Folgen-fuer-muslime Dienstag, 17.02.2004 |  Drucken

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14.02.04 spiegel.de: Vorsicht Araber - Wie sieben Verbündete Amerikas zu Terroristen erklärt wurden. schrieb:



Abdellah Abassi steht im Flughafen von Portland, im Westen der USA, und hat Lust auf einen Kaffee. Eigentlich ist die Zeit zu knapp, sein Flug wird in wenigen Minuten aufgerufen, aber die nächste Kaffeebar ist nicht weit. Er wird schon zeitig genug zurück sein. Abassi macht sich auf den Weg, sein Handgepäck lässt er am Gate zurück.
Als er zu seinem Flugsteig zurückkehrt, einen Becher Kaffee in der Hand, sind alle anderen Passagiere schon an Bord, Abassi greift seine Tasche und steuert auf den Ausgang zu. Uniformierte Sicherheitskräfte - Angestellte von Delta Airlines - beobachten ihn misstrauisch.

Abassi ist Abgeordneter des marokkanischen Parlaments, er ist auf dem Weg zurück in sein Heimatland - wie die sechs anderen Parlamentsabgeordneten, die bereits im Flugzeug sitzen. Es ist Samstag, und morgen, am Sonntag, feiert die muslimische Welt Id al-Adha, das islamische Opferfest. Abassi hofft, es zu Hause feiern zu können. In wenigen Minuten wird der Jet zur Startbahn rollen.

Eine Woche waren Abassi und seine Politikerkollegen durch die USA gereist. Sie schauten sich die Hauptstadt Washington an, dann Dallas und schließlich Portland. Ihre Gastgeber empfingen sie mit Blumenbouquets, sie sprachen unverbindlich und freundlich mit ihnen. Die Marokkaner waren Polit-Touristen aus einem Land, das Amerika einen Verbündeten im Kampf gegen den Terror nennt, eingeladen vom "American Council of Young Political Leaders", einer Organisation, die sich der Verständigung zwischen den politischen Eliten der Welt verschrieben hat.

Abassi kümmert sich nicht um die misstrauischen Blicke der Uniformierten, er will an ihnen vorbei zum Ausgang. Die Uniformierten versperren ihm den Weg:

"Wer sind Sie?", fragen sie.

"Wohin wollen Sie?"

Abassi versteht kein Wort, er spricht kein Englisch.

Auf Arabisch sagt er: "Bitte lassen Sie mich durch, ich verpasse meinen Flug." Er wiederholt den Satz auf Französisch.

Die Amerikaner verstehen kein Wort.

Ihnen gefällt dieser Araber nicht, seine herumstehende Tasche hat sie misstrauisch gemacht. Jemand ruft den Sicherheitsdienst.

Während ihrer Reise durch die USA wurden Abassi und seine Kollegen von einem Übersetzer begleitet, er geleitete sie auch zum Flughafen und durch die Sicherheitskontrolle. Dann ging er - niemand hatte damit gerechnet, dass es hier, am Flugsteig, noch Probleme geben könnte.

Draußen, in seinem Cockpit, wundert sich der Pilot, warum immer noch ein Passagier fehlt. Er lässt nach dem Grund fragen und erfährt, dass ein Araber das Flugzeug mit einer verdächtigen Tasche betreten wollte. Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes erscheinen an Bord.

Im Flugzeug wird es laut. Passagiere fragen, was los ist. Abassis Mitreisende regen sich darüber auf, dass er draußen festgehalten wird. Sie empören sich auf Französisch, dann auf Arabisch. Der Pilot versteht kein Wort. Er befiehlt den sechs mutmaßlichen Terroristen, das Flugzeug zu verlassen, mitsamt ihrem Handgepäck.

Ein Abgeordneter versucht, die Situation zu klären. Er wedelt mit seinem Pass, der ihn als Diplomaten ausweist. Die Flughafenpolizisten schenken dem Pass keine Aufmerksamkeit, sie sehen nur den Zettel, der auf ihm klebt. 911 steht dort geschrieben.

Es ist die Nummer des Polizeinotrufs in den USA, ihre amerikanischen Gastgeber hatten den Parlamentariern geraten, diese Nummer anzurufen, falls sie in Schwierigkeiten geraten. Aber die drei Ziffern stehen auch für den 11. September, für das Versagen der US-Sicherheitsbehörden, deren Mitarbeiter zu nachlässig waren, zu gutgläubig.

Die sechs Marokkaner werden von Bord geschafft und zusammen mit Abassi in einen Raum gesperrt. Man nimmt ihnen ihre Pässe ab, es sind ohne Ausnahme Diplomatenpässe, in einigen liegen Empfehlungsschreiben des US-Außenministeriums, aber was heißt das schon. Pässe kann man fälschen; Empfehlungsschreiben auch.

Das FBI wird verständigt. Man brauche hier einen Agenten, der Arabisch spreche. Das werde dauern, lautet die Antwort. Schließlich sei Wochenende.

Das Gepäck der Abgeordneten wird durchsucht. Wäsche, Souvenirs, Notizen, kein Sprengstoff, kein Plutonium.

Mehrere Stunden später erscheint ein Ermittler des FBI, er spricht mit den Gefangenen, sie erklären ihm, wer sie sind. Sie zeigen ihm ihre Pässe, ihre Empfehlungsschreiben, sie sagen, dass bei ihrer Einreise ihre biometrischen Merkmale gespeichert wurden, dass sie fotografiert wurden. Und sie fragen: Warum sind wir trotzdem inhaftiert worden? Warum versagen die Sicherheitsbehörden schon wieder?
Man antwortet ihnen, die biometrischen Daten würden erst seit kurzem erfasst, es gebe wohl noch Probleme.

Gegen zehn Uhr am Abend, nach 15 Stunden, steigen sie in ein Flugzeug und verlassen die USA. Sie fliegen Richtung Osten. Niemand bat sie um Verzeihung, niemandem schien es peinlich zu sein.

Erst zwei Tage später ringt sich der US-Botschafter in Marokko eine Entschuldigung ab.


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