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Sonntag, 20.07.2008 | Drucken |
Wie gerecht muss ein Weltgericht sein und: Gilt Kriegsrecht nur für Verbrecher besiegter Länder?
Brief von Jürgen Todenhöfer an den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes wegen seiner Anklage gegen den sudanesischen Präsidenten
"Sehr geehrter Herr Moreno Ocampo,
wie viele, denen die universelle Geltung der Menschenrechte wichtig ist, begrüße ich, dass Sie das Verhalten des sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al Baschir juristisch überprüfen lassen wollen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen nicht ungesühnt bleiben. Dass der Täter amtierendes Staatsoberhaupt ist, darf, wie Sie richtig festgestellt haben, keine Rolle spielen. Wenn Sie Beweise haben, müssen Sie Anklage erheben.
Als früherer Richter erlaube ich mir jedoch die Frage, warum Sie nicht mit derselben Härte und Gerechtigkeit gegen die Verantwortlichen des Irakkrieges - also etwa gegen den US-Präsidenten George W. Bush oder den britischen Ex-Premierminister Tony Blair vorgehen.
Der mit Unwahrheiten begründete Irakkrieg war laut damaligem UN-Generalsekretär Kofi Annan "illegal", also völkerrechtswidrig. Für jeden war erkennbar, dass kein Verteidigungsfall vorlag. Einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates gab es nicht. Auch das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat den Irakkrieg daher 2005 als völkerrechtswidrig eingestuft.
In diesem Angriffskrieg starben bis 2006 nach Angaben der unabhängigen amerikanisch-irakischen "Lancet-Studie" 600 000 zivile Opfer - ein Großteil von ihnen getötet durch US-Truppen. Das ebenfalls unabhängige britische Institut ORB ermittelte 2008, dass bis heute über eine Million Menschen ums Leben kamen. Eine Million wurde verletzt, fast fünf Millionen sind auf der Flucht. Ihr Leid und ihr Tod dürfen nicht ungesühnt bleiben.
Der Internationale Strafgerichtshof muss sich daher der Frage stellen, ob er ein Weltgericht sein will, dessen Gesetze für alle gelten, oder nur ein Strafgericht des Westens gegen Nicht-Westler - ein Gericht der Mächtigeren gegen die Schwächeren. Dass bisher nur Politiker kleinerer Länder angeklagt wurden, stimmt nachdenklich.
Rein formal könnten Sie darauf verweisen, dass die USA, anders als Großbritannien, das Gesetz über den Internationalen Strafgerichtshof nie ratifiziert haben, und eine Anklage gegen den US-Präsidenten deshalb ausscheide. Dann könnten Sie allerdings auch den sudanesischen Staatspräsidenten nicht anklagen, da dessen Land den Internationalen Strafgerichtshof ebenfalls nicht anerkennt.
In der Urteilsbegründung des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals heißt es: "Die Entfesselung eines Angriffskriegs ist das größte internationale Verbrechen, das sich von anderen Kriegsverbrechen nur dadurch unterscheidet, dass es in sich alle Schrecken vereinigt und anhäuft."
Der amerikanische Chefankläger Robert Jackson - Ihr Vorgänger gewissermaßen - formulierte damals: "Nach dem gleichen Maß, mit dem wir heute die Angeklagten messen, werden wir morgen von der Geschichte gemessen werden (...). Das Kriegsrecht gilt nicht nur für Verbrecher besiegter Länder."
Eine junge Muslimin fragte mich dieser Tage, wie viel Hunderttausend unschuldige Zivilisten ein westlicher Staatschef eigentlich ungestraft töten dürfe. Was soll man als Anhänger universaler Werte wie Menschenwürde und Gerechtigkeit auf diese Frage antworten? Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, welche Gründe dagegen sprechen, Anklage gegen George W. Bush und Tony Blair zu erheben.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr Jürgen Todenhöfer"
Über den Autor: Jürgen Todenhöfer ist stellvertretender Vorsitzender des Hubert Burda Verlages (FOCUS, Bunte u.a.). Der promovierte Jurist war lange Jahre Bundestagsabgeordneter und entwicklungspolitischer Sprecher der CDU (1972 bis 1990)
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