Artikel Dienstag, 09.08.2011 |  Drucken

Meinen Großvater durfte ich nie kennenlernen

"Die „Stolpersteine“ stehen auch für die Tatsache, „nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg - Von Volker Taher Neef

Am 1. August 2011 trat der Kölner Künstler Gunter Demnig in Gelsenkirchen in Aktion. Er verlegte in der Ruhrgebietsstadt wieder zahlreiche „Stolpersteine.“ Jeder „Stolperstein“ erinnert an ein menschliches Schicksal und steht für ein Leben, das von den Nationalsozialisten verfolgt und ausgelöscht wurde. Dabei spielt es für Gunter Demnig keine Rolle, warum die Faschisten ein Leben ausgelöscht haben, er weist jedes Mal auf die barbarische Tat hin. Das zeigte sich deutlich in Gelsenkirchen. „Stolpersteine“ verlegte er vor den Wohnorten von jüdischen Mitbürgern; vor dem Haus eines Wehrmachtsdeserteurs; KPD-Mitgliedern und Zeugen Jehovas. Ob ermordete Homosexuelle, ermordete Bibelforscher, jeder Mensch, der von den NS-Machthabern zu Tode kam, erhält an seinem letzten Wohnort seinen persönlichen Stolperstein, der die Daten des Ermordeten aufweist. Es bedarf keiner langen Worte, das Neonazis gerne diese Objekte aus dem Bürgersteig herausreißen oder mit Farbe und Säure beschmieren. Erst am Wochenende vom 7. auf den 8. August schlugen die Braunen wieder in Berlin zu. Kurz zuvor hatte der Kölner Künstler auch dort „Stolpersteine“ verlegt. Die Berliner Polizei teilte mit, „eine dicke braune Substanz“ sei über einige „Stolpersteine“ gegossen worden.

Den ersten Gelsenkirchener „Stolperstein“ des Tages verlegte Gunter Demnig für Oskar Behrendt. Der Chefredakteur des „Ruhr-Echo“ kam 1902 zur Welt und war auch in führender Funktion bei der „Roten Hilfe“ tätig. Behrendt war auch Mitglied des Kommunalparlaments in Buer. Am 16.August 1933 verhafteten ihn die Nazis. Oskar Behrendt verstarb einen Tag später in der Haft. Laut Gefängnisleitung an „Herzversagen.“ Der ärztliche Bericht ist noch vorhanden. Darin heißt es jedoch: „Die Leiche war vollkommen bestialisch verstümmelt! Der Kopf und das Gesicht waren durch äußere Gewalteinwirkung bis tief auf die Muskulatur und Knochen viehisch beschädigt.“ Ferner heißt es: „Die Wirbelsäule war mehrmals gebrochen.“ Der Arzt sah es anders als die Gefängnisleitung und formulierte: „Die Todesursache kann unmöglich Herzschlag gewesen sein.“

Faschismus war nie tot - Er hat lediglich sein Gewand gewechselt

Die anwesende Fraktionsführerin der Partei DIE LINKE im Düsseldorfer Landtag, Bärbel Beuermann, sagte: „Es war ein unvorstellbarer Hass, den die Faschisten an Oskar Behrendt ausließen. Sein Friedenswille wurde ihm zum Verhängnis.“ Die „Stolpersteine“ stehen auch für die Tatsache, „nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg.“ Die Parlamentarierin Beuermann wies auch darauf hin, dass nach Kriegsende im Gelsenkirchener Gefängnis alles „schön weiterlief. Weder der Gefängnisleiter noch das Wachtpersonal wurden jemals belangt und nahmen nach Kriegsende ihre Arbeit als Justizbedienstete des Landes NRW auf.“ Der aus Berlin angereiste Alexander Behrendt, Enkel des Ermordeten, sagte: „Meinen Großvater durfte ich nie kennenlernen.“ Das man nun an ihn in Form der „Stolpersteine“ erinnert, „halte ich für eine gelungene Sache.“

Islam.de fragte die LINKEN-Fraktionsführerin im Landtag, Bärbel Beuermann, ob man davon reden könne, der Faschismus werde wieder Salonfähig gemacht in jüngster Zeit. Klare Worte kamen von der LINKEN-Politikerin: „Der Faschismus war nie tot. Auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht. Er war schon immer latent in unserer Gesellschaft vorhanden.“ Sie erinnerte daran, dass an ihrer politischen Wirkungsstätte, dem Landtag von NRW, gerade in den ersten Wahlperioden unmittelbar nach Kriegsende, zahlreiche Landtagsabgeordnete als „Volksvertreter tätig waren, die allerhöchste Ämter im Dritten Reich bekleidet hatten.“ Richter, Staatsanwälte, Mediziner, Professoren und andere Berufsgruppen, die Hitler treu ergeben waren und seine menschenverachtenden Gesetze um- und durchsetzten, saßen auf den Abgeordnetenbänken oder sogar auf den Stühlen der Landesregierung. Frau Beuermann ist auch fest davon überzeugt, „Wahlerfolge von Wilders in den Niederlanden und anderen braunen Politikern in europäischen Ländern wie in Dänemark, Schweden und Finnland beispielsweise“ beflügeln in Deutschland lebende Alt- und Neonazis, sich nicht mehr mit ihren antisemitischen, antiislamischen und rassistischen Ansichten zurückzuhalten und „regelrecht aus dem Dickicht hervorzukommen.“ Ein Buch eines Senators a.D. und ehemaligen Mitglieds des Vorstandes der Deutschen Bundesbank mit üblen Aussagen gegenüber Migranten dient der rechten Szene als Beweis für ihre Hetzte gegenüber Mitbürgern mit Migrationshintergrund.

Bärbel Beuermann hofft, dass durch die „Stolpersteine-Aktion“ einigen Leuten bewusst wird, wohin letztendlich Faschismus geführt hat und immer wieder führen wird: in die Gaskammern und es kommt zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Faschismus geht mit Menschenrechten und Demokratie keine Symbiose ein.
Der Gelsenkirchener FDP-Bundestagsabgeordnete Marco Buschmann sagte gegenüber islam.de: „Die Erinnerung an die Schreckenszeit der Hitler-Diktatur auch durch Stolpersteine wachzuhalten, ist ein tolles Projekt des Künstlers.“ Der FDP-Parlamentarier Marco Buschmann hofft, dass „zumindest der ein oder andere braune Kopf nachdenklich wird und sich von dem braunen Sumpf abwendet.“ (Volker-Taher Neef)




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