Newsnational Montag, 18.06.2007 |  Drucken

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Demonstration für Moscheebau zog viele Menschen in die Kölner Straßen

Rechte und Neonazis randalierten in der Innenstadt - „Muslime sind nicht Gäste, sondern Teil unserer Gesellschaft“

Schätzungsweise um die 1.000 Menschen waren zur Demonstration „für Religionsfreiheit und den Neubau der Moschee“ in Köln-Ehrenfeld, für das „friedliche und respektvolle Miteinander“ und gegen Rassismus und Rechtsextremismus gekommen. Das waren deutlich weniger als die 2.000, mit denen die Veranstalter gerechnet hatten. Auf Seiten der Rechtsextremen, die unter anderem mit durchgestrichenen Moschee-Symbolen und unter Beteiligung österreichischer und belgischer Rechtsextremer auftraten, waren es lediglich rund 200 Personen, darunter viele Rentner. Redner auf dieser Veranstaltung forderten unter anderem, dass ein europäischen Städten gar keine Moscheen gebaut werden dürften. Rund 1.000 Polizisten sorgten für die Trennung beider Demonstrationen.

Als Beobachter bei der Pro-Moschee-Veranstaltung bot sich einem vor Ort ein sehr ruhiges, ganz undramatisches Bild des Geschehens. Die Polizei hatte den Ort der Kundegebung und die Demonstrationsroute so weiträumig von der Route der Rechten abgeschirmt, dass man als normaler Demonstrationsteilnehmer, sofern man es nicht unbedingt darauf angelegt hatte, keinen einzigen Rechten oder Neonazi zu Gesicht bekam. Bei der Kundgebung auf dem Ehrenfelder Neptunplatz sprach unter anderem die Kölner Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes (SPD), die sich mit den Worten „Wir alle sind Köln“ eindeutig für die Moschee aussprach. „Wir wollen uns unser gepriesenes Flair der Toleranz nicht nehmen lassen ... darauf sind wir doch so stolz“, sagte Scho-Antwerpes weiter. Sie werde niemals den Rechten die Hand reichen, so Scho-Antwerpes, und berichtete, dass ihr der „pro Köln“-Aktivist Manfred Rouhs am morgen die Hand habe geben wollen, was sie jedoch verweigert habe. „Nein, das werde ich niemals tun“, rief die Bürgermeisterin entschlossen aus. „Muslime sind nicht Gäste, sondern Teil unserer Gesellschaft“, sagte die Vorsitzender des Katholikenausschusses Hannelore Bartscherer. Beim verlesenen Grußwort der Evangelischen Kirche wiederum wurde, wie auch in anderen Wortbeiträgen, an die Situation der ersten evangelischen Christen in Köln vor rund 250 Jahren erinnert, die auch in Hinterhöfen und Wohnungen hätten beten müssen und erst später offizielle Anerkennung erhielten.

Ungewohnt kämpferisch gab sich Lale Akgün (SPD), die sonst im Hinblick auf Muslime eher für eine kritische bis ambivalente Haltung bekannt ist, in ihrem Redebeitrag. Was „pro Köln“ betreibe, sei nichts anderes als Rassismus. „Es geht um den Bau eines Gotteshauses, denn nichts anderes ist eine Moschee“, stellte Akgün fest. Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Kölner Regionsvorsitzender des DGB, sagte: “Wir wollen Zeichen setzen für Religionsfreiheit und für den Neubau der Moschee“. Probleme bei der Integration in vielen Fragestellungen des Alltags zu diskutieren, sei zwar notwendig, dies sollte aber sachlich angegangen werden. Auch andere Redner betonten immer wieder den Rang der Religionsfreiheit in der Verfassung. Die Rednerin von Bündnis 90/DIE GRÜNEN sprach sich „ganz eindeutig für den Bau der Moschee in Ehrenfeld“ aus. Auch sie merkte an, dass eine Debatte über die Integration der Muslime durchaus wichtig und viel zu lange vernachlässigt worden sei, andererseits sei ein großer Teil der Muslime längst gut integriert.

Jörg Detjen von DIE LINKE sagte, dass der Islam nicht nur von Rechtsextremen, sondern auch von bürgerlichen Parteien als Bedrohung aufgebaut werde. Wie auch die Vertreterin der GRÜNEN konnte er nicht ganz auf parteipolitische Anmerkungen verzichten und sagte, die CDU stelle „absurde Bedingungen“ für den Moscheebau. Die Partei, der auch Oberbürgermeister Fritz Schramma angehört (welcher übrigens wie die CDU insgesamt nicht auf der Kundgebung vertreten war), hatte in einem Papier kürzlich unter anderem gefordert, in der Moschee müsse Deutsch gesprochen und auch gepredigt werden. Walter Kluth von der SPD-Ratsfraktion griff Oberbürgermeister Schramma dann noch direkter an. Dieser habe sich bisher immer eindeutig für die Moschee ausgesprochen, jetzt aber wohl mit Blick auf Wählerstimmen unter den Moschee-Gegner eine Änderung seiner Haltung vorgenommen. „Dieses Verhalten ist an Opportunismus nicht zu überbieten“, sagte Kluth. Für den traditionell hohen Anteil von Migranten in Ehrenfeld wären eigentlich schon in den 70er Jahren verstärkte Angebote wie Integrationskurse nötig gewesen, so Kluth weiter. Dennoch habe das Zusammenleben immer weitegehend problemlos funktioniert; erst durch das Auftauchen von „pro Köln“ sei der Hass geschürt worden. Daniel Weber vom AstA der Uni Köln, der zusammen mit Schülern eine eigene spontane Demo gegen die Rechtsextremen unfd für den Moscheenau organisiert hatte, brachte es in einem Wortspiel auf den Punkt: „'pro Köln' ist gegen Köln, gegen Toleranz“.

Anschließend sprach Mehmet Yildirim vom Verband DITIB, welcher Bauherr des geplanten Moscheebaus ist. Er fasste in einer sehr nüchternen Rede die Gründe für die Bauabsicht zusammen, wie etwa die Platznot und die marode Bausubstanz des bisherigen Gebäudes, welches ja zugleich die DITIB-Zentrale für Deutschland beherbergt und ein ehemaliges Fabrikgebäude aus den fünfziger Jahren ist. Man wolle daher ein neues Gebäude errichten „das uns aus dem Hinterhof herausholt“. Dieses sei „keine Forderung an die Mehrheitsgesellschaft, sondern ein Geschenk für unsere [gemeinsame] Gesellschaft“. „Wir dürfen uns nicht voneinander isolieren lassen“, ergänzte Yildirim. Jürgen Wilhelm von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit sprach sich ebenfalls grundsätzlich für den Moschee-Neubau aus, mochte dabei aber ebenso wie Frau Bartscherer vom Katholikenausschuss auf belehrende Ausführungen in Richtung der Muslime nicht verzichten. Die Reden wurden aufgelockert von musikalischen Darbietungen im „kölschen“ Stil sowie türkischen Folkloretanzgruppen, Mädchen und Jungen.

Bei dem Zug der Rechtsextremen, dem übrigens ein Kreuz vorangetragen wurde, war auf dem ersten Transparent das Zitat „Es gibt kein Grundrecht auf dem Bau einer Großmoschee" des Publizisten Ralph Giordano zu lesen. Der „pro Köln“-Vorsitzende Markus Beisicht dankte später bei der Abschlusskundgebung Giordano als „Tabubrecher“ bei der Moscheefrage. Mit seinen Äußerungen gegen den Moscheebau hatte der Publizist den Rechtsextremenen eine Vorlage für seine eigene Instrumentalisieurng geliefert, gegen die er sich jetzt wehrt.

Unter den Anwesenden der Demonstration für die Moschee befanden sich schätzungsweise höchstens ein Drittel Muslime, ganz überwiegend Frauen. Muslimische Männer, insbesondere jüngere, waren erstaunlicherweise kaum zu sehen. Vereinzelt wurden türkische Flaggen gezeigt. Ayten Kilicarslan von DITIB zeigte sich jedoch zufrieden mit der allgemeinen Beteiligung, insbesondere der nichtmuslimischen Teilnehmer. Sie zeige, dass die Kölner und Ehrenfelder für das Zusammenleben einträten.

Der anschließende Demonstrationszug, in dem sich linke Antifa-Jugendliche in entsprechender Kluft mit Kopftuch tragenden Musliminnen, teils mit Kinderwagen, mischten, bot ein buntes Bild, welches alerdings durch die Routenführung durch kleine Nebenstraßen nur von wenigen Leuten gesehen worden sein dürfte. Der Demonstrationszug endete in einem „toten Eck“ auf der Rückseite des Bahnhofs Ehrenfeld. Dort gab es wieder Kölsch-Rock live. Zwischenzeitlich gab es ein wenig Aufregung, als bekannt wurde, dass die Polizei eine unangemeldete zweite Demonstration von Rechtsradikalen aufgelöst hatte und die Teilnehmer am Ehrenfelder Bahnhof in Züge geleite. Die Situation entspannte sich aber schnell wieder, und die ganze Veranstaltung zerstreute sich rasch, indem die meisten Teilnehmer recht schnell den Ort des Geschehens verließen. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei vielen Teilnehmern der Aspekt des „Gegen Rechts“-Demonstrierens klar im Vordergrund stand und nicht das Demonstrieren „für die Moschee“, welches für viele eher nur den Anlass zu bieten schien. Dazu passt, dass einige Demonstranten ein Transparent mit der Aufschrift „Wir lieben unser Multi-Kulti-Ehrenfeld ohne Großmoschee“, das sich gegen Rechts und pro-Köln und für „Multi-Kulti“, aber eben auch gegen die Moschee in der geplanten Form aussprach, tragen konnten, ohne dass offenbar daran Anstoß genommen wurde.

Einige Rechte und Neonazis randalierten anschließend noch in der Innenstadt und wurden daraufhin teilweise festgenommen, wie auch ein Ratsherr der Partei DIE LINKE, der sich gegenüber der Polizei gegen die Festsetzung der jungen Neonazis wehrte, da er sie zunächst fälschlich für linke Demonstranten gehalten hatte. Denn äußerlich sind beide Lager mit ihrer Dominanz schwarzer Kleidung manchmal nur noch bei genauerem Hinsehen voneinander zu unterscheiden.
(Erstveröffentlichung in der Islamischen Zeitung am 17.06.07)




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