Leserbriefe |
Freitag, 10.10.2003 | Drucken |
Leserbriefe
Navid Kermani an Spiegel-Herausgerer Stefan Aust schrieb:
Natürlich gibt es anständige Muslime, nur sind sie die Ausnahme. Das zumindest
suggerieren Medien wie etwa "Der Spiegel". Ein offener Brief an den Herausgeber
Sehr geehrter Herr Aust,
leider schreibe ich Ihnen erst jetzt, da Sie bereits das nächste Heft herausgebracht
haben. Als ich das Kopftuch auf dem Titelbild der letzten Ausgabe sah, wusste ich
schon, dass ich sie besser nicht kaufen sollte. Aber dann kaufte meine Frau das Heft.
Ein paar Tage lag es auf der Fensterbank neben dem Esstisch, ohne dass ich es
nahm, aber als dann heute Morgen die Zeitung nicht kam, nahm ich es doch und
schlug wie zufällig die Seite auf, auf der Sie die betenden Muslime unter anderem
neben verblutenden Hammeln abgebildet haben. Ich habe den Artikel nur überflogen.
Schon bei Ihrem letzten Islamheft, das die Schiiten zum Titelthema hatte, beging ich
den Fehler, es zu lesen, und wo ich mich unter normalen Umständen nur darüber
gewundert hätte, wie gut ausgebildete, intelligente Journalisten so viele falsche -
nein, nicht tendenziöse oder einseitige, sondern schlicht falsche, von jedem
Fachbuch, jedem seriösen Islamwissenschaftler zu widerlegende - Informationen in
einem Artikel unterbringen können, wo ich mich also normalerweise nur gefragt hätte,
warum sich Ihr Haus kein anständiges Redigat leistet, da habe ich mich erschrocken.
Ich kenne natürlich den Stil Ihres Magazins, ich weiß, wie Sie Zitate aneinander
reihen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben, wie Sie in die Nachrichten
vieldeutige Bemerkungen einflechten und bei der Auswahl der Bilder und ihrer
Unterschriften genau darauf achten, dass sie die Suggestion verstärken. Darüber ist
oft geschrieben worden, und man kann Ihnen viel vorwerfen, aber nicht, dass Sie die
Opfer Ihrer Investigationen nicht mit stets gleicher Lust vorführen. Wenn es die
Richtigen traf, Herrn Flick, Herrn Kohl oder in letzter Zeit Herrn Bush, habe ich mich
auch keineswegs darüber empört, im Gegenteil. Ich weiß schon, es ist kein
Ressentiment, wenn Sie bei einem Aufmacher über die Schiiten, den Islam oder jetzt
über die Muslime in Deutschland auf die gleiche Weise verfahren. Es ist einfach Ihre
Art. Ich habe immer schon gedacht, wie unangenehm es sein muss, so vorgeführt zu
werden, und dass ich schon deshalb froh bin, kein Politiker zu sein, weil der
Montagspranger dann gewissermaßen zum Berufsrisiko gehören würde. Aber dann
stand ich doch da, am Pranger, obwohl ich nirgends eingetreten bin, nichts
unterschrieben habe und der Verfassungsschutz mir gewiss jede
Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen würde, bloß aufgrund meiner Herkunft:
als schiitischer Muslim in Deutschland. Dabei trägt seit zwei Generationen niemand
bei uns ein Kopftuch; nicht einmal einen Bart haben wir uns in den letzten Jahren
zuschulden kommen lassen, es sei denn, ich war wieder mal zu verkatert, um mich
zu rasieren.
Gewiss, Sie werden sagen, dass Sie doch gar nicht die Muslime an sich angegriffen
haben, sondern nur die bösen Fundamentalisten. Das sagt man immer. Gegen die
Juden an sich hatte man auch nichts, und wenn Sie läsen, wie viele anständige
Armenier es Anfang des vergangenen Jahrhunderts in der Türkei gab, würden Sie
staunen. Auch Der Spiegel kennt anständige Muslime, diese junge Frau etwa am
Ende Ihres Artikels, die früher so verbohrt war, ein Kopftuch zu tragen, und sich
endlich befreit hat. Es ist nur gerecht, dass sie nun auch eine Arbeit findet oder eine
neue Wohnung. Schließlich geht sie neuerdings in die Disco.
Wenn Sie mich kennen lernten, würden Sie sagen, ich gehöre doch auch zu den so
genannten "gemäßigten" Muslimen, und meine Frau, meine Eltern, meine gesamte
Familie ebenso. Ja, wahrscheinlich würden Sie einen Skandal daraus machen, wenn
Leute wie wir keine Arbeit oder keine Wohnung mehr in Deutschland fänden,
schließlich sind Sie kein Rassist. Aber dann würde ich sagen: Ich bin nicht Onkel
Tom. Ich würde sagen, dass ich zu denen gehöre, nicht zu Ihnen. Ich würde mich in
einem "Wir" wiederfinden, das ich zuvor nicht reflektiert habe, nämlich einem "Wir
Muslime". Das ist schrecklich. Ich will keinem öffentlichen "Wir" angehören; einem
Fußballverein vielleicht, aber doch keiner gesellschaftlichen Randgruppe. Aber Ihr
Artikel zwingt mich in dieses "Wir", indem er Einzelne von uns bewusst ausnimmt,
gewissermaßen adoptiert, nur um den Rest zu Fanatikern zu erklären, zu Barbaren
und Frauenhassern. Da gehöre ich lieber zu den Barbaren als zu Ihnen. Da beharre
ich lieber darauf, dass ich zu einer Kultur gehöre, in der manche Frauen Kopftuch
tragen. Genau das, was Sie heuchlerisch beklagen, befördern Sie: dass gerade
Migrantenkinder der zweiten und dritten Generation sich - statt sich zu integrieren -
immer häufiger in die Imagination ihrer Elternkultur zurückziehen.
Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob religiöse Symbole wie das Kopftuch in
der Schule einen Platz haben, aber wenn Sie jeder Frau, die es trägt, schon deshalb
Umsturzpläne für Deutschland unterstellen und dass sie sich in die Unterdrückung
ergeben hätte, ist das mehr als nur eine Verleumdung: Sie heizen jenes Klima noch
an, in dem Musliminnen in Deutschland auf der Straße angespuckt oder aufgefordert
werden, zu den Mullahs zurückzukehren. Das eben ist der Unterschied, ob Sie Ihre
Kampagne gegen eine Partei oder eine gesellschaftliche Gruppe richten: Die
Empörung gegen Letztere entlädt sich nicht bloß auf Wahlzetteln. Indem Sie implizit
gutheißen, dass Frauen mit Kopftuch keine Arbeit mehr finden in Deutschland oder
keine neue Wohnung, gehen Sie viel weiter als Herr Beckstein oder die Bild-Zeitung -
Sie wollen diese Frauen nicht bloß aus den Schulen, sondern aus dem Land haben.
Sie wären nicht die Einzigen, die gehen würden.
Zum Glück aber ist die notwendige, überfällige Diskussion um den Islam in
Deutschland weit differenzierter als in Ihrem aufklärerischen Magazin.
Mit freundlichen Grüßen bin ich Ihr Navid Kermani
P.S.: Die taz bat mich, dem Brief 1.200 Zeichen hinzuzufügen, damit er die Seite
ausfüllt. Das nutze ich, um nachzutragen, wie unwohl mir dabei ist, den Islam oder
die Muslime gewissermaßen zu verteidigen (so jedenfalls muss es wirken). Ich sehe
die Aufgabe des Intellektuellen wie des Literaten darin, die jeweils eigenen Kulturen
in ihrer Abscheulichkeit zu sezieren. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass ich
den erbärmlichen Zustand, in dem sich viele muslimische Länder, ja der Islam als
Zivilisation heute befindet, weit präziser beschrieben habe, als es je in den Floskeln
möglich wäre, auf die Sie den Intellekt Ihrer Autoren wie Leser zurechtstutzen. Um
gar nicht erst der Gefahr des Apologetischen ausgesetzt zu sein, will ich instinktiv die
Augen schließen vor Spiegel-Ausgaben oder Talksendungen zum Islam. Aber wenn
der Nachbar im Kiosk und der Landesverfassungsrichter in der FAZ, der Historiker
aus Bielefeld und der Bischof aus Berlin nach der Lektüre Ihres Heftes und ähnlich
gedankenarmer Publikationen sich mit genügend Informationen ausgestattet sehen,
Fatwas zum Islam abzugeben, platzt mir gelegentlich der Kragen. Mehr nicht.
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