Artikel |
Samstag, 07.10.2006 | Drucken |
Herr Hansen und die Koransure – Alles nur ein Missverständnis? Von Ahmad Peter Kreusch
Herr Hansen, unser Abteilungsleiter, war ein äußerst liebenswürdiger Chef. Bei aller Korrektheit und Sorgfalt legte er Wert auf lockeren, kollegialen Umgang mit den Mitarbeiter. Sein lebhaftes Interesse an meiner Religion war echt, gestand er doch unumwunden ein, keine Ahnung vom Islam zu haben, wollte aber auch den vielen Vorurteilen, "was man so hört und liest", keinen Glauben schenken. Jetzt nutzte er die Gelegenheit, einen leibhaftigen Muslim in seiner Abteilung zu haben und fragte mir Löcher in den Bauch.
Er selbst war, wie er sagte, nicht religiös und meinte, nur so könne man wirklich tolerant sein, für ihn seien alle Religionen gleich, es käme nur darauf an, was die Menschen daraus machten, er sei Realist und habe "kein Talent für Spiritualität".
Eines Tages kam er aufgeregt in mein Arbeitszimmer. Er suchte verzweifelt seine Lesebrille, die er brauchte, um in der Sitzung mit dem Bürgermeister am Nachmittag seinen Bericht über ein neues Projekt vorzulesen, - ohne Brille eine Katastrophe. Er hatte schon alles abgesucht, sein Auto, sein Büro, hatte zu Hause seine Frau die Wohnung auf den Kopf stellen lassen und fragte jetzt bei jedem Kollegen nach, ob irgendwo seine Brille aufgetaucht wäre, - ohne Erfolg.
Man könnte wirklich Mitleid mit ihm haben. Um ihn ein wenig zu trösten, erklärte ich ihm, es gäbe eine bestimmte kleine Sure im Koran, "At-Tariq (Der Morgenstern)", die man lesen könne, wenn man etwas verloren habe. Es heißt, dass dann der verlorene Gegenstand zu einem zurückkehre, "insch Allah", so Gott will.
Er hörte sich tatsächlich meinen Vorschlag an, sogar ohne das nachsichtige Lächeln, mit dem er bei unseren Gesprächen manchmal auf meine Islambegeisterung reagierte. In seiner Situation schien er nach jedem Strohhalm zu greifen. "Funktioniert das denn auch bei Nichtmuslimen?" fragte er, als ich anbot, diese Sure für ihn zu lesen. "Der Koran funktioniert immer, "sagte ich, "es hat jedes Mal funktioniert, wenn ich die Sure gelesen habe." "Na ja, es kann ja nicht schaden," meinte er, und verließ den Raum, um weiter zu suchen. Jetzt war ich allein und konnte laut die Sure "At-Tariq" rezitieren, ohe jemand zu stören.
An diesem Tag sah ich Herrn Hansen nicht mehr. Erst am nächsten Morgen kam er ganz entspannt in mein Zimmer und sagte: "Nett, das Sie gestern sogar den Koran bemüht haben. Es wäre gar nicht nötig gewesen. Als ich mich in mein Auto setzte, um in der Mittagspause nach Hause zu fahren, lag doch die Brille auf dem Beifahrersitz!"
"Hatten Sie gestern nicht zu allererst im Auto nachgeschaut?" fragte ich. "Doch, aber ich muss sie wohl übersehen haben, sie war ein wenig nach hinten gerutscht. Die ganze Aufregung umsonst!"
|
|
Hintergrund/Debatte
Langes KNA-Interview: Der neue Vorsitzende des Zentralrats der Muslime über sein Amt ...mehr
Bochum ehrt Ahmed Aweimer zum 70. Geburtstag ...mehr
Aiman Mazyek kommentiert das Verbot der Imam Ali Moschee: "Blaue Moschee - Islamisches Zentrum in Hamburg ...mehr
Medienanalyse: Rassismus in Medien, Recht und Beratung ...mehr
Jahresbericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte: Jeder Mensch möchte in Würde leben - Für viele Menschen bleiben diese Wünsche unerfüllt – auch in Deutschland ...mehr
Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben
Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009
|