Leserbriefe Donnerstag, 09.02.2006 |  Drucken

Leserbriefe



Martin B. schrieb:
Karikaturenstreit: Große friedliebende Muslimmehrheit ist im Meinungsbild der Medien fast schon verschwunden


nachdem ich Ihren Artikel vom 04.02.06 "Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann" zum Karikaturenstreit gelesen habe, wende ich mich an Sie als Generalsekretär des Zentralrates der Muslime in Deutschland.

Wir beide haben das Glück in einem Land groß geworden zu sein, das 60 Jahre lang keinen Krieg erleben musste.

Ich selbst begleite die deutsche Politik seit Jahrzehnten. Selbst in den Zeiten der Konfrontation mit dem Ostblock, immer gab es Wege zu einer friedlichen Lösung der Probleme und glücklicherweise sind unsere Politiker diese Wege auch gegangen.

Zum ersten Mal nach über dreißig Jahren sehe ich nun, wenn ich die Fäden weiter denke, plötzlich keinen Ausweg mehr.

Die große friedliebende Moslemmehrheit, die bei uns von Ihnen vertreten wird, ist im Meinungsbild der Medien fast schon verschwunden. Radikalislamische Kräfte proben den Aufstand und muten uns Europäern Dinge zu, die wir nicht mit uns machen lassen.

In den Köpfen unserer Bevölkerung ist davon bisher glücklicherweise noch wenig angekommen. Bisher denken die meisten Europäer noch, es ginge um lächerliche Kleinigkeiten, für die es sich nicht zu engagieren lohnt.

Im Moment sieht es noch so aus, als wolle Europa nur seine Ruhe haben und würde deswegen zu allem Ja und Amen sagen. In einigen Monaten aber, wenn unsere Bevölkerung verstanden hat, was uns da zugemutet wird, dann wird es, so fürchte ich, kein Zurück mehr geben.

Eine der wenigen Möglichkeiten, die Auseinandersetzung noch einzudämmen, bevor sie alle Grenzen sprengt, könnte vielleicht darin bestehen, dass die Europäischen Muslime eine aktive Rolle übernehmen und den radikalen Kräften die Meinungsführerschaft aus den Händen nehmen.

Diese Möglichkeit halte ich deswegen für gegeben, weil die radikalen Kräfte zwar nicht davor zurückscheuen die Moslemmehrheit an die Wand zu drücken, gleichzeitig aber auch darauf angewiesen sind, dass diese Mehrheit sich das gefallen lässt.

Erst eine künstlich erzeugte Verärgerung der Massen wie beim derzeitigen 'Karikaturenstreit' gibt den radikalen Kräften überhaupt die Chance, Ziele zu verfolgen, die vermutlich ebenso islamfeindlich wie europafeindlich sind.

Damit aber hat die Moslemmehrheit den Schlüssen in der Hand, auf friedliche Weise zu erreichen, was für Europa auf diese Weise möglicherweise kaum mehr zu erreichen ist.

Was ich damit genau meine, habe ich im Forum 'Gesellschaft&Politik' von Milli Görüs unter dem Thema 'Wo sind die Besonnenen?" zu erläutern versucht. (http://www.igmg.de)

Ich denke, wenn meine Kirche auf der Ebene wo politisches Handeln gefragt ist von einer radikalen Minderheit derart an die Wand gespielt würde, würde meine Kirche den Spieß umdrehen und vielleicht folgendes machen:

Nach gründlicher Überprüfung der Glaubensgrundlagen käme meine Kirche vielleicht zu dem Ergebnis, dass im Namen unserer Religion begangene Gewalttaten nicht nur ein Verstoß gegen unsere Glaubensregeln sind, sondern den Betroffenen auch das Recht geben, uns durch Karikaturen von Gott daran zu erinnern, dass wir Gewalt im Namen unserer Religion nicht zulassen dürfen.

Meine Kirche würde dann wahrscheinlich verkünden, dass Gewalttaten im Namen unserer Religion eine Beleidigung Gottes sind, weil die Opfer religiös motivierter Gewalt das Recht haben, sich durch Karikaturen von Gott über diese Gewalttaten zu beschweren.

Ob das für Sie ein gangbarer Weg ist, kann ich natürlich nicht beurteilen.

Ich lasse den Gedanken einfach als Denkanstoß stehen und hoffe inständig, dass sich eine große Auseinandersetzung auf diese oder jene Weise doch noch vermeiden lässt.


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