Newsnational Sonntag, 24.11.2002 |  Drucken

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Mölln - Zehn Jahre danach. Brandanschlag, bei dem drei Muslimas verbrannten

Erinnern ist besser als vergessen. Eigener Bericht

Was ist damals passiert: Der Brandanschlag am 23. November 1992 ist jetzt zehn Jahre her. In Mölln brannten zwei Häuser, in denen muslimisch-türkische Familien wohnten. Während sich die Bewohner des Hauses in der Ratzeburger Straße retten konnten, starben im Altstadthaus in der Mühlenstraße die 51 Jahre alte Bahide Arslan und ihre beiden Enkeltöchter Yeliz Arslan und Ayse Yilmaz.

Ein Jahr später wurden Michael Peters, damals 26 Jahre alt, zu lebenslanger Haft und Lars Christiansen, damals 20, zu zehnjähriger Jugendstrafe wegen der Mordanschläge verurteilt. Das Gericht sah es als bewiesen an, dass die beiden stadtbekannten Rechtsradikalen Sprengsätze aus mörderischem Ausländer- und Islamhass in die Häuser geworfen hatten.

Ibrahim Arslan wird demnächst volljährig. Die Nacht, die sich am Sonnabend zum zehnten Mal jährt, wird er nicht mehr vergessen. Fünf oder sechs Stunden lang sitzt der 7-Jährige an diesem Morgen im Haus Mühlenstraße 9, in dem während dieser Zeit seine Schwester, seine Oma und seine Tante verbrennen. Als die Feuerwehrmänner Ibrahim finden, steht der Junge in einer Ecke, beide Hände in einen Tisch gekrallt - völlig nass und kalt von den stundenlangen Löscharbeiten.

Nach dem Wiederaufbau ist die Familie Arslan in das Möllner Brandhaus zurückgekehrt - bis sie vor anderthalb Jahren dann nach Hamburg zog: "Die Kinder haben dort keine Ruhe gefunden", sagt Vater Faruk Arslan. Ibrahim hat noch eine kleine Schwester, Emra, die zwei Jahre nach dem Brandanschlag zur Welt kam. Doch in Hamburg sind die Arslans nicht heimisch geworden. Faruk Arslan sagt, er werde in Hamburg nur vom Amt tyrannisiert, und erzählt in Mölln, dass er am liebsten bald wieder zurückkehren möchte.

Das Geld, das sie benötigten, um ihre Wohnung wieder einzurichten, kam nicht von der Stadt, sondern aus Spenden. Auch eine Opferentschädigung, die der Familie laut Gesetz zusteht, hat bis heute nur der Sohn erhalten. Und die Gedenktafel am Haus in der Mühlenstraße? Arslan lächelt spöttisch. Erst musste er darum kämpfen, dass sie überhaupt vorne an der Fassade angebracht wird. Jetzt steht nicht drauf, dass es ein rechts motivierter Brandanschlag war.

Lange hatten die Brandanschläge die überregionalen Schlagzeilen beherrscht. Als Fernsehteams und Zeitungsreporter abgereist waren, hätten in Mölln einige den fremdenfeindlichen Mordanschlag gern schnell vergessen, weil sie der Ansicht waren, es hätte überall passiert sein können. Eine typische Antwort, die die Muslime immer wieder hören müssen. Einen Monat nach den Brandanschlägen wurde der Verein "Miteinander leben" gegründet, um dem Rest der Republik zu demonstrieren, "dass es auch in Mölln viele gibt, die nicht gegen Ausländer und Muslime sind", wie Gründungsmitglied Astrid Busenius sich erinnert.

Sie ist eine aufmerksame Bürgerin. In der Altstadt von Mölln kennt sie jede Gasse, jedes Haus, jeden Laden und die meisten Leute, die da leben. Natürlich kennt sie auch ihre türkischen Nachbarn, denen sie hilft, wenn die darum bitten. Dafür ist die Frau in Mölln bekannt, und deshalb hat sie Briefe wie diesen bekommen: " . . . wünschen dir und deiner Tochter, dass ihr vergewaltigt werdet und an Aids zu Grunde geht" - eine Botschaft von vielen, die Astrid Busenius im Lauf von zehn Jahren für ihr Engagement erhielt.

Inzwischen sind die mehr als 100 Vereinsmitglieder des Vereins "Miteinander leben" in Mölln eine akzeptierte Größe, so wie die Stadt den Anschlag mittlerweile als Teil ihrer Geschichte akzeptiert.

Beides war nicht immer so. Zum Beispiel der Weg, der unmittelbar am Brandhaus und der Begegnungsstätte des Vereins entlang führt, durfte nicht Bahide-Arslan-Gang heißen. Das Möllner Geschichtsbewusstsein der Stadtvertreter stimmte anno 1994 für "Lohgerbergang". Lieber also das Bewusstsein dafür wach halten, dass hier einst Felle gegerbt wurden als daran, dass im Vorderhaus drei Türkinnen verbrannten. Eine ungute Entscheidung, denn in Deutschland gilt hoffentlich immer nach die Devise "erinnern ist besser als vergessen", oder? Doch darauf folgte kein Aufschrei, kein Protest - alles blieb unbemerkt?
Die Moschee der Muslime, die teilweise schon in der vierten Generation in Mölln leben, ist in einem unauffälligen Haus an der Hauptstraße. Ismet Celik ist Vorsitzender des Moscheevereins. Er kam 1970 nach Mölln. Was heute anders ist als 1992, wird er derzeit häufig gefragt. Daraufhin antwortet er traurig und realistisch: "Ich finde keine Unterschiede". Es bleibt halt doch nichts unbemerkt.




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