Leserbriefe |
Dienstag, 31.01.2006 | Drucken |
Leserbriefe
Fatih Zingal schrieb:
Es ist nun an der Zeit, dass auch die Bevölkerung ihre Stimme erhebt!
mit Empörung habe ich die Entwicklungen bezüglich der Einbürgerung
muslimischer Migranten in Baden-Württemberg zur Kenntnis genommen.
Die in Deutschland lebenden Muslime erhalten immer mehr den Eindruck
hier nicht erwünscht zu sein. Doch während man sich bisher größtenteils
privat geschürten Vorurteilen stellen musste, erschüttert nun die Erkenntnis,
dass Vorurteile offenbar auch öffentlich vorherrschen und vermittelt werden
können, das Vertrauen aller Muslime! Als Moslem kommt man nicht umhin sich zu fragen:
Wenn sich eine westliche Frau, um den Haushalt und die Kinder kümmert, opfert sie sich und trägt Gutes und
ehrwürdiges für den Haushalt bei, aber warum muss eine Muslima "befreit
werden", wenn sie das Gleiche tut?!
Mit dem Beschluss, einen Fragenkatalog für aus islamischen Ländern
stammende Migranten einzuführen, werden Muslime unter Generalverdacht gestellt!
Das kann und darf in einer demokratischen Gesellschaftsordnung nicht
toleriert werden! Die Einführung eines Einbürgerungsfragebogens stellt eine
Diskriminierung dar – nicht nur für den Antragssteller – sondern für alle
Muslime! Als rechtschaffener Moslem wird man fortwährend herrschenden
Vorurteilen ausgeliefert, gegen die man sich ständig zu rechtfertigen
bemüht. Doch der Einbürgerungsfragebogen stellt nun den bisherigen Höhepunkt
in der Diskriminierung aller in Deutschland lebender Muslime dar! „Diese
Stigmatisierung qua Religion und Nationalität verletzt das Gleichheitsgebot.
Und das ist in eben jenem Grundgesetz festgeschrieben, zu dem sich der
Antragsteller bekennen soll.“(Die Zeit online, 6.12.2005)
Auch wenn das baden-württembergische Innenministerium jegliche Kritik
zurückweist und sich darauf beruft, der Fragebogen würde nur eingesetzt,
wenn es Zweifel an dem Bekenntnis zum Grundgesetz gäbe, bleibt fragwürdig,
wie die Tatsache, dass dieser Einsatz nur bei muslimischen Bürgern erfolgt,
mit Art. 3 des Grundgesetzes vereinbart werden kann! Um dies noch
einmal in Erinnerung zu rufen, heißt es da in Art. 3 Abs. 1 GG: „Alle
Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Und in Art. 3 Abs. 3 dann spezifischer:
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse,
seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner
religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt
werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Vielleicht sollten die Herrschaften, die den Gesprächsleitfaden konstruiert
haben und seine Einführung strikt befürworten, sich selber noch einmal dem
Studium des Grundgesetzes widmen, dessen Anerkennung ihnen so sehr am Herzen
liegt! Auch die Religionsfreiheit ist im selbigen, das rechtschaffene
Muslime zutiefst respektieren (und vor allem auch kennen!) fest verankert:
So heißt es: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des
religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ (Art. 4
Abs. 1 GG) und „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ (Art.
4 Abs. 2 GG) Die Frage, ob sich die Verantwortlichen mit dem prekären
Verstoß gegen das Grundgesetz befasst haben, bleibe dahingestellt (auch wenn
nicht der Anschein erweckt wird). Es erscheint jedoch paradox, dass gerade
diese für das Grundgesetz so wichtigen Tatbestände von seinen vermeintlichen
Verteidigern scheinbar selbst missachtet werden. Der Vorsitzende des
Zentralrats der Muslime, Nadeem Elyas, sprach in diesem
Zusammenhang von einer "eindeutig gesetzeswidrigen Diskriminierung aller
Muslime“ und kritisiert zu Recht, dass der Fragebogen nicht – wie vom
baden-württembergischen Innenministerium behauptet – einen Schutz gegen
Islamisierung darstellt, sondern lediglich die Zerstörung von Vertrauen,
Dialog und Integration zur Folge hat!
An beispielsweise Frage Nummer 30 wird sehr schnell ersichtlich, dass hier
Vorurteile zu tragen kommen, die gegenüber der muslimischen Bevölkerung
gehegt werden, von denen sich offensichtlich bedauerlicherweise auch das
baden-württembergische Innenministerium nicht freisprechen kann: Die Frage
„Was halten Sie davon, dass in Deutschland Homosexuelle öffentliche Ämter
bekleiden?“ legt die Vermutung nahe, dass die auch bei beispielsweise
Katholiken vorkommende Ablehnung der homosexuellen Ehe womöglich als
verfassungskonformer eingeschätzt wird als die der Muslime! Außerdem scheint
durchaus diskussionswürdig, ob der derzeitige Papst angesichts dieser Frage
die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten könnte!
Ich möchte ergänzen, dass kein falscher Eindruck erweckt werden soll und aus
diesem Grund deutlich betonen, dass das Bekenntnis zum Grundgesetz
unwiderrufbarer Bestandteil jeder Einbürgerung sein muss! Doch der
einberufene "Gesinnungstest" ist absolut inakzeptabel! Nachdem sich
zahlreiche führende Politiker, Verfassungsrechtler, Vertreter von Verbänden
und Menschenrechtsorganisationen ihre Ablehnung bekundet haben, ist es nun
an der Zeit, dass auch die Bevölkerung ihre Stimme erhebt!
Ich hoffe, dass diese Kritik von der baden-württembergischen Landesregierung
zur Kenntnis genommen wird. Vor allem bitte ich die Verantwortlichen nachdrücklich darum, die
Einführung des Fragebogens, der eine Verleumdung und Verunglimpfung aller
Muslime darstellt, noch einmal zu überdenken! Die Abschaffung des
"Gesinnungstestes" scheint mir unumgänglich! Es dient dem Interesse aller
in unserer Gemeinschaft lebenden Menschen! Vielen Dank.
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