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Dienstag, 14.06.2005
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EU-Beitritt der Türkei erhöht Integrationschancen der Deutschtürken - Von Faruk SenFür eine neue Qualität der ZuwandererDie Ablehnung der EU-Verfassung durch die Wähler in Frankreich und den Niederlanden hängt auch damit zusammen, dass die EU-Erweiterung durch die mittel- und osteuropäischen Staaten niemals in Frage gestellt wurde. Insbesondere eines ist nicht gelungen: der europäischen Bevölkerung zu vermitteln, dass die Folgen der Globalisierung sie so oder so treffen, die europäische Integration aber zumindest die Chance birgt, diese Globalisierung überhaupt nach Standards und Spielregeln zu gestalten. Genau aus diesem Grund ist die oft unterstellte Konkurrenz einer Erweiterungs- versus eine Vertiefungsstrategie der EU auch unzutreffend. Damit bleibt die Frage der Erweiterung trotz der momentanen politischen Verwerfungen aktuell, auch mit Blick auf die Türkei. Seit mehr als 40 Jahren lebt die Bundesrepublik mit einer sehr konkreten und für viele Bürger wahrnehmbaren Folge von Globalisierung - der Zuwanderung von 2,6 Millionen Menschen aus der Türkei. Auch mit Blick auf diese Gruppe eröffnet die europäische Integration Gestaltungsspielräume.Als die Stiftung Zentrum für Türkeistudien im vergangenen Jahr in einer repräsentativen Umfrage die deutsche Bevölkerung nach ihrer Einstellung zum EU-Beitritt der Türkei befragte, gehörten zu den interessantesten Ergebnissen die jeweiligen Argumente der Beitrittsbefürworter und Beitrittsgegner. So war das häufigste Argument gegen den EU-Beitritt nicht die Sorge um die Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland oder die Belastung für den Bundeshaushalt, sondern die Menschenrechtslage in der Türkei oder deren Wahrnehmung. Wirklich überraschend war das häufigste Argument der Beitrittsbefürworter: Nicht Handelserleichterungen, Rohstoffversorgung oder sicherheitspolitische Erwägungen stehen bei ihnen an erster Stelle, sondern die Hoffnung auf eine Verbesserung der Integration der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten aus der Türkei. Damit knüpfen die Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei daran Hoffnungen, die zunächst als schwer nachvollziehbar erscheinen - sieht man davon ab, dass dies das Selbstbewusstsein der Deutschtürken steigern und ein mehr an sozialer Anerkennung für sie bedeuten würde. Beides ist sicher eine wichtige Voraussetzung für das weitere Gelingen von Integration in Deutschland. Aber, so haben Kritiker in der Vergangenheit immer wieder vorgebracht, kann dies wirklich als Argument für die Notwendigkeit des EU-Beitritts der Türkei herhalten? Bedeutet Integration nicht auch die Loslösung von der Herkunftsgesellschaft und die Identifikation mit Deutschland? Muss soziale Anerkennung nicht primär von der Aufnahmegesellschaft gewährt werden? Diese Einwände sind nicht von der Hand zu weisen. Jenseits grundsätzlicher Erwägungen hat aber die jüngere Vergangenheit eine Reihe von Beispielen geliefert, die eine EU-Aufnahme der Türkei aus rein pragmatischer Sicht auch für die Integration der Türken in Deutschland als sinnvoll erscheinen lassen. Denn viele Belastungen im Zusammenleben resultieren aus dem Mangel an Verträgen zwischen Deutschland und der Türkei. Das jüngste Beispiel ist die Wiederannahme der türkischen Staatsangehörigkeit durch die nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht nach 2000 in Deutschland eingebürgerten Türken. Es zeigt den engen Zusammenhang zwischen der Zuwandererintegration und der zwischenstaatlichen Kooperation. Nachdem die Frage der Legitimität der Landtagswahlen in NRW aufgekommen ist - immerhin waren hier 180 000 Deutschtürken wahlberechtigt -, droht denjenigen, die die türkische Staatsbürgerschaft wieder angenommen haben, der Verlust des deutschen Passes und damit das zumindest vorläufige Ende ihrer politischen Partizipationschance in Deutschland. Zugleich ist die Praxis der Wiedereinbürgerung und die Informationspolitik der türkischen Regierung zu einer Belastung der zwischenstaatlichen Beziehungen geworden. Ein EU-Beitritt der Türkei würde diese Probleme entschärfen beziehungsweise Partizipation auf lokaler und europäischer Ebene auch für türkische Nicht-Deutsche ermöglichen, wie es bei den Angehörigen anderer Gastarbeiter-Nationalitäten in Deutschland längst der Fall ist. Dieses jüngste Beispiel ist nur eines aus einer langen Reihe von Problemen in den deutsch-türkischen Beziehungen, die sich auch mittelbar oder unmittelbar auf die Integrationschancen der Deutschtürken ausgewirkt haben. Erinnert man an diese Probleme, so gewinnt das Argument, der EU-Beitritt der Türkei bedeute auch eine Integrationschance für die in Deutschland lebenden Türken, deutlich an Kraft. Ganz offenbar sind die rechtsstaatlichen Reformen und ein besserer Minderheitenschutz in der Türkei ganz unmittelbar förderlich auch für das Zusammenleben in Deutschland. Erst die EU-Annäherung des Landes erlaubte etwa die Abschiebung des Kölner Kalifen Metin Kaplan an den Bosporus, womit eine Belastung der deutsch-türkischen Beziehungen und des Zusammenlebens von Christen und Muslimen in Deutschland gleichermaßen wegfiel. Die Verbesserung der Menschenrechtssituation hat weiterhin zu einem entscheidenden Rückgang der Asylbewerberzahlen insbesondere von Menschen kurdischer Abstammung in Deutschland geführt. Damit geht auch der Anteil der Türkeistämmigen ohne dauerhafte Lebensperspektive in Deutschland zurück. Die Aufhebung der Notstandsgesetze in den kurdisch besiedelten Landesteilen zum Zwecke der Erfüllung der Kopenhagener EU-Beitrittskriterien hat zugleich den regelmäßig in Deutschland aufkommenden Debatten um die Legitimität von Rüstungsexporten in die Türkei die Schärfe genommen und damit einen Störfaktor in den deutsch-türkischen Beziehungen beseitigt. Als eine der größten Herausforderungen für die Integrationspolitik in den nächsten Jahren könnte sich die neue Qualität der Zuwanderung erweisen, aus der viele deutsch-türkische Problem der jüngeren Zeit resultieren: Viele Türkeistämmige pendeln zwischen Deutschland und der alten Heimat; der Ehegattennachzug gewinnt an Bedeutung; elektronische Medien bringen die Türkei in deutsche Wohnzimmer. Integrationspolitik wird damit letztlich zu einem internationalen Thema. Es geht aber nicht nur um den Austausch von Menschen, sondern auch von Gütern und Kapital. Seit Mitte der siebziger Jahre etwa bot die Türkei ihren im Ausland lebenden Bürgern an, Devisenkonten bei der türkischen Zentralbank zu sehr günstigen Zinskonditionen einzurichten, deren Erträge zum großen Teil in Deutschland nicht versteuert wurden. Als 1999 der deutsche Fiskus auf dieses Problem aufmerksam wurde, bedeutete dies Steuernachforderungen für die Betroffenen in oft immenser Höhe. Die Zugehörigkeit der Türkei zu einem integrierten europäischen Finanzsystem würde vergleichbaren Entwicklungen zukünftig vorbeugen. Der Blick auf die jüngere deutsch-türkische Vergangenheit zeigt also, dass die Vorstellung, die EU-Integration der Türkei könne auch einen wichtigen Beitrag zur Integration der Türken in Deutschland leisten, durchaus berechtigt ist. Prof.Dr. Faruk Sen ist Direktor der Stiftung Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen.(Mit freundlicher Genehmigung; Erstveröffentlichung des Textes in der SZ vom 08.06.05) |


