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Donnerstag, 17.03.2011
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Der demokratische Aufbruch in Nordafrika braucht unsere Unterstützung – 8-Punkte-Plan des SPD-Präsidiums hier im WortlautIn Nordafrika vollziehen sich Umwälzungen, wie wir sie seit dem Fall der Mauer nicht mehr erlebt haben. Frauen und Männer, Junge und Alte, Muslime und Christen revoltieren gemeinsam, um die Regime abzuwerfen, die sie unterdrückt und die sie erniedrigt haben. Mit dem arabischen Frühling beweisen die Völker des Nahen Ostens eindrucksvoll ihr Streben nach Freiheit, Gerechtigkeit und sozialem Fortschritt – ihr Streben nach universellen Menschenrechten. Die Freiheitsbewegungen sind nicht religiös motiviert und die jungen Menschen in Kairo und Tunis wissen, dass Fundamentalisten ihnen nicht die Freiheiten bringen werden, für die sie unter Einsatz ihres Lebens kämpfen. Mit ihren Protesten wehren sich die Demonstranten auch dagegen, Teil eines geostrategischen Kalküls der internationalen Gemeinschaft zu sein.Der Kampf um demokratischen und sozialen Fortschritt ist noch nicht entschieden: Während in Tunesien und Ägypten ein konstitutioneller Neuanfang begonnen hat, der noch in der Entwicklung begriffen ist, ist das Ergebnis des Freiheitskampfes der Libyer noch völlig offen. Auch in anderen Ländern des Nahen Osten brodelt es, ohne dass abzusehen ist, was das Ergebnis dieses Aufbruchs sein wird. Die Entschlossenheit der EU wird mit darüber entscheiden, ob es gelingt, die Chancen des Aufbruches zu nutzen oder ob enttäuschte Hoffnungen von Millionen junger Menschen in Extremismus, Instabilität und massenhafte Flucht umschlagen. Wir brauchen nicht weniger als einen Marshallplan für die arabische Welt, eine umfassende, gesamteuropäische Förderung von Demokratisierung, Modernisierung und wirtschaftlicher Entwicklung in der Mittelmeerregion: 1. Europa muss den Freiheitsbewegungen zügig und unbürokratisch Hilfe anbieten, damit die Menschen in der Region merken, dass ihr Aufbruch in eine bessere Zukunft führen wird. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssen aufhören, nationale Sonderinteressen zu vertreten. 2. Europa muss seine Märkte für Produkte aus der Region öffnen, Zölle abbauen und eine engere Wirtschafts- und Energiekooperation eingehen. Unabdingbar hierfür ist ein regionaler Entwicklungsfonds der EU, der mit ausreichenden Mitteln ausgestattet sein muss. Die bislang vorgesehenen Mittel für die Europäische Nachbarschaftspolitik reichen dafür nicht aus. 3. Es wäre grotesk, wenn für die Transformationsstaaten die Kredite auf den internationalen Märkten nun teuer werden. Im Gegenteil: Europa muss durch entsprechende Garantien dabei helfen, dass die Staaten einen „Demokratie-Bonus“ bekommen. 4. Um den Austausch zwischen jungen Menschen zu fördern und um den Migrationsdruck in den Transformationsstaaten zu verringern, sollten die europäischen Staaten kurzfristig eine großzügige Visaerteilung für Studierende und Fachkräfte forcieren. Junge Menschen aus Arabien können ihre Ausbildung in Europa ergänzen und gleichzeitig dabei helfen, unseren Fachkräftemangel zu beseitigen. 5. Beim Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen, von Parteien und bei freien Gewerkschaften verfügt Deutschland über große Erfahrungen. Gerade die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in vielen Ländern bewiesen, dass sie beim Demokratieaufbau entscheidende Hilfe geben kann. Auch die SPD wird weiterhin intensiv dabei mithelfen, solche demokratischen Strukturen zu schaffen, wann und wo immer diese Hilfe erwünscht ist. 6. Der Umbruch in Nordafrika und im Nahen Osten bietet eine Chance, einen Neustart beim Nahost- Friedensprozess zu unternehmen. Israelis und Palästinenser müssen - unter Mithilfe der internationalen Gemeinschaft - jetzt handeln. Um den Weg dafür frei zu machen, muss die israelische Regierung ihre Siedlungspolitik beenden. Die Dynamik der Transformation muss in Nordafrika und im Nahen Osten genutzt werden, um regionale Konflikte wie zwischen Israel und Syrien und beim Streitpunkt Wasser neu zu verhandeln. 7. Gegenüber den Diktatoren, die mit Gewalt gegen ihre eigenen Bevölkerungen vorgehen, muss die Botschaft Europas und der internationalen Gemeinschaft klar sein: Jene, die Verbrechen begehen, werden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen – die Zeit der Straflosigkeit bei systematischen Verletzung von Menschenrechten ist vorbei. 8. Wo immer sich humanitäre Katastrophen anbahnen, zum Beispiel durch Flüchtlingsströme oder bei der medizinischen Versorgung von Verletzten, muss Europa schnell und entschlossen handeln. Jeder Staat, der besonders durch den Umbruch in Nordafrika betroffen ist, muss die Solidarität der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten genießen. In der arabischen Welt vollzieht sich eine Zeitenwende, von der Europa profitieren kann, wenn wir beherzt beim Neuanfang mithelfen. Der Elan der jungen Revolutionäre auf dem Tahir-Platz ist eine Bereicherung für die gesamte Welt. |