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Mittwoch, 24.01.2007 | Drucken |
Radikaler Kritiker der internationalen Entwicklungspolitik - Rupert Neudeck zu der neu herausgebrachten Autobiographie des Nobelpreisträgers Mohammed Yunus
Warum haben wir den Yunus in den 80er Jahren nicht besser wahrgenommen? Das ist die Frage, die ich mir seit Jahren dauernd stelle. Selbst heute nach der Verleihung des Friedensnobelpreises wagt sich so recht niemand mit einer Würdigung, einem Lob, einer Kritik an ihn heran, warum?
Der Grund ist einfach: Yunus ist der schärfste und radikalste Kritiker der internationalen Entwicklungspolitik, den man sich denken kann. Er wirkt vom äußeren Habitus nicht som, aber er ist es. Wirksam ist er deshalb, weil er diesen Bataillonen von Beratern und Gremien gezeigt hat, und zwar vor Jahrzehnten, wie man das mit der Aufhebung der Armen anfängt und macht.
Man muss das nur in der Autobiographie von Mohammed Yunus nachlesen. Die Beratertätigkeit sei ein respektables Geschäft. Doch in Ländern, die von der Unterstützung durch Geldgeber abhängig sind, hat sie ihre ursprüngliche Bedeutung verloren und sich in etwas anderes verwandelt. Eine „spezielle Art von Beratern taugt nur dazu, Unmengen von Dokumenten zu produzieren. Schön gedruckt und schön gebunden“. Der Inhalt dieser Dokumente sei für niemanden von Nutzen. Immer mehr Beratungsgesellschaften hätten zunehmen Mühe, ihre Beraterdienste zu verkaufen. Inzwischen gelte jemand als der beste Berater, der „die von den Verwaltern der Spenderorganisationen bereits vorab getroffenen Entscheidungen auf beeindruckende Art zu rechtfertigen weiß.“
Alles, was Yunus kritisiert, hat er selbst erlebt, und hat es in der eigenen Praxis seiner Grameen Bank besser gemacht.
Beispiel: Das Projekt Duganon auf der philippinischen Insel Negros. Mehr als die Hälfte der Kinder auf dieser Insel litt an Unterernährung und 1993 beantragte Yunus Mitarbeiterinunsere Anhängerin DR. Cecile del Castillo in Unkenntnis der Arbeitsweise internationaler Berater beim „International Fund for Agricultural Development“ (IFAD)Geldmittel. Yunus schreibt: Die IFAD ist eine UN-Unterorganisation mit Sitz in Rom, die der Unterstützung der Armen Landbevölkerung dienen soll. Sie schickte vier Kommissionen los, um den Antrag der Yunus bekannten Sozialarbeiterin de Castillo zu prüfen. „Dabei wurden Tausende von Dollars für Flugtickets, Spesen und Beraterhonorare ausgegeben, doch das Projekt erhielt nie auch nur einen Cent.“
Das führte – so bemerkt Yunus weiter - zu einem Abkommen zwischen der Philippinischen Regierung und dem IFAD, das 1996 unterzeichnet wurde. Danach sollte IFAD und die Asian Development Bank den Philippinen 37 Mio Dollar leihen, damit dort ein Kleinstkreditprogramm aufgelegt werden konnte. Bis zum März 1998 ist dieses Geld immer noch nicht der eigenen Grammen Schwesternbank überwiesen worden.
YUNUS ist stark, weil er seine Unabhängigkeit bewahrt hat. Er hat sich nicht von der Weltbank kaufen lassen, die mehrere Versuche gemacht hat, ihm für die Grameen Bank ein Darlehen aufs Auge zu drücken. Das letzte Mal 1995, als Yunus eine von der Weltbank angebotene Anleihe von 175 Mio Dollar zu einem Vorzugszins ausschlug. Yunus weiss, wie man die Weltbank ändern könnte: Durch ein Verlegen des Hauptsitzes von Washington nach Dhaka. Warum? Wenn das vorrangige Ziel der Weltbank im Kampf gegen die Armut auf der Welt besteht, dann ist es folgerichtig: „Dass die Bank ihren Sitz in einem Land aufschlagen müsste, in dem die Armut wütet. In Dhaka befände sich die Weltbank direkt im Zentrum des menschlichen Elends.“
Yunus beschreibt in seinem Buch das Gespräch mit einem US-Reporter, der ihn fragte, wie er denn verfahren würde, wäre er der Präsident der Weltbank.
Das Verlegen der Weltbank, so ist Yunus klar, würde schwierig, weil viele der 5.0000 Angestellten sich weigern würden, dorthin umzuziehen. Viele würden es vorziehen, in den Vorruhestand zu gehen. Das aber hätte einen doppelten Vorteil: Zum einen würden jene, die sich der Sache der Armen nicht mit ganzem Herzen verschrieben hätten, von allein gehen. Ich könnte an Ihrer Stelle wirklich engagierte Mitarbeiter einstellen, die etwas von den Problemen verstehen. Zum anderen würde diese die Personalkosten erheblich verringern, da ich Mitarbeiter einstellen könnte, deren Lebensstil keine hohen Gehälter fordert.“ Dieser Vorschlag ist nie diskutiert worden.
Es gehört mit zur intellektuellen Faszination dieses Muhammad Yunus, dass er nie in sein eigenes Argument verliebt oder verbohrt ist. Er hat den neuen Präsidenten James Wolfensohn natürlich gern empfangen, der im Oktober 1997 zu ihm nach Bangladesh kam, um an der Regierung gleichsam vorbei zu den Dörfern und den bankfinanzierten ländlichen Projekten vorzustoßen. Er traf Kreditnehmerinnen, besuchte eine Zweigstelle der Grameen Bank und diskutierte ausgiebig mit ihnen. Yunus lässt sich auf Wolfensohn ein, weil der es ehrlich meint. Er gibt ihm die Vorstellung eines Partners in der Bekämpfung der Armut. Er nimmt eine Einladung des artverwandten Wolfensohn nach Washington an. Aber seine, Yunus, Hochstimmung verflüchtigte sich sofort als er sich mit den wichtigsten Mitarbeitern der Weltbank zusammensetzte. Nach vier Tagen ist Yunus realistisch genug, das Ziel zu bezweifeln. Dennoch: „Ich glaube, dass der Kapitän dieses Schiffes, wenn er sein Ziel nur entschlossen genug anpeilt, das Schiff trotz aller Schwierigkeiten auf Kurs bringen kann.“
Dann fügt Yunus etwas hinzu, was den Westlichen Leser sprachlos macht: „Unterdessen bete ich für den Kapitän, dass er aufrichtig und entschlossen bleibt.“
Das Buch ist ein Lehrbuch für alle ungeduldigen Westler: Langsamkeit ist das Geheimnis der großen Initiativen. Er, Yunus beschreibt alle Wege, die er sich langsam erobert hat, mit einer Ruhe, die schon fast an stoische Tugenden gemahnt. Er ist ein Vorbild für den akademischen Professor, der sich für die kleinsten Fragen für seine eigenen Mitarbeiter und die Reinemachefrauen nie zu schade ist. Der Grabspruch des Ignatius Loyola ist wahrscheinlich, obgleich lateinisch, wie für ihn gemacht: „Non coerceri maximo, contineri tamen a minimo – divinum est. Sich nicht vom Größten (Widerstand) besorgen lassen, aber auch im kleinsten miteingeschlossen zu sein, ist göttlich.
Im Oktober 1977 trifft er den Managing Direktor der Bangladeshi Krishi Bank, der Landwirtschaftsbank mit dem langen Namen, Mr. Anisuzzaman. Dieser hebt zu einer heftigen Pauschalkritik an den Intellektuellen und Professoren an. „Ihr seid allesamt nutzlos. Ich bin zutiefst angewidert von dem was ich in dieser Gesellschaft beiachten muß. Die Devise lautet: jeder für sich. Niemand kümmert sich um die Armen, und so versinken sie immer tiefer in Armut“. Schon hatte Yunus einen Verbündeten. Er begann seine Bank mit dem Namen Gram, was Dorf heißt. Und er begann in einer Gegend, die Tangail heißt, und damals noch von den Taliban der damaligen Zeit, Guerillas der Gono Bahini, einer bewaffneten marxistischen Untergrundgruppe verunsichert, Leichen pflasterten den Weg der ersten Studenten von Yunus, die dir ihre ersten Bankfilialen aufmachten.
Wichtig war die materielle Unterstützung durch eine große Stiftung. Yunus ist nicht manichäisch genug, um die Unterstützung einer US Foundation anzunehmen, nämlich der Ford-Stiftung. Yunus Mohammad ist ein richtig guter und selbstbewusster Muslim. Das macht ihn als Nobelpreisträger so bewundernswert. Wunderbar, wie er in dem turbulenten Aufbau Jahr der Bank Grameen das Aid el Fitr Fest 1977 beschreibt, wenn dann die Universität und alle betriebe zumachen, die Stimmung heiter und ausgelassen ist, die kleinen kichern, essen, amüsieren sich.
Wir essen meine liebsten Süßigkeiten, die köstlichen Rashogolla, ein auf der Grundlage von Milch hergestellter Bonbon. Ich nehme mir von dem Semai, außerdem gibt es einen Brei von Mango und Kheer, einer Art von eingedickter Kondensmilch.
Worüber Yunus sehr wütend ist: Wenn jemand das sagt, was ich vor wenigen Wochen in Berlin von dem Schlaumeier einer großen NGO hörte: Aber damit kann man nur in dem spezifischen kulturellen Umfeld von Bangladesh erfolgreich sein. Eine groteske Bemerkung, sagt Yunus. Im Gegenteil, Grammen hat sich in Bangladesh durchsetzen müssen. Sie gilt als Anstifter zu einer Sozialrevolution.
Es ist ein Buch, das für jeden Pflichtlektüre sein müsste, der neu in diese Entwicklungspolitik oder die humanitäre Hilfe hineinkommen will. Erst nach der Lektüre wird jemand fähig sein, zu begreifen, worum es geht.
Es geht um die Dörfer und nicht um die Hauptstädte. Man musst auch in der Armut selbst leben können. Wenn man nur Berater ist, klaut man anderen einen Beruf und ein Gehalt.
Grameen hat zwölf Millionen Menschen schon erreicht, hilft damit einem Zehntel der Bevölkerung Bangladeshs. Es hat in 73.609 Dörfern von Bangladesh etwas erreicht. Es hat 12.000 Mitarbeiter in 2.283 Filialen. 97 Prozent der 6.83 Millionen Kreditnehmer sind Frauen. Die Rückzahlungsrate liegt bei 98,91 Prozent.
Mohammad Yunus: Für eine Welt ohne Armut. Die Autobiographie des Friedensnobelpreisträgers. Lübbe Bastei Lübbe Taschenbuch Bergisch Gladbach 2006, 352 Seiten
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