlich mit Moscheegemeinden zusammen, organisiert Seminare für die verschiedenen Zielgruppen und diskutiert mit Jugendlichen, Eltern und Imamen sowie Hodschas. Dadurch konnte die Initiative bereits etwa 1.500 Menschen erreichen.

Noch hat das „Aktionsbündns Zwangsheirat“ keine finanzielle Unterstützung, aber „alle wichtigen Moscheegemeinden in Berlin haben wir schon mit ins Boot holen können. Sie finden das Projekt toll“, so Tasnim El-Naggar, die als Vertreterin des Aktionsbündnisses auf dem Podium saß. Das Publikum war von der Initiative mindestens genauso begeistert. Jetzt heißt es: Ärmel hochkrempeln und anpacken. Hand in Hand. Gegen Zwangsheirat.(Quelle: Muslimische Jugend Deutschland, eingereicht bei islam.de am 21.07.08)



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