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Dienstag, 06.02.2007
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Nach Absage von Orhan Pamuk stehen Muslime wieder einmal unter Generalverdacht – Von Irmgard Pinn

Der Nobelpreisträger wäre entsetzt, zu sehen, wer alles ihn in diesem Kulturkampf zu vereinnahmen versucht

Nach der Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink sah sich der türkische Schriftsteller und Nobelpreisträger Orhan Pamuk aufgrund von Drohungen genötigt, eine Lesereise durch Deutschland, bei der ihm u.a. die Ehrendoktorwürde der FU Berlin verliehen werden sollte, abzusagen. Das Attentat auf Hrant Dink wie auch die Drohungen gegen Orhan Pamuk sind verabscheuungswürdig und bedürfen scharfer Gegenreaktionen des türkischen Staates wie der Zivilgesellschaft. Der Attentäter und seine Hintermänner wurden inzwischen ermittelt, und es bleibt zu hoffen, daß auch diejenigen, die Pamuk bedrohen, rasch gefaßt werden, so daß er wieder frei und unbeschwert in der Türkei leben und durch Europa reisen kann.

Bei dem extremistisch-nationalistischen, das Recht auf Selbstjustiz reklamierenden Gedankengut der (potentiellen) Täter und ihrer Ideologen handelt es sich allerdings keineswegs um die von der Bevölkerungsmehrheit getragene, offizielle Staatsdoktrin der Türkei. Und ebensowenig findet es im Islam eine Legitimationsbasis. Vielmehr wird "der Islam" hier wieder einmal von einer Gruppe für ihre extremistisch-aggressive Ideologie vereinnahmt, was selbstverständlich islamische Autoritäten oder auch die islamische "öffentliche Meinung" nicht von dem Vorwurf entlastet, dagegen bisher oft zu schwach und zu spät eingeschritten zu sein.

Entsprechend der politischen Machtverhältnisse in der Türkei wurden die Hintergründe von Mordanschlag und Drohungen sowie mögliche/erforderliche Reaktionen der türkischen Regierung in einem Teil der deutschen Medien durchaus differenziert analysiert und diskutiert. So wies Dilek Zaptcioglu in einem Deutschlandfunk-Interview am 1.2.2006 mit Nachdruck darauf hin, daß es sich bei den Kreisen, zu denen der Attentäter und vermutlich auch diejenigen, die Orhan Pamuk bedrohen, gehören, um Rechtsextremisten handelt, die für "die Türken" oder für "das politische Klima in der Türkei" ebenso wenig repräsentativ sind wie hiesige Rechtsextremisten und ihre Aktivitäten für "die Deutschen" und für das politische Meinungsklima in Deutschland. Auch dürfe man, so Zaptcioglu, über das Entsetzen angesichts dieser Extremisten und ihrer Verbrechen nicht blind sein für die tatsächlich in der Türkei existierende kulturelle Vielfalt und Lebendigkeit. Bekanntlich haben es Staat und Zivilgesellschaft bisher auch in der BRD trotz vieler Anstrengungen nicht zu verhindern vermocht, daß Rechtsextremisten in einigen Länderparlamenten sitzen, daß Neonazis in deutschen Innenstädten Aufmärsche veranstalten oder daß es immer wieder zu rassistisch motivierten Gewalttätigkeiten gegen "Ausländer" kommt. Das sollte bei allen berechtigten Vorwürfen und Forderungen an die türkische Regierung und Gesellschaft nicht vergessen werden.

Gesetze sowie Motivation und Organisation von Polizei und Justizapparat spielen für die Aktivitäten von Rechtsextremisten wie im Gegenzug auch für deren Ausgrenzung und Bekämpfung zweifellos eine gewichtige Rolle. So dürfte ein Paragraph, der die "Beleidigung des Türkentums" unter Strafe stellt, nicht unwesentlich zur Bestätigung und Stärkung des Weltbildes rechtsextremistisch-nationalistischer Kreise beitragen. Doch handelt es sich dabei um eine von "Islamisten" ausgehende Repressalie gegen Meinungsfreiheit und Menschenrechte, wie oft behauptet wird? Auch wenn es hier und da pragmatisch-interessengeleitete und/oder ideologische Überschneidungen gibt, steht der türkische Nationalismus doch gerade in der "modernen", d.h. säkularen Tradition des Kemalismus - und damit gegen alle Ideen und Ausdrucksformen eines politisch wirksamen Islam. So erinnert denn auch Thomas Schmid in einem Kommentar in Der Welt (1.2.2006) daran, daß es die kemalistischen Eliten waren, die den Nationalismus in den Rang einer Staatsreligion erhoben haben. Eine sofortige ersatzlose Streichung des Paragraphen, 301, wie Kritiker dies von der Regierung Erdogan verlangen, dürfte daher am Widerstand dieser Eliten und vor allem des Militärs scheitern. Um so bedauerlicher, daß Schmid und andere, die die politischen Machtverhältnisse durchaus erkennen, die Situation dann trotzdem in Kategorien des Huntingtonschen "Kulturkampfes" interpretieren, um den regierenden "Islamisten" die alleinige Verantwortung und Schuld zuschieben zu können.

Ungeachtet differenzierender Analysen und Kommentare durch kompetente Journalistinnen und Journalisten und ungeachtet der Tatsache, daß es aus der deutschen muslimischen Community unbestritten keinerlei Anzeichen für eine Gefährdung Pamuks gegeben hat, richten sich auch bei diesem Vorfall wieder einmal unzählige mißtrauische und anklagende Blicke auf "die" in Deutschland lebenden Muslime und vor allem auf ihre Verbände. So ging ein Aufruf des Schriftstellers Ralph Giordano, die muslimischen Verbände sollten sich "laut, nachdrücklich und glaubhaft" von den Bedrohern Pamuks distanzieren, weil alles andere sie dem "Verdacht klammheimlicher Sympathien und der Komplicenschaft mit den Terroristen" aussetze (Interview auf WDR 5 - Scala - am 31.5.2007) durch die bundesdeutsche Medienlandschaft. Durch den Hinweis des Moderators, daß z.B. der Islamrat genau dies bereits getan habe, läßt jemand wie Giordano sich nicht irritieren, sondern fordert angesichts der in Deutschland gleich "Pilzen aus dem Boden" schießenden großen Moscheen überzeugendere Beweise. Was er als Beweise akzeptieren würde, sagt er leider nicht. Sollen Muslime vielleicht als Zeichen ihrer Friedfertigkeit und Integrationswilligkeit die eine oder andere repräsentative Moschee wieder abreißen? "Die Zeichen stehen auf Sturm!" ereifert Giordano sich und beklagt die "falsche Toleranz" bzw. die Feigheit der Deutschen, gegen die - nach seiner Überzeugung sämtlich das Grundgesetz mißachtenden - muslimischen Verbände mit dem gebotenen Nachdruck einzuschreiten - eine aus der Angst, nur ja nicht als rechtsextremistisch oder rassistisch zu erscheinen geborene Toleranz und Feigheit.

Ganz gleich wie Türkei-Experten die Hintergründe und Zusammenhänge darstellen: Für Giordano steht es außer Frage, daß "Islamisten" in Kooperation mit deutschen Moscheen bzw. islamischen Verbänden hinter den Drohungen gegen Pamuck stecken. Doch statt diese mit Klischees und Vorurteilen befrachtete Sichtweise kritisch zu hinterfragen, bestätigt der WDR-Moderator Patrick Ehinger sie noch mit Spekulationen über die zurückhaltende Informationspolitik des Hanser-Verlags: Auch das ein Zeichen für die um sich greifende Angst vor den "Islamisten"? Unwidersprochen bleibt schließlich auch Giordanos emphatisch vorgebrachte Warnung vor einem "aus dem Islam" (was immer er darunter verstehen mag) hervorgehenden "Erpresserpotential" gegen das "Herz der deutschen Gesellschaft", gegen "die kostbarsten Werte unserer Demokratie".

Seit Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Annemarie Schimmel im Jahre 1995 hat sich Ralph Giordano immer wieder mit Warnungen vor den Bedrohungen durch einen expansiv-aggressiven "Islamismus" zu Wort gemeldet. Schon damals hinderte geringe Sachkenntnis ihn nicht an dramatischen Formulierungen und scharfen Werturteilen, doch wurde ihm immerhin aus den verschiedensten Kreisen ebenso laut und nachdrücklich widersprochen. Mittlerweile sind solche Stimmen jedoch leise geworden oder völlig verstummt, während Publikationen, Homepages und Webblogs, die das Schreckgespenst einer rapide voranschreitenden Islamisierung Deutschlands/Europas an die Wand malen, die den interreligiösen und interkulturellen Dialog als gutmenschlich-naives "Einknicken vor dem Islam" diffamieren und dabei nicht selten einen Furcht erregend aggressiv-pöbelnden Ton anschlagen, zunehmend Verbreitung und offensichtlich auch Zustimmung finden.

Daß mit allem gebotenen Engagement gegen Personen und Organisationen eingeschritten werden muß, die eine Ideologie verbreiten, welche zu Drohungen oder sogar Anschlägen gegen Schriftsteller und Journalisten wie Dink und Pamuk führen, dürfte für Befürworter von Demokratie und Menschenrechten - ganz gleich welcher Nationalität oder Religionszugehörigkeit - eine Selbstverständlichkeit sein. Es geht nicht an, daß jemand wegen "Beleidigung einer Nation" um sein Leben fürchten muß. Die Muslime und ihre Organisationen sollten ermuntert und unterstützt werden, diese Haltung innerhalb der eigenen Länder und Communitíes noch offensiver als bisher zu vertreten. Es sollte aber auch gesehen werden, welche Bedrohung des Weltfriedens und insbesondere des gesellschaftlichen Klimas in der BRD aus Kreisen hervorgeht, die zum einen den Islam ständig pauschal als unverträglich mit Demokratie und Menschenrechten anprangern und die zum anderen Muslime bei jedem noch so abwegigen Anlaß unter Generalverdacht stellen.

Bei diesen Warnern und Anklägern handelt es sich keineswegs nur um Rechtsextremisten. Was noch vor zehn, zwanzig Jahren für Republikaner-Stammtische oder rechte Publikationen typische Argumente und Meinungen waren, gehört heute zum Mainstream-Vokabular und wird nicht selten sogar von Personen vorgebracht, die nach wie vor in einem links-liberal-alternativen Milieu beheimatet sind - meistens verbunden mit einer Verachtung ihrer früheren Ideale und Verhöhnung ihrer - ehemaligen - Freunde und Kollegen, die weiterhin im Multikulti-Wahn der Gutmenschen leben. Mit Eifer sabotieren sie alle Bemühungen um ein friedliches, auf Gerechtigkeit und auf gegenseitigem Respekt basierendes Zusammenleben und befördern im Gegenzug Mißtrauen, Vorurteile, Konflikte und Gewalt. Auf diese Weise schaffen sie die Verhältnisse, die sie angeblich mit ihrem Alarmismus bekämpfen oder verhindern wollen. Orhan Pamuk wäre vermutlich überrascht, sogar entsetzt, zu sehen, wer alles ihn in diesem Kulturkampf zu vereinnahmen versucht.




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