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Dienstag, 21.10.2008

Islam ohne Prophet? Von Mohammed Khallouk

Wissenschaftlicher Standpunkt oder öffentliche Provokation? Extrempositionen schaden dem Islambild - Kalisch will kein bekenntnisorientierten Islamunterricht

Für Millionen Muslime sind der Koran und das Vorbild sowie die Ansichten und Aussagen ihres Propheten Mohammed die wichtigsten Quellen ihres religiösen Glaubens und ihrer Identität – nicht so für Muhammad Kalisch, den Inhaber des deutschlandweit einzigen Lehrstuhls für Religion des Islam an der Universität Münster. Kalisch, ursprünglich aus nichtmuslimischem Hintergrund stammend, zweifelt nun, nachdem ihn die Karriereleiter bis zum angesehenen Islamkundler geführt hat, die Existenz des „letzten Propheten“ an und betrachtet diese, jeglicher menschlichen Vernunft entgegenstehende Behauptung als ernsthafte wissenschaftliche These, über die ein kontroverser akademischer Diskurs zu führen sei. „Ich glaube, das [die Existenz des Propheten (Anm. des Verf.)] kann man nicht eindeutig entscheiden, wenngleich ich zugebe, dass ich eine gewisse Tendenz zu seiner Nichtexistenz habe. Aber das muss man sagen können und darüber muss man sich wissenschaftlich auseinandersetzen können.“

Wissenschaftlicher Standpunkt oder öffentliche Provokation?
In der Tat, die Religions- und Meinungsfreiheit in Deutschland erlaubt es auch, Aussagen wie diese öffentlich zu äußern. Eine andere Frage ist, ob eine solche kleinkarierte luftleere Behauptung, nur weil sie aus dem Munde eines Hochschulprofessors stammt, wert ist, mit wissenschaftlichen Argumenten dazu Stellung zu beziehen. Hier erscheinen Zweifel angebracht. Abgesehen davon, dass Bekundungen dieser Art von jedem ernsthaften Muslimen ähnlich wie die im vergangenen Jahr erschienenen Propheten-Karikaturen in dänischen und anderen westeuropäischen Zeitungen als Verhöhnung seiner Religion aufgefasst werden müssen, schaden sie dem Ansehen der Religionswissenschaft als ernsthafter akademischer Fachrichtung insgesamt und entwerten die Vertreter dieses Faches, die in der überwiegenden Majorität vom Lehrstuhlinhaber bis zum einfachen wissenschaftlichen Mitarbeiter in jahrelanger mühevoller Quellenanalyse das Wesen, die historische wie auch gegenwärtige Aussagekraft des Islam und anderer Religionen herauszustellen bemüht sind. Kalisch sollte sich zudem fragen lassen, warum er sich erst bewusst einer bestimmten Religion zugewandt hat, um als späterer öffentlicher Repräsentant dieser Religion ihre Kernaussagen zum Mythos zu erklären. Hier scheint er offenbar weniger von wissenschaftlicher Diskursfreudigkeit als mehr von Geltungssucht und dem Drang nach Medienaufmerksamkeit geleitet zu sein. Vergleiche lassen sich in der jüngeren Geschichte bei einigen evangelischen Theologen wie Lüdermann finden, der als Repräsentant des deutschen Protestantismus Gott als „ausschließlich eine Formel“ abzuqualifizieren trachtet oder bei Uta Ranke Heinemann, die nach der Konversion vom Protestantismus zum Katholizismus es dort zur ersten weiblichen Theologin brachte, um von dieser Position aus wesentliche katholische Glaubensaussagen zu widerlegen und sich daraufhin zu beschweren, die Lehrerlaubnis der nun als „frauenfeindlich“ charakterisierten Kirche wieder entzogen zu bekommen.

Extrempositionen schaden dem Islambild der Deutschen
Mit jeder öffentlichen Stellungnahme von repräsentativen Organen wie dem Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KMK) oder anderen anerkannten Vertretern des Islam oder der Religionswissenschaft wird dieses, bei Kalisch offenbar über das Normalmass hinaus vorhandene menschliche Bedürfnis nach Anerkennung befriedigt und zugleich noch bestärkt. Das ein bewusster Bestreiter islamischer Kernaussagen nicht angemessen Lehrer für einen Islamunterricht ausbilden kann, versteht sich von selbst. Mit der anhaltenden öffentlichen Debatte über Aussagen wie jener zur vermeintlichen Nicht-Existenz Mohammeds und anderer islamischer Propheten wird vom für die deutsche Gesellschaft notwendigen Diskurs über den geeigneten Weg einer Integration des Islam und der 5 Millionen in den vergangenen Jahrzehnten dort hineingelangten Muslime, sowie der Gleichstellung des Islam als Religion und Körperschaft öffentlichen Rechts neben den bereits seit Jahrhunderten in Deutschland ansässigen Juden- und Christentum abgelenkt. Indem man Vertretern mit extremen Randpositionen – seien es radikale Fundamentalisten oder Ignoranten jeglicher, als allgemein verbindlich geltender religiöser Glaubensinhalte wie Kalisch – eine primäre Stellung in der Öffentlichkeit ermöglicht, wird ein Zerrbild vom Islam vermittelt und Ressentiments, die aus der gewöhnlichen alltäglichen Konfrontation mit Muslimen heraus bei der nichtmuslimischen Majorität in Deutschland nicht entstehen können, künstlich hervorgerufen. Ein aus eigener Initiative der muslimischen Immigranten erfolgender und sich bisher als weitgehend erfolgreich erweisender Integrationsprozess wird auf diese Weise konterkariert.

Historische Fakten werden ignoriert
Wenn eine ernsthafte universitäre Ausbildung zum islamischen Religionslehrer an staatlichen Schulen in Deutschland bisher nicht erreicht worden ist, so liegt dies nicht zuletzt auch daran, dass die deutschen Hochschulen den Repräsentanten des islamischen Mainstream den Zugang zu Forschung und Lehre künstlich erschweren, weil sie an ihrer Stelle Vertretern ideologischer, irrationaler, ohne wissenschaftlichen Gehalt aufgestellter, dem allgemeinen Konsens entgegenstehender Behauptungen eine Karriere in ihren Institutionen zugestehen. Ein wesentlicher Beitrag zur Integration wäre bereits geleistet, wenn diese Einstellungspraxis deutscher Lehranstalten reflektiert und überdacht wird. Am meisten wird die Reflexion ihrer Aussagen von den Wissenschaftlern aber selbst erwartet und vorausgesetzt. Niemand ist gezwungen, die religiöse Stellung, die Muslime ihrem Propheten zugestehen, für sich zu übernehmen – ob er sich dann noch als Muslim bezeichnen kann, stellt eine andere Frage dar. Ein erklärter Nichtmuslim wird auf jeden Fall Mohammeds Ansichten und Äußerungen keine Bedeutung für sein eigenes Leben und darüber hinaus beimessen. Dies ist sein gutes Recht. Die Anzweifelung jeglicher Existenz der Person Mohammeds kann jedoch nur als bewusste Provokation der Muslime und letztlich auch als Ignorieren historisch erwiesener Fakten gewertet werden. Schließlich bestehen zahlreiche Textquellen von Nichtmuslimen, die auf Begebenheiten mit ihm hinweisen, welche in Koran und Sunna ebenfalls eingehend beschrieben sind. So mag ein Nichtchrist die zahlreichen biblisch beschriebenen Wunder Jesu wie die Speisung der Fünftausend oder den Spaziergang auf dem See Genezareth und nicht zuletzt seine Auferstehung vom Tode als mythische Verklärung der Evangelisten interpretieren, die Existenz Jesu als Person kann jedoch auch er nicht beschreiten, denn nichtchristliche Zeitzeugen wie der Römer Tazitus haben gleichermaßen darauf Bezug genommen.
Wenn neuerdings anerkannte Hochschulprofessoren solche Berichte einfach übersehen oder für nicht aussagekräftig erachten, so lassen sie erkennen, dass es ihnen nicht in erster Linie um die argumentative wissenschaftliche Auseinandersetzung mit für die Religionen bedeutenden Autoritäten geht, sondern hier kommt eine Aversion gegen die Religion und ihre Repräsentanten selbst zum Ausdruck, mit der man vielleicht einige negative Erfahrungen verbindet, für die man im Unterbewusstsein sich zu rächen versucht. Ein universitärer Lehrstuhlinhaber sollte jedoch in der Lage sein, zum einen die gesellschaftlichen Auswirkungen seiner öffentlichen Äußerungen abzuschätzen und zum anderen zu differenzieren zwischen seinen persönlichen Erfahrungen mit einer Religion, seinem individuellen Glauben und historisch belegten Tatsachen, die auf sich allein gestellt noch keine Bewertung des religiösen Glaubensinhalts darstellen. Anderenfalls hat er sich für den akademischen wissenschaftlichen Diskurs insgesamt und bezüglich Religion im besonderen disqualifiziert.

Historisch-archäologische Quellenanalyse oder verallgemeinernde Pauschalisierung?
Kalisch rechtfertigt seine umstrittenen, von bisher als unumstößlich geltenden islamischen, aber auch jüdischen und christlichen Glaubensaussagen abweichenden Positionen gerne mit dem Verweis auf eine historisch-kritische Forschungsmethode, wie sie in der christlichen Theologie sich mittlerweile etabliert habe. Dort würden ebenfalls große Teile der biblischen Berichte nicht mehr unhinterfragt als historische Tatsachen angesehen, sondern aus dem Kontext des Autors heraus interpretiert und mit archäologischen Funden und den Ergebnissen umfangreicher historischer Quellenanalyse in Einklang zu bringen versucht. Angesichts von archäologischen Indizien, die von den koranischen aber auch alttestamentlichen Berichten zum Auszug der Israeliten aus Ägypten abweichen, folgert Kalisch z.b., dass jener Exodus so nicht stattgefunden habe oder nur eine „symbolische Erzählung“ sei. In der Tat lassen sich gewisse Divergenzen zwischen den religiösen Texten und neuzeitlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht übersehen, es bestehen jedoch ebenso archäologische und andere historische Quellen, die einen Exodus prinzipiell für wahrscheinlich erscheinen lassen. Diese übersieht Kalisch hier offenbar und schließt aus Erkenntnissen über einen in Teilbereichen divergenten Ablauf des Geschehens auf eine generelle Nichtexistenz des Ereignisses. Historisch-Kritische Wissenschaft, wie Karl Bart oder Rudolf Bultmann sie verstanden haben, ist in Kalischs Vorgehensweise nicht festzustellen als vielmehr eine Grundtendenz zur Pauschalisierung und Verallgemeinerung – durchaus vergleichbar den religiösen Fundamentalisten und Dogmatikern, gegen die er sich glaubt, argumentativ zur Wehr setzen zu müssen. Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, es gehe Kalisch weniger um die Etablierung einer modernen Wissenschaftsmethode als um ein bewusstes Zerstören religiöser Glaubensinhalte, aus denen Muslime ebenso wie Juden und Christen Hoffnung und ihre Identität ableiten.

Bekenntnisorientierter Unterricht als Zwang zum Nicht-Bekenntnis?
In Kalischs methodischem Vorgehen kann nicht das Ziel eines religionswissenschaftlichen Diskurses liegen und schon gar nicht die intellektuelle Basis für einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht an allgemeinbildenden Schulen, mit dem sich Kalischs Lehramtsstudium bewusst vom bisher in Nordrhein-Westfalen an staatlichen Schulen üblichen, bekenntnisfreien Islamunterricht abzugrenzen beansprucht. Wenn zu letzterem überhaupt ein qualitativer Unterschied besteht, dann wohl jener, dass die Majorität der „konfessionsneutralen“ Lehrerinnen und Lehrer sich offener zum Islam und seiner Lehre bekennen und bekannt haben als ein von Kalisch indoktrinierter „moderner“ Religionspädagoge dies vermögen wird. Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass Lamya Kaddor, die bereits über langjährige praktische Erfahrung als islamische Religionslehrerin an Nordrhein-Westfalens Schulen verfügt, im März 2008 die Assistentenstelle in Kalischs Centrum für Religiöse Studien an der Universität Münster nach mehrjähriger Mitarbeit gekündigt hat. Sie bescheinigt Kalisch nicht nur, seine Meinung in den letzten Jahren radikal geändert zu haben, sondern darüber hinaus für die Ausbildung islamischer Religionslehrer ungeeignet zu sein. Einen bekenntnisorientierten Islamunterricht stellen sich Schüler, Eltern und offenbar auch die meisten Lehrer jedenfalls als das absolute Gegenteil dessen vor, was Kalisch mit seiner Lehre am Centrum für Religiöse Studien zu erreichen und zu formen beabsichtigt

Der Autor ist Deutsch-Marokkaner und habilitiert zur Zeit an der Bundeswehruniversität München über das Thema Juden in Marokko



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