Leserbriefe |
Donnerstag, 12.09.2002 | Drucken |
Leserbriefe
Aliyous-Mueller: CDU für Muslime nicht wählbar schrieb:
Wie schon zu den Bürgerschaftswahlen vor einem Jahr, hat SCHURA - Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg auch zu den Bundestagswahlen am 22.9. wieder islamische Wahlprüfsteine formuliert und sie SPD, CDU, GRÜNE, FDP, PDS und Schill-Partei zur Stellungnahme übersandt. Ferner wurden Vertreter der Parteien zu einer Podiumsdiskussion ins Islamischen Zentrum Hamburg eingeladen.
Gefragt wurde zu den Themen Zuwanderungsgesetz, Antidiskriminierungsgesetz, Kopftuch am Arbeitsplatz, Anti-Terror-Gesetze und Verbotsdrohungen gegen islamische Vereine, deutsche Außenpolitik bezüglich Krieg-gegen-den-Terror und
Irak sowie die Behandlung des Islam in Schule und Hochschule, insbesondere die Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie.
Mit dieser Aktion wurde zweierlei bezweckt: Zum einen die Parteien darauf aufmerksam zu machen, daß es ein muslimisches Wählerpotential gibt und welche Interessen die Muslime haben. Zum anderen die Muslime zu mobilisieren, sich einzumischen und vom Wahlrecht Gebrauch zu machen. Denn gerade dies haben Muslime in der Vergangenheit viel zu wenig getan. Deshalb rief SCHURA-Vorsitzender Mustafa Yoldas auf der Veranstaltung am 6.9. die Anwesenden noch einmal eindringlich auf, am 22.9. zur Wahl zu gehen.
Vorher hatte jedoch die Hamburger CDU für einen Eklat gesorgt: Während die Schill-Partei erst gar nicht reagiert hatte, erklärte die CDU in einem teilweise in einem provozierenden Ton gehaltenen Schreiben, daß sie an der Veranstaltung nicht teilnehmen würde: Sie würde in einer Moschee und insbesondere in dieser Moschee keine politischen Diskussionen führen. Im Verlauf des Schreibens wurde mit böswilligen Unterstellungen das Islamische Zentrum, immerhin die älteste und mit größte Hamburger Moschee, und SCHURA insgesamt als Zusammenschluß des größten Teils aller Moscheen und islamischen Vereine in Hamburg in die extremistische Ecke gestellt.
Die muslimische Reaktion darauf war deutlich: "Wer so direkt erklärt, die Stimmen der Muslime nicht zu wollen, der soll sie auch nicht bekommen" so Mustafa Yoldas auf der Veranstaltung. Schill-Partei und CDU seien für Muslime nicht wählbar. Die Hamburger Muslime sollten unter den anwesenden vier Parteien ihre Wahl treffen.
Erschienen waren die Bürgerschaftsabgeordneten Aydan Özoguz (SPD) und Antje Möller (Grüne) sowie die Bundestagskandidaten Prof. Dr. Wolfgang Deppert (FDP) und Yavuz Fersoglu (PDS). Ihre Ausführungen sorgten für eine lebhafte Diskussion in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Versammlungsraum des Islamischen Zentrums, welche nur durch die Zeit zum Abendgebet gebremst werden konnte.
Dabei hinterließ der FDP-Vertreter ein zwiespältiges Gefühl: Seine Ausführungen waren kenntnisreich und konnten gefallen, aber, so fragte schließlich ein Zuschauer, "was hat Ihre persönliche Meinung eigentlich mit der realen FDP-Politik zu tun?" SPD und Grüne unterschieden sich in ihren Statements nur wenig - schließlich nahmen beide Bezug auf vier Jahre rot-grüne Regierungsarbeit, die sie fortsetzen wollen. Die Grünen versprachen allerdings, sich für die umgehende Verabschiedung des Antidiskriminierungsgestzes inklusive Tatbestand religiöse Dsikriminierung einsetzen zu wollen.
Am meisten profilieren konnte sich der PDS-Vertreter: Vom Recht muslimischer Frauen, auch am Arbeitsplatz über ihre Kleidung frei entscheiden zu dürfen über die Ablehung der Sicherheitsgesetze bis zum Widerstand gegen den Anti-Terror- und anstehenden Irak-Krieg gab es hier eine Untersützung muslimischer Positionen wie sonst von keiner anderen Partei. Dies wird der PDS, die vielleicht bislang unter den Muslimen noch nicht so beachtet wurde, so manche Sympathie und möglicherweise auch Stimme gebracht haben.
Wenn man nach diesem Abend eine Tendenz festhalten konnte, dann wohl diese, daß Hamburgs Muslime mehrheitlich "links" wählen werden: Mit der
CDU/FDP/Schill-Koalition hat man schon in Hamburg mehr als schlechte Erfahrungen gemacht, so daß man Ähnliches auf keinen Fall auch noch in Berlin haben will.
Also werden die meisten zwischen SPD, Grünen und PDS schwanken, wobei der Einsatz von Erst- und Zweitstimme die Sache erleichtern kann.
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