Leserbriefe Sonntag, 07.07.2002 |  Drucken

Leserbriefe



Kopftuch:Dem Geist der Verfassung verpflichtendes Urteil? schrieb:



nach meiner Einschätzung standen die Aussichten 50:50. Das Gericht urteilt nach
Aktenlage anhand erwatungsmäßiger Gesetze. Wie soll man von einem
Verwaltungsgericht erwarten, gesellschaftspolitische, dem Geist der Verfassung
verpflichtete Urteile erwarten? Das ist in der Tat Aufgabe gesellschaftlicher
und politischer und konfessioneller Gruppierungen. Hierzu gehört auch
Aufklärung über die wahren Werte des Islams sowie die politische,
gesellschaftliche Präsenz, aber auch Medienarbeit. Die Islamische Charta des
ZMD ist ein guter Anfang, aber bei weitem nicht ausreichend, zumal sie von den
Medien praktisch nicht wahrgenommen wird.
Man sollte nur banal aufzählen, wie oft und in welchem Zusammenhang das Wort
Islam und seine Ableitungen in den Medien vorkommt. Wenn man in den Medien den
Islam fast ausschließlich mit negativen Attributen in Zusammenhang bringt,
jedoch die wahren Botschaften des Islams und die islamische Wirklichkeit in
Deutschland vernachläßigt, so braucht man sich über das Urteil und seine
überwiegend anteilslose Kommentierung in den Medien nicht wundern.

Frau Schavan, Kultusministerin in Baden-Württemberg, die die politische
Verantwortung für die Ablehnung von Frau Ludin trägt und diese Ablehnung vor
zwei Jahren öffentlich vehement vertrat, gehört übrigens zum Kompetenzteam von
Herrn Stoiber. Für die Etablierung einer demokratischen Integrationskultur in
Deutschland sicherlich keine glückliche Wahl. Hoffentlich blüht uns keine
zweite Debatte über die Leitkultur nach den Wahlen im September.

Auch die SPD tut sich schwer mit dem Thema Integration, wie das Interview von
Innenminister Schily in der Süddeutschen Zeitung v. 28.6.2002 zeigt. Herr
Schily vertritt hierin das Konzept der ASSIMILIERUNG!!!!! als der Weg zur
Integration in Deutschland. Das schlimmste aber war, dass die Reaktion der
SPD-Parteigrößen entweder Schweigen oder beschwichtigende Worte mit einem
leisen Ton der Kritik war. Von einer sozialdemokratischen Partei hätten wir
eine klare und eindeutige Stellungnahme erwartet, die sich gegen die
Gleichmacherei und den kulturellen Einheitsbrei mit Nachdruck wendet und Schily
öffentlich rügt.

Wohltuend in diesem Zusammenhang ist die Stellungnahme der kirchenpolitischen
Sprecherin der Liberalen Marita Sehn v. 4.7.02, zu lesen unter www.islam.de.
Frau Sehn wörtlich:"Wir brauchen dringend eine Diskussion darüber, wie andere
Religionen in die Gesellschaft integriert werden können. Diese Entscheidung
sollte nicht über die Gerichte, sondern muss auf politischer und
gesellschaftlicher Ebene Erfolgen. Die Kirchen könnten in dieser Diskussion
einen großen Beitrag leisten...".

In Deutschland leben mehr als drei Millionen Muslime. Ihre Integration, d.h.
ihnen gesellschaftlich und politisch die verfassungsmäßig verbrieften Rechte
(und Pflichten) in einer demokratischen Integrationskultur zu ermöglichen, ist
eine große nationale Aufgabe. Die Partein, Kirchen, und alle relevanten
gesellschaftlichen Gruppen sind dazu aufgerufen, auch ausserhalb von
Wahlterminen, diese Aufgabe engagiert und ihrer Bedeutung entsprechend
anzupacken.

Aber auch die Muslime in Deutschland sind aufgerufen, sich mehr im
gesellschaftlichen Leben zu engagieren...sich mehr zu integrieren. Es ist die
Zukunftssicherung unserer Kinder und Enkel. Auch nicht praktizierende Muslime
sollten sich um die Wahrung und Weitergabe ihrer kulturellen Identität kümmern.
Es ist eine familiäre und gesellschaftliche Aufgabe und zugleich ein Beitrag
zur erwünschten demokratischen Vielfalt...zu einer demokratischen
Integrationskultur.

Solange eine Muslima wegen des Tragens eines Kopftuches mit beruflichen oder
gesellschaftlichen Nachteilen rechnen muss (anderes als ihre
Geschlechtsgenossinen mit einem Kreuz oder Judenstern auf der Brust), solange
gibt es viel zu tun auf dem Weg zu einer demokratischeen Integrationskultur.

Um Missverständnissen vorzubeugen, ist diese Zuschrift rein privater Natur und
gibt lediglich meine persönliche Meinung wieder.

Mit freundlichen Grüßen
ASSALAMU-ALAIKUM
Ziad Nouri


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