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Montag, 17.11.2003
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Der andere Antisemitismus - Kommentar von Bernd Franze

Primitives, verächtliches Gerede über Muslime, Türken und Araber ist populär - Reaktionen vom Zentralrat

Auch wenn sich ein Fünftel der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten nicht der Entscheidung der Parteiführung anschließen konnte: Martin Hohmann wurde wegen seiner unsäglichen antisemitischen Klischees aus der Fraktion ausgeschlossen. Über die Motive der 48 christlich-demokratischen bzw. -sozialen Abgeordneten, die kein gültiges "Ja" zu Papier brachten, wurde barmherzig der Mantel des Schweigens gebreitet. Ein gewisses Unbehagen aber bleibt, wenn man eine in der ZEIT vom 13/11/2003 zitierte Infratest-Studie hinzuzieht, nach der fast eben jenes Fünftel, nämlich 17% der Deutschen, Juden "lieber nicht" als Nachbarn haben möchten.

Kein Grund zur Selbstgefälligkeit also, von einer wirklich weltoffenen und toleranten Gesellschaft, wie sie die Aufklärung schon vor über 200 Jahren entworfen hatte, sind wir wohl noch weit entfernt. Zudem scheint sich das Bedürfnis, Vorurteile und Geringschätzung gegenüber anderen zur Vergewisserung der eigenen Identität zu pflegen, eher zu verschieben als zu verringern. So gaben in derselben Umfrage 43% an, keine Araber als Nachbarn zu wollen. Und auch bei Martin Hohmann wird man diesbezüglich fündig: "Wann werden in Deutschland mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts Diebe amputiert und Ehebrecherinnen gesteinigt, weil Religion und Sitte der Muslime es eben erfordern?", fragte er am 16/1/2002 nach dem Schächtungsurteil des BVerfG. Und über die Klammer der islamischen Religion werden ein knappes Jahr später auch noch die Türken zum Todfeind unserer Kultur erklärt: "Wie Feuer und Wasser verhalten sich die Kulturen der Türkei und Europas. Das Ausbreiten des jeweils einen führt zum Ende des jeweils anderen." (Presseerklärung am 5/12/2002).

Man fragt sich, warum Hetzreden wie diese nicht schon lange vor dem 3/10/2003 einen Sturm der Entrüstung ausgelöst haben. Angesichts dessen, dass Araber und Juden gleichermaßen semitische Sprachen und Kulturen bilden, liegt ja auch hier teilweise Antisemitismus vor, zumindest aber Rassismus gegen Türken bzw. ethnisch unspezifischer Antiislamismus. Regt sich über diese üblen Ressentiments seltener jemand auf, weil sie von mehr Bürgern geteilt werden?

Am 8/4/2003 referierte Hohmann vor dem Christlich-Konservativen Deutschland-Forum (CKDF) über das Thema "Zuwanderung. Schicksalsfrage für Deutschland". Diese Organisation definierte sich selbst auf ihrer homepage von der "Absicht [her], dem rechten Flügel der Union wieder eine Organisationsform und Stimme und den konservativen Unionsvereinigungen einen Dachverband zu geben" und wollte "…mit dem zügigen Aufbau einer konservativen und nationalliberalen Sammlungsbewegung [beginnen]" Wörtlich heißt es weiter: "Die Rekrutierung von Interessenten lief über monatliche Kleinanzeigen in der Jungen Freiheit", der rechtsradikalen Zeitung, die unermüdlich ausländerfeindliche Stereotypen verbreitet. Pikante Wendung in der Vereinsgeschichte: "1998 tritt der geschäftsführende Landessprecher von NRW, Christian Otte mit dem halben Landessprecherrat aus dem CKDF und aus der CDU aus. Stein des Anstoßes war hier die Anerkennung eines Deutsch-Türkischen Forums als CDU-Vereinigung unter weiterem Ignorieren des CKDF, sowie die mangelnde Reaktion der Partei auf die Anti-Wehrmachtsaustellung". Was die Diskussion mit Hohmann in diesem erlauchten Kreis laut Zusammenfassung des Vorsitzenden Ulrich Woronowicz für Einsichten beförderte, verdient ebenfalls wörtliche Erwähnung: "Oft sind Asylanten finanziell besser gestellt als Deutsche. Vor allem ist der Unterschied zwischen ihnen und den deutschen Rentnern nicht tragbar. So gesehen sind die Deutschen keine Ausländerfeinde, sondern sie arbeiten für diese durch ihre Steuerbeiträge. Oft bleiben Zugewanderte auch dann noch im Land, wenn ihr Aufenthaltsrecht bereits legal aufgehoben worden ist. Es wurden Einzelfälle vorgetragen, die beweisen, dass Strafverfolgungen von Ausländern einseitig-parteiisch zu deren Gunsten vorgenommen werden. Die Kirchen, insbesondere die evangelische Kirche wurde mehrfach kritisiert, weil sie sich in unqualifizierter Weise politisch auch hier gegen den Willen der Mehrheit einmischt. Es wurde dazu festgestellt, dass sie zu einseitig Positionen der Sozialdemokratie vertritt. Das erweckt oft den Eindruck, dass sie schon ein Ableger, zumindest ein enger Bündnispartner dieser Partei ist. Wie wenig sie( dieser Fall bezog sich auf die katholische Kirche, doch war das nicht ganz deutlich) ihre Bekenntnistreue zum christlichen Glauben festhält, das wird u. a. daran deutlich, dass bereits zu einer "Messe mit Moslems" aufgerufen worden ist. (Alle Zitate aus: www.ckdf.de)

Angela Merkel und die Granden der CDU/CSU würden natürlich längst unterbrechen und einwenden, Hohmann sei ja schließlich auch ausgeschlossen worden und das CKDF von der Parteispitze auf Distanz gehalten. (1994 hatte der Pfarrer und CDU-Generalsekretär Peter Hintze bei einem Treffen mit der Bundesspitze des CKDF zugesagt, die Gruppe wohlwollend zu beobachten, in einem zweiten Gespräch auch der CKDF- Forderung, in der CDU als Vereinigung anerkannt zu werden, unter Bedingungen zugestimmt, dann aber wenige Wochen später durch seinen Justitiar mitteilen lassen, dass eine Anerkennung nicht in Frage käme.)
Doch so einfach ist es nicht. Schließlich hat z.B. der CDU-MdB Nitzsche ebenfalls in der Jungen Freiheit bereits im November 2002 über die von "Rot-Grün angestrebte Zuwanderung und damit Veränderung des Deutschen Volkes" geklagt. "Wer ist Herr Nitzsche?", soll CSU-Fraktionsgeschäftsführer Peter Ramsauer nach dem Bekanntwerden anderer rassistischer Äußerungen dieses Noch-Fraktions-Mitglieds gegenüber Muslimen gefragt haben, als ob er aus dem Tal der Ahnungslosen und nicht aus Bayern käme. Ein Blick in das Bundestags-Handbuch hätte ihm verraten: Henry Nitzsche (CDU) wurde im Wahlkreis Kamenz-Hoyerswerda direkt in den Bundestag gewählt. Es wäre der Frage nachzugehen, ob Nitzsche nicht nur wieder einmal als ein völlig verwirrter Einzelfall aufgefallen ist, sondern auch für manchen strammen Wähler eintrat, als er sagte, in Deutschland könne "der letzte Ali aus der letzten Moschee Zuflucht nehmen". Im DS-Magazin meinte er zudem bekanntlich, dass einem Muslim eher "die Hand abfaulen" würde, als dass er die CDU wähle…

CDU-Vertreter haben in diesen Tagen immer wieder emphatisch behauptet, dass jemand wie Hohmann, der sich von antisemitischen Äußerungen nicht glaubwürdig distanziere, keinen Platz in der Union habe. Nitzsche ist so einer. Feindseligkeit gegenüber dem Islam widerspricht dem in diesen Diskussionen beschworenen Wertefundament der christlich-demokratischen Union. Wenn Angela Merkel es ernst meint mit ihren Werten, muss sie auch die bräunliche Unterwanderung aus Hoyerswerda beenden und sich dafür einsetzen, dass Fraktion und Partei Nitzsche ebenso konsequent ausschließen wie Hohmann.




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