Newsnational Donnerstag, 25.04.2013 |  Drucken

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Fällt das Wort Islam, geht der Verstand

Zum gegenwärtigen Diskurs in der Öffentlichkeit und Medien über den Islam am Beispiel Peer Steinbrücks Aussage zum deutschen Sportunterricht in den Schulen - Von İsmail Kul

Anfang April, eine Polizeiwache in Izmir, Stadtteil Konak, Türkei. Eine Frau möchte einen Diebstahl anzeigen. Ihr wurde nämlich - wie sie berichtet - im Getümmel des Bazars Kemeraltı das Handy aus der Tasche gestohlen. Der Polizeibeamte nimmt die Anzeige auf, versucht gleichzeitig sie zu beruhigen: „Hoffentlich gerät Ihr Handy an einen guten Muslim und er oder sie lässt es Ihnen zurückkommen!“ Das Verständnis von Religion, von Islam und gutem Muslim-Sein, das hier in den Worten des Polizeibeamten zum Ausdruck kommt, ist typisch für den türkisch-muslimischen Raum. Es wird vor allem mit korrektem ethischem Verhalten in Verbindung gebracht, auch wenn manche in ihrem Leben diesen Anforderungen nicht genügen.

Nicht so in Deutschland. Womit Islam und Muslim-Sein in Deutschland assoziiert werden, wurde jüngst wieder im Zusammenhang mit den Äußerungen Peer Steinbrücks, des Kanzlerkandidaten der SPD, jedermann von neuem vor Augen geführt. Was war passiert? Wieder Peer Steinbrück, wieder eine Veranstaltung mit dem Titel „Klartext“, als ob er damit noch keine unguten Erfahrungen gemacht hätte! Aber das ist seine Sache. Fakt ist, eine solche Veranstaltung mit dem Titel „Klartext mit Peer Steinbrück“ fand statt, und zwar am 3. April in Berlin, er nahm daran teil, stellte sich den Fragen der Zuhörer und sprach. Auch auf eine Frage in Bezug auf muslimische Schülerinnen und ob der Sportunterricht nicht für Jungen und Mädchen auch getrennt durchgeführt werden könnte.

Steinbrück hat keine Ahnung von Integrationֹ

Steinbrück gibt den pragmatischen, in Weltanschauungsfragen toleranten Politiker und sagt: „Wenn die Schulen es einrichten können, sollten sie da Rücksicht auf die religiösen Gefühle nehmen und getrennten Sportunterricht anbieten. Ich würde da Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen.“ Und fügt hinzu: „Aber da denkt vielleicht jeder anders.“ Aus den Worten Steinbrücks ist eigentlich keine starre Haltung zu entnehmen, sondern eher ein tolerantes Laissez-Faire, das auch andere Haltungen zu dieser Frage in Kenntnis nimmt und gelten lässt. Aber wir sind hier in Deutschland und entsprechend waren die Reaktionen auf diese Worte vielsagend. Steinbrück hatte – frei nach einer bekannten Filmsatire aus den späten 70er-Jahren – endgültig „Jehova“ gesagt und der selbsternannte Anstand der Republik hyperventilierte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt ihren Sprecher ausrichten, Steinbrücks Worte seien das „völlig falsche integrationspolitische Signal.“ Steinbrücks Parteigenosse Heinz Buschkowsky, berüchtigter Bürgermeister von Berlin-Neukölln ruft – unter der für ihn üblichen Offenbarung historischen Halbwissens – in Erinnerung: „Mädchen- und Jungenschulen hatten wir zuletzt vor 150 Jahren“ und fügt hinzu: „Wir haben in Deutschland keine Geschlechtertrennung. Es kann nicht sein, dass wir jetzt die gesellschaftliche Uhr zurückdrehen.“ Und auch Joachim Hermann, Innenminister des Freistaats Bayern, attestiert Steinbrück, keine Ahnung von Integration zu haben und gibt zu bedenken: „Bei aller Toleranz gegenüber dem Islam dürfen wir nicht die Gleichberechtigung von Mann und Frau infrage stellen.“

All das Gerede von Toleranz oder weltoffenem Deutschland hin oder her – das Wort Islam bzw. so etwas wie die Frage des Sportunterrichts einzelner muslimische Schülerinnen löst offenbar bei vielen Bilder vom Mittelalter und Gefühle vom Untergang des Abendlands aus. Angesichts der Tatsache der parteiübergreifend gleichen Haltung in dieser Frage handelt es sich hier offenbar um eine tiefe kulturelle Einstellung. Die Frage des Islams scheint ein größeres Problem zu sein, als die Toleranzkapazität vieler Zeitgenossen es bewältigen kann. Dabei stellt sich die Frage des getrennten Sportunterrichts für Jungs und Mädchen gar nicht.

Denn sie wissen nicht, wovon sie reden

Denn zum einen ist es längst gängige Praxis in Deutschland, auch in Berlin und Bayern, dass Sportunterricht für Jungs und Mädchen in der Sekundarstufe in getrennten Räumen stattfindet. In Bayern gilt das für die Klassen zwischen 5 und 10. Der Grund dafür ist einfach: Es ist weder die Sehnsucht nach dem Mittelalter, noch hat es mit dem Islam zu tun. Einfach aufgrund der Tatsache, dass sich Jungs und Mädchen in der Pubertätsphase anders und unterschiedlich schnell entwickeln, wird im Sportunterricht diesem Umstand Genüge getan und dieser getrennt abgehalten. Steinbrück spricht also über die gängige Praxis ist Deutschland, ohne vielleicht es zu wissen. Ebenso seine Kritiker.

Übrigens deckt sich das, was Steinbrück sagt, auch mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1993. Das Urteil schlägt Schulen vor, wenn diese es organisatorisch einrichten können, den Sportunterricht für in Frage kommende Klassen getrennt zu halten und es erkennt das Recht an, sich aus religiösen Gründen vom gemeinsamen Sportunterricht beurlauben zu lassen. Die Schlussfolgerung des Ganzen? Hoffentlich bekommt Herr Steinbrück diesen Artikel nicht zu Gesicht oder liest ihn sogar. Was, wenn er ausgehend von der Erkenntnis, dass Muslime den Islam vor allem mit ethisch korrektem Verhalten in Verbindung bringen, am Ende noch fordert „Die Muslime sollten – auch aus religiösen Gründen – keine Steuern hinterziehen, die Sozialkassen nicht eigenverschuldet belasten, nicht lügen und betrügen“?!

EiEin Feldzug gegen diese und ähnliche Tugenden - allein dadurch, dass sie mit dem Islam in Verbindung gebracht werden können - würde unserer Gesellschaft nicht gut tun. Die allgegenwärtigen pawlowschen Reflexe würden am Ende vielleicht sogar zur Legalisierung der Witwenverbrennung führen, wenn herauskäme, dass der Islam die besondere Fürsorge für Witwen und Waisen lehrt. Und überhaupt: Man sollte es auch nicht übertreiben mit Toleranz und Verständnis in der Gesellschaft. Wo käme man hin, wenn die Mitglieder unserer aufgeklärten Gesellschaft vieles verstehen könnten und nichts mehr hätten, um ihre negativen Gefühle und Ressentiments daran auszulassen?!

Erstveröffentlichung in DTJ.de am 16.04.2013 mit freundlicher Genehmigung des Autors und Zaman-Journalisten





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