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Montag, 03.09.2012 | Drucken |
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„Muslimische Islamkritiker“ als Stichwortgeber für den islamfeindlichen Diskurs?
Muslimische Eliten in Deutschland sind aufgerufen, sich innerhalb der bestehenden Islamverbände für einen zeitgemäßen Islam einzusetzen - Von Mohammed Khallouk
Abgrenzung gegenüber dem islamischen Mainstream dient der Selbstbestätigung Ressentiments finden in einer Gesellschaft immer am leichtesten ihre subjektive Bestätigung, wenn sie von denjenigen, gegen die sie gerichtet sind, ausgehen und vorgebracht werden. Es ist sicherlich ein offenes Geheimnis, dass die meisten Judenwitze, die unter Nichtjuden verbreitete Stereotype karikieren, ursprünglich auf Juden zurückgehen. Die aktuell in der deutschsprachigen Öffentlichkeit bestehenden Ressentiments gegenüber dem Islam stützen sich sogar in einem „wissenschaftlich“ und „intellektuell“ anmutenden öffentlichen Diskurs auf Bestsellerautoren aus der muslimischen Minorität in der eigenen Gesellschaft als Stichwortgeber.
Dabei besteht die erklärte Absicht jener „muslimischen Islamkritiker“ – ebensowenig wie bei den selbstironischen Juden darin, die Negativstigmatisierung der eigenen Religion und ihrer Glaubensgenossen zu fördern oder gar deren Integration in die westlich-christlich geprägte Mehrheitsgesellschaft zu torpedieren. Vielmehr tritt man mit dem Anspruch auf, die „internen Integrationsbarrieren“ – möglicherweise ein wenig überzeichnet – herauszustellen, um Bedingungen zu skizzieren, unter denen ein Muslim die Wertvorstellungen der vom Westen ausgehenden Moderne nach außen verkörpern könne.
Das Bewusstsein wird vermittelt, eine „schweigende Mehrheit“ der Muslime in westlicher Gesellschaft habe sich von als „konservativ“ oder „reaktionär“ definierten Vorstellungen, die in besonderer Weise dem Islam zugeschrieben werden, bereits gelöst. Lediglich die Islamverbände, sowie eine von Islamischen Staaten und Herkunftsländern der Immigranten finanziell protegierte muslimische Funktionselite sorge dafür, dass dort geltende gesellschaftspolitische Maßstäbe die zeit- und kontextgemäße Islampraktizierung in Deutschland und Europa einschränkten.
Theologische Scheinkontroversen verhindern die Lösung der Alltagsprobleme der Muslime und der Mehrheitsanspruch selbsternannter Demokraten konterkariert die Demokratisierung der Mehrheit
Mag die bewusste Hinwendung in Deutschland aufgewachsener, zur sogenannten „dritten Einwanderergeneration“ zählender jüngerer Muslime zu den Islamverbänden, mehr noch zu einer traditionsbewussteren Religionspraktizierung in mangelhafter Akzeptanz durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft und hiervon ausgehend in Opposition gegen deren Wertvorstellungen korrekt diagnostiziert sein. Die pauschale Kategorisierung der hierzulande organisierten Islamrepräsentanten als „rückständig“ fördert bei der muslimischen Minorität geradezu die Modernitätsskepsis, wie es gleichzeitig die nichtmuslimische Majorität in ihren Islamressentiments subjektiv bestätigt und dieser für die Ausgrenzung der Muslime scheinbaren Rechtfertigung bietet.
So berechtigt die Forderung zur Akzeptanz von Pluralität mit divergenten Weltanschauungen und Lebensmodellen in einer Demokratie erscheinen mag, eine Religion wie der Islam, ebenso aber auch das Juden- oder Christentum, basiert auf bestimmten schriftlich fixierten Normvorstellungen, die zeitgemäß praktiziert, jedoch keineswegs zur Disposition gestellt werden können. Wenn Identitätsfindung nur in der Abgrenzung von islamischen Grundsätzen gelingt, lässt sich nicht erwarten, dass die Identität als Muslime mit einer Identität als deutscher Verfassungspatriot kombiniert wird.
Der Integration werden geradezu künstliche Barrieren entgegengestellt. Man praktiziert im Grunde genommen jene Intoleranz, die man den Verbandsfunktionären und sogenannten „Fundamentalisten“ vorwirft. Nur die eigenen als „liberal“ oder „zeitgemäße Koranauslegung“ definierten Positionen gelten als akzeptabel. Man erhebt zudem ohne demokratische Legitimation den Anspruch, die Mehrheit der Muslime zu repräsentieren.
In der Tat lassen die Strukturen der meisten Islamverbände und Moscheevereine in Deutschland aus demokratietheoretischem Blickwinkel Defizite erkennen. Indem diesen sogenannte „liberal-islamische“ Konkurrenzvereine entgegengestellt werden, trägt man nicht nur zur Spaltung der muslimischen Gemeinden, sondern zur Verfestigung der unmodern anmutenden Strukturen der nach wie vor mitgliederstärkeren traditionellen Islamverbände bei. Dort wird Modernität naheliegenderweise nicht mit mehr Demokratie und Pluralität, sondern mit Distanzierung von islamischen Grundsätzen und Antizipation der Einstellungen der nichtmuslimisch geprägten Majorität assoziiert.
Auf diese Weise wird erst jenem als „Rückständigkeit“ stigmatisierten Konservatismus das Fundament zur Ausbreitung bereitet. Zugleich entzieht man sich der Möglichkeit, innerhalb der bestehenden Verbandsstrukturen und innerhalb des vom Islam vorgegebenen Rahmens zeitgemäße Gesellschaftsvorstellungen zu verkörpern und durchzusetzen. Mit der zusätzlich an den Staat herangetragenen Forderung, bei der Imamausbildung oder beim Erstellen von Lehrplänen für islamischen Religionsunterricht ohne vorherigen Konsens mit anerkannten muslimischen Verbandsfunktionären Beauftragte auszuwählen und deren inhaltliche Ausrichtung zu bestimmen, legitimiert man die staatlich institutionelle Bevormundung der Muslime. Vielmehr billigt man einer nichtmuslimischen weltlichen Obrigkeit die Entscheidung zu, wie der Islam zeitgemäß in Deutschland auszulegen sei.
Die Vorgaben des Vatikans und der deutschen Bischofskonferenz in Bezug auf ethische Fragen wie Stammzellenforschung, künstliche Befruchtung und nicht zuletzt zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften entsprechen ebensowenig den Liberalitätsansprüchen der Mehrheit der deutschen Elite. Dennoch kommt diese nicht auf den Gedanken, zu fordern, dass den Bistümern das Mitspracherecht bei katholischen Religionslehrplänen entzogen werden solle. Man ist sich offensichtlich bewusst, dass die Mehrheit der katholischen Religionslehrer ihre Erziehung zwar im katholischen Rahmen, durchaus aber mit den eigenen gesellschaftspolitischen Ansichten durchzuführen pflegt. Dieses Potential Islamlehrern und Imamen indirekt abzusprechen, zeugt von einer Ignoranz, die nur entweder auf Unkenntnis der Realität unter deutschen Muslimen basiert oder auf Antizipation bestehender Ressentiments der nichtmuslimischen Mehrheit.
So finden islamfeindliche Propagandisten keine Kronzeugen mehr
Da die Islamverbände – unabhängig davon, ob sie mit ihren Ansichten die Majorität der Muslime repräsentieren- beständigen Zugang zu gewöhnlichen Gläubigen besitzen, sind diese jedoch in der Lage, die konkreten Alltagsprobleme von Muslimen in der deutschen Gesellschaft zu benennen. Wenn sie den Status als Körperschaften öffentlichen Rechts zugestanden bekämen und in allen diesbezüglich relevanten Gremien vertreten wären, könnten sie zur Überwindung jener Probleme, die von der Mehrheitsgesellschaft mit verursacht sind, aktiv beitragen.
Wesentlich erweist sich, dass die deutsche Öffentlichkeit mit der Tatsache konfrontiert wird, jene Konflikte sind nicht dadurch verursacht, dass die Muslime in Deutschland in theologischen Fragen konservativ oder liberal eingestellt sind. Vielmehr resultieren sie in der fehlenden Bereitschaft eines Teils der nichtmuslimisch dominierten Öffentlichkeit, sie als gleichberechtigte Mitglieder der deutschen Gesellschaft anzuerkennen.
Jenen ressentimentgeleiteten Verantwortungsträgern in Politik und Medien gilt es die Basis zu entziehen und ihnen nicht im Gewand eines Muslims zusätzliche Legitimation zuzugestehen. Das Eintreten für Identitätenpluralismus und der Anspruch, eine muslimische mit einer deutschen Identität zu verbinden, besitzen Berechtigung. Es erfordert, nicht nur zwischen Muslimen und Nichtmuslimen Differenz zuzulassen, sondern auch divergente Ansichten unter Muslimen zu akzeptieren, sofern diese innerhalb des vom Islam vorgegebenen Rahmens bleiben.
Die gesellschaftskritischen muslimischen Eliten in Deutschland sind deshalb aufgerufen, sich innerhalb der bestehenden Islamverbände für einen zeitgemäßen Islam einzusetzen, der das Festhalten an vorgegebenen Normen ebenso beinhaltet wie die Suche nach Konsens. Eine muslimische Gemeinde, die öffentlich geschlossen für die Anliegen ihrer Mitglieder eintritt, wird auch deren Integration unterstützen können. Die islamfeindlichen Propagandisten finden keine Kronzeugen mehr vor, mit denen sie eine demokratischen Idealen widersprechende Ausschlusspolitik gerechtfertigt verfolgen können.
Zum Autor: Mohammed Khallouk
Dr. Mohammed Khallouk ist Politologe und Islamwissenschaftler. Er studierte Arabistik, Islamwissenschaft und Politikwissenschaft in Rabat und Marburg, wobei er sich in besonderem Maße Konflikten im arabo-islamischen Raum und dem Kulturaustausch zwischen Europa und der islamischen Welt zuwandte. Seit seiner Promotion habilitiert er sich bei Michael Wolffsohn über Juden in Marokko und lehrt Politikwissenschaft an der Universität Marburg. 2009 erhielt er den Kulturpreis der ‚Euro-Mediterranean Association for Cooperation and Development e.V. (EMA)‘. Seit 2010 ist er Beauftragter für wissenschaftliche Expertise des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD)
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