Artikel Sonntag, 11.10.2009 |  Drucken

Ein Mann zeigt Zivilcourage - Nach dem Mord in München:

(iz). Vor wenigen Wochen wurden wir in Deutschland wieder von einer Nachricht erschüttert. Ein Mann zeigt Zivilcourage und wird dafür totgeschlagen. Die Täter sind Jugendliche. Sie werden als S-Bahn Schläger beschrieben. Das Opfer, ein Münchner Manager, war offenbar gerade unterwegs zu seiner Lebensgefährtin. Die späteren S-Bahn Schläger haben in der Bahn zwei Mädchen und zwei Jungen (13 bis 15) erpresst, forderten Geld und drohten mit Schlägen. Die Jugendlichen schrien und flehten um Hilfe, aber keiner der Fahrgäste reagierte. Nur der Manager zeigte Zivilcourage und rief die Polizei. Als er dann - mit den verängstigten Jugendlichen - aus der Bahn steigt, tun es ihm die S-Bahn Schläger gleich. Und dann beginnt die Schandtat. Der Manager wird mit gezielten Tritten ins Gesicht sehr schwer verletzt, er konnte nicht reanimiert werden und starb im Krankenhaus.

Es waren die „S-Bahn Schläger“. Aber, da fehlt doch etwas? Wo bleibt die haargenaue Beschreibung des Täters? Aus welchem Land kommen seine Eltern? Der hat bestimmt einen Migrationshintergrund und wenn nicht, dann hat der doch bestimmt unter Ausländern gelebt oder zumindest in der Nähe gewohnt? Das soziale Deutschland habe versagt, oder doch nicht? Solch eine schändliche Tat findet leider nicht zum ersten Mal statt. Das Interessante in diesem Fall ist nun die objektive Darstellung direkt nach der Tat. Es ist nicht vorauszusagen, wie sich die Berichterstattung entwickeln wird und welche Details noch enthüllt werden, jedoch wird keiner der beiden Täter stigmatisiert oder besonders hervorgehoben, was sehr positiv zu beurteilen ist.

Im Dezember 2007 haben zwei Jugendliche (17-jähriger Grieche und 20-jähriger Türke) den Rentner Bruno brutal überfallen und stark verletzt. Sie wurden wegen versuchten Mordes angeklagt. Das Interessante und Beschämende war aber, dass die Tat sehr stark personalisiert und das eigentliche soziale Problem verlagert wurde. Die Menschen und auch die Politiker fingen an, von härteren Maßnahmen und Strafregelungen zu sprechen. Hessens Ministerpräsident Roland Koch hat sogar seinen Wahlkampf um dieses Thema aufgebaut und die Bilder von der schändlichen Tat auf seinen Wahlplakaten abbilden lassen.

Der Unterschied zwischen der aktuellen Attacke und der im Dezember 2007 ist die Personalisierung der letzteren. Während jetzt sehr sachlich und objektiv über den Vorfall berichtet wird (zumindest bisher), stürzten sich die Journalisten 2007 auf die Herkunft der Täter statt auf den Tathergang. Sie schürten die Ängste vor dem fremden Ausländer, der sowieso nur Probleme verursache. Es wurde eine Debatte über das Jugendstrafrecht entfacht. Wochenlang wurde der türkische Täter in den Mittelpunkt der Ermittlungen gerückt. Er sei der brutale Schläger gewesen. Er habe kein Herz gezeigt. Er habe es nicht verdient, in Deutschland zu leben. Aber dann die Überraschung: Es stellte sich heraus, dass der Türke gar nicht der brutalere der beiden Täter war. Der Andere war es, aber wie so oft hat sich nun mal die erste Version besser verkauft - sie war glaubwürdiger. Sogar der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden, Rudolf Egg, sagte 2007: „Die Jugendkriminalität in Deutschland ist nicht so schlimm, wie sie manchmal dargestellt wird. Aber wir haben Schwierigkeiten bei besonderen Gruppen“. Es bleibt abzuwarten, ob die Debatte um härtere Maßnahmen jetzt auch wieder entfacht wird.

Die größte Gemeinsamkeit der beiden Taten ist, dass sie beide schrecklich und zu verabscheuen sind. Sie sind in keinster Weise zu rechfertigen. Egal welcher Nationalität man angehört und welchen Hintergrund die Eltern auch haben mögen; solch eine Tat ist unmenschlich und muss bestraft werden. Man muss dieses soziale - und nicht ethnische - Phänomen durch präventive Maßnahmen lösen. Das Problem ist vielfältig, es spielen mehrere Faktoren mit hinein. Die Familie, Bildung, Medien und noch viele mehr. Ich denke, dass die Fokussierung auf die Indikatoren weitaus gewinnbringender sein wird als die Ethnisierung des Problems. Ich frage mich, ob Herr Roland Koch einen Wahlkampf mit den Bildern der neuen Münchner Tat wagen würde.

Die beiden Vorfälle sind wie zwei gleiche aber doch unterschiedliche Seiten einer Medaille. Das Problem fängt erst an - und hört leider nicht auf - wenn wir es verlagern. Wenn wir solch eine schändliche Tat personalisieren und nicht die wahren Gründe herausfinden und analysieren, werden wir noch in den nächsten Jahren solche Schreckensmeldungen lesen. Der Unterschied wird dabei dann nur sein: Ist der Täter Deutscher oder Ausländer?
Mit freundlicher Genehmigung der Islamischen Zeitung; Erstveröffentlichung am 25.09.09




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