Newsnational Freitag, 28.08.2020 |  Drucken


v.l.n.r.: Miriam Aced, Zeynep Cetin vom Bündnis gegen Berufsverbot, Christine Buchholz bei der Verhandlung am Bundesarbeitsgericht in Erfurt zur Verhandlung des Kopftuch-Urteils für die muslmische Lehrerin
v.l.n.r.: Miriam Aced, Zeynep Cetin vom Bündnis gegen Berufsverbot, Christine Buchholz bei der Verhandlung am Bundesarbeitsgericht in Erfurt zur Verhandlung des Kopftuch-Urteils für die muslmische Lehrerin

Sieg für die Verfassung

Lehrerin mit Kopftuch in Berlin darf unterrichten – sogenannte „Neutralitätsgesetz“ war rechtswidrig und diskriminierend – Lob von den Kirchen und ZMD

Erfurt/Berlin Das Land Berlin hat keine Bestätigung des Bundesarbeitsgerichts für sein Neutralitätsgesetz erhalten. Das höchste deutsche Arbeitsgericht wies am Donnerstag in Erfurt eine Revisionsklage des Landes gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg von 2018 ab, das einer abgelehnten muslimischen Lehramtskandidatin mit Kopftuch eine Entschädigung in Höhe von 5.160 Euro zuerkannt hatte.

Das Bundesarbeitsgericht folgte der Begründung der Vorinstanz, dass sie wegen ihrer Religion nicht eingestellt und damit benachteiligt worden sei. Zugleich entschied das Erfurter Gericht, dass die Summe angemessen sei. Die Klägerin hatte vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht eine höhere Entschädigung gefordert.

Damit kann das Land Berlin muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch weiterhin nicht unter Berufung auf sein Neutralitätsgesetz ablehnen. Die Vorsitzende Richterin des Achten Senats, Anja Schlewing, führte im vorliegenden Fall an, dass ein Mitarbeiter der Berliner Bildungsverwaltung die Lehramtskandidatin auf das Kopftuchverbot des Berliner Neutralitätsgesetzes hingewiesen habe. Das begründe die Annahme, dass die Lehrerin wegen ihrer Religion benachteiligt worden sei. Schlewing betonte, nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 sei das Neutralitätsgesetz verfassungskonform so auszulegen, dass Verbote etwa eines Kopftuches nur im Falle einer Gefahr für den Schulfrieden gerechtfertigt seien.

Das Berliner Neutralitätsgesetz ist in Deutschland die weitestgehende Regelung auf diesem Gebiet. Es verbietet bestimmten staatlichen Bediensteten, unter anderem Lehrkräften, religiös oder weltanschaulich motivierte Kleidung und Symbole.

In vorausgegangenen mündlichen Verhandlungen hatten, die das Land Berlin vertretenden Rechtsanwälte und die Senatorin des Landes Berlin für Bildung, Jugend und Familie, Sandra Scheeres, dessen Neutralitätsgesetz verteidigt.

Dagegen betonte die Rechtsanwältin Maryam Haschemi Yekani als Vertreterin der klagenden Lehrerin, es gebe viele positive Erfahrungen mit Lehramtsreferendarinnen, die während ihrer Ausbildung das Kopftuch tragen durften. Sie widerlegten das Argument, dass von dieser davon grundsätzlich eine Gefahr ausgehe. Auf diese Weise gekleidete Lehrerinnen mit akademischer Ausbildung könnten vielmehr ein emanzipiertes Frauenbild in der muslimischen Gemeinschaft fördern. Überdies seien Kopftuch tragende Frauen im Alltag der Berliner Schülerinnen und Schüler selbstverständlich.

Das heutige Urteil über die Auslegung des Neutralitätsgesetz kommentiert der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek wie folgt: „Das Urteil verdeutlicht klar, dass es niemals die Auslegung des Berliner Neutralitätsgesetzes war, sondern ein Berufsverbotsgesetz für muslimische Frauen und das hat naturgemäß keinen Bestand vor unserer Verfassung.

ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek: „Das Urteil verdeutlicht klar, dass es niemals die Auslegung des Berliner Neutralitätsgesetzes war, sondern ein Berufsverbotsgesetz für muslimische Frauen."

England und USA kopftuchtragende Muslima längst selbstverständlich - als Richterinnen, Polizistinnen und Lehrerinnen

Dem gesellschaftlichen Frieden, dem Schulfrieden und dem Frieden mit unserer Verfassung allemal ist mit diesem Urteil Genüge getan. Mit diesen unsinnigen Verboten muss endlich in Deutschland Schluss sein.

In England und in den USA z.B. ist es längst selbstverständlich, dass es muslimische Richterinnen, Polizistinnen und Lehrerinnen mit Kopftuch gibt.

Wer das Wort Vielfalt und Freizügigkeit in den Mund nimmt, sollte am Ende auch das praktizieren, in alle Richtungen, und der Frau in ihrer Selbstbestimmtheit, ob sie nun Kopftuch trägt oder nicht, unterstützen. Wir brauchen gut ausgebildete und im Beruf praktizierende Musliminnen; also legen wir ihnen bitte schön keine weiteren Steine in den Weg“.

Auch die beiden großen Kirchen haben das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Berliner Neutralitätsgesetz begrüßt.

Der katholische Erzbischof Heiner Koch, erklärte am Freitag, die Entscheidung sei ein Anlass, mit dem Staat über religiöse Symbole in der Öffentlichkeit und die staatliche Neutralität zu sprechen. Es seien entscheidende Fragen für ein friedliches Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft, betonte der Berliner Erzbischof.

Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) hat das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Berliner Neutralitätsgesetz auch begrüßt. Konsistorialpräsident Jörg Antoine erklärte am Freitag, er hoffe nun auf mehr Toleranz und Gelassenheit im Umgang mit religiösen Symbolen.

"Nach über fünf Jahren ist es an der Zeit, im Berliner Neutralitätsgesetz dem Grundrecht der Religionsfreiheit mehr Beachtung zu schenken", so Präsident Antoine unter Verweis auf das Karlsruher Urteil von 2015. Das Land Berlin habe in dem Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht nicht nachweisen können, dass der vorliegende Fall der Kopftuch tragenden Lehrerin den Schulfrieden konkret bedroht hätte. Das Prüfen einer solchen konkreten Gefährdungslage wäre aber die Arbeit der staatlichen Verwaltung gewesen. "Wer eine tolerante und plurale Gesellschaft möchte, sollte nicht auf das Verbot religiöser Symbole setzen", forderte der Kirchenjurist.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die Entscheidung wiederum und ergänzte zusätzlich: Einmal mehr werde klargestellt, dass "pauschale Verbote religiöser Symbole" unzulässig seien und eine Diskriminierung vorliegen könne. Berlin wäre demnach gut beraten, entsprechende Regelungen zu überarbeiten.



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