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Sonntag, 30.11.2008
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Der Westen in der Wahrnehmungsfalle im Kampf gegen den TerrorWarum stellen wir uns auf dieselbe geistige Stufe wie die Terroristen?Nur wenige Stunden dauerte es nach Beginn der Terrorangriffe, da zogen Medien schon eine Verbindung zu muslimischen Terroristen. „Muslime werden sofort verantwortlich gemacht“, sagt ein 50-jähriger Anstreicher in Nizamuddin-West, der seinen Namen in einem dpa-Gespräch nicht nennen will. „Es ist ungerecht, dass eine ganze Gemeinschaft angeklagt wird, obwohl nur einige Wenige Anschläge verüben.“Bedauerlicherweise läuft die „sprachliche Zuweisungspraxis“ in den Medien hierzulande auf erschreckender Weise genauso ab. Zunächst wird ein extrem vielschichtiger Komplex wie die Probleme des Zusammenleben von unterschiedlichen Kulturen und Religionen z.B. in Indien rein religiös verortet. Das ist der die erste Wahrnehmungsfalle, in die man tappt. Dann wird mit „Markierungen“ gearbeitet, wie „Islam-Terroristen“ (BILD, 28.11.08) und oder „muslimische Terroristen“ (ZDF-Spezial, 28.11.08). Damit wird „eine eigene Relevanz“ suggeriert, wie die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer in einem bemerkenswerten Aufsatz: „Der Einfluss der Medien auf das Verhältnis von Juden und Muslimen“ feststellt (siehe auch unterer Link). Schließlich, bei fortlaufender Markierung Islam und Terror, entsteht ein eigener Mechanismus, den man in der Fachsprache aus der Kommunikationswissenschaft kommend, „framing“ nennt. Die Folge dieses „framings“ ist eine Dominantsetzung Islam und Terror als quasi Faktennennung. Die zweite Wahrnehmungsfalle also, in die man hinein tritt. Ein Diskurs über Ursachen, sachkundige Hintergründe oder die Motivfrage, wem nützt eigentlich dieser Anschlag und welche Gruppe/Religion/Kultur erfährt dadurch den größten Schaden wird so systematisch ausgeblendet. Diese Fragen sind aber wichtig, will man die Ursachen des Konfliktes verstehen. Stattdessen wird der Konflikt noch angeheizt, indem anstatt sachliche Ursachenforschung zu betreiben, zusätzlich Vorurteile, Verdächtigungen und mit den üblichen Stigmatas operiert wird. Die Folge: Verschwörungstheorien auf allen Seiten. In der besagten BILD-Überschrift vom 28.11.08 heißt es: „Islam-Terroristen ermorden mindestens 130 Menschen - Das hier ist KRIEG! - Angriff auf Indien - Die Mörder kamen in Schlauchbooten.“ Ein asymmetrischer Anschlag mit Guerilla-Methodik wird zu einem symmetrischen Krieg hochstilisiert, indem statt eines Landes, welches vermeintlich (hier) Indien angreift, das Wörtchen Islam gesetzt wird und die Schiene Islam gegen Westen hergestellt wird. Fatal falsch. Mit einer geradezu ungebremsten Lust haben Kommentatoren und hiesige Massenmedien – eine rühmliche Ausnahme bildete diesmal die Süddeutsche Zeitung (siehe Thema des Tages von 28.11.08) - insbesondere in den ersten 2 Tagen nach den Angriffen der Terroristen in Mumbai diese Dominantsetzung Islam und Terror als quasi Faktennennung für ihre Berichterstattung benutzt. Angesichts einer langen Aufarbeitungskette in unzähligen Foren, Symposien und Veranstaltungen mit prominenter (Chefredakteur-) Besetzung in den letzten Jahren, ist dies kein journalistisches Kunststück, sondern eine Armutszeugnis. Denn in den vielen Gesprächen hat man die fehlende Trennschärfe von Islam und Terror beklagt und das ständige „in einem Topf werfen“ von Islam und Terror systematisch herausgearbeitet (siehe Studie von Prof Kai Hafez im untere link). Man hat festgestellt, dass diese Stigmatisierung schließlich den Generalverdacht gegen Muslime nährt und unser Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen hierzulande empfindlich stört. Alle, insbesondere nach dem den Anschlägen von London und Madrid, haben Besserung in der Berichterstattung versprochen - und jetzt dies?! Erst kürzlich hat der Innenminister zurecht beklagt, dass die Berichterstattung zum Islam dem Gewaltaspekt ein zu großes Gewicht einräumt. In der derzeitigen Wettbewerbssituation, den die Medien ausgesetzt seien, nehme Konformität, Banalität und Skandalträchtigkeit der Informationen extrem zu, so der Minister weiter. Es muss endlich Schluss sein mit den Zerrbildern. Islam gleich Terrorismus? Der Islam ist keine kriegerische Ideologie, sondern eine vierzehn Jahrhunderte alte Religion, die je nach Intelligenz und Intensität des Glaubens praktiziert wird. Die muslimische Welt an sich ist keine Bedrohung für den Westen. Ihre Völker haben viel zu viele eigene Probleme, als dass sie sich mit Angriffsstrategien gegen den Westen beschäftigen würden. Sie wünschen sich nichts Sehnlicheres als Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihren Ländern. Das davon Terroristen oder fanatische Muslime – und manch Regime oder mancher Politiker scheinbar auch - gerne ablenken und einen solchen Krieg anzetteln wollen, stimmt leider auch. Aber warum muss unsere Antwort die sein, auf ihre mit mörderischen Bomben bestückte Bananenschale auszurutschen und gar genauso dumm zurückschlagen? Warum stellen wir uns auf die selbe geistige Stufe wie die Terroristen? (AM) Exkurs: FAZ-Bericht zu den Aussagen von Ministerpräsident Christian Wulff bei Michel Friedman Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich beim Presserat über einen Wirtschaftsartikel in der Samstagsausgabe der "FAZ" beschwert. Dieser enthalte eine Formulierung, die „ohne Zweifel in der Wirkung ausgrenzend ist und zudem auf antisemitische Reflexe des Lesers zielt“, so Generalsekretär Stephan J. Kramer. Wörtlich heißt es in dem „FAZ“-Beitrag: „In der von Michel Friedman, einem Juden, moderierten Talkshow auf N24 hatte sich Ministerpräsident Christian Wulff trotz entsprechender Nachfragen nicht von seiner Wortwahl distanziert.“ In dem Artikel wird vorher über eine Äußerung des niedersächsischen Ministerpräsidenten berichtet. Wulff hatte die „Pogromstimmung“ gegen deutsche Manager kritisiert. Diese Wortwahl hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland als „ungeheuerlich“ bezeichnet. Zum inkriminierten „FAZ“-Artikel heißt es beim Zentralrat weiter, es sei in keiner Weise ersichtlich, in welchem Zusammenhang die Religionszugehörigkeit von Michel Friedman mit seiner Arbeit als Moderator stünde. Lesen Sie dazu auch:
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