Artikel Dienstag, 12.06.2007 |  Drucken

Eine unendliche Geschichte? Von Mustafa Yeneroglu Zur Diskussion um den Religionsunterricht in NRW

Das Land Nordrhein-Westfalen bietet seit dem Schuljahr 1999/2000 die islamische Unterweisung in deutscher Sprache im Rahmen eines zeitlich nicht befristeten Modellversuchs an. An mehr als 130 beteiligten Schulen besuchen über 8500 muslimische Schülerinnen und Schüler diesen Unterricht. Offiziell wird der Modellversuch aufgrund des vermeintlich fehlenden Ansprechpartners auf islamischer Seite „Übergangsweise“, quasi als „Platzhalter“ für einen ordentlichen Religionsunterricht durchgeführt: Bis „endlich“ entsprechend der Vorgabe im Grundgesetz gemäß Art. 7 Absatz 3 und der Landesverfassung NW in Art. 14 Abs. 1 eine islamische Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner des Staates aufwartet, so die immer wieder verlauteten Erklärungsversuche. Doch scheitert die Einführung eines ordentlichen Religionsunterrichts tatsächlich am fehlenden Ansprechpartner? Oder ist dieses Argument eher ein geschickter Vorwand, mit der die Landesbürokratie die nach Art. 7 Abs. 3 GG erforderliche Einbeziehung der islamischen Religionsgemeinschaften umgeht.

Der Religionsunterricht wird gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft erteilt (ähnlich Art. 14 Abs. 3 LVerfNW). Sein Gegenstand ist die Bekenntnisvermittlung der Glaubensgrundlagen der Religionsgemeinschaft. Er tritt mit einem Wahrheitsanspruch auf und fordert von Schülern und Lehrern eine persönliche Identifikation. „Er sagt nicht nur, was geglaubt wird, sondern was geglaubt werden soll (Oebbecke Janbernd, Reichweite und Voraussetzungen der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts, in DVBl 1996, 336 ff.,41) “. Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat kann die Inhalte des Religionsunterrichts nicht bestimmen, da er religiöse Angelegenheiten nicht als eigene betreiben darf. Er hat keine Meinung von Glaubensinhalten oder vom richtigen Glauben, er ist neutral. Deshalb darf er sich auch nicht in die Angelegenheiten einmischen, die dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften vorbehalten sind. Aus diesem Grund ist er bei der Erteilung des Religionsunterrichts auf die Mitwirkung der jeweiligen Religionsgemeinschaft angewiesen.

Religionskunde dagegen ist überkonfessionell, beschränkt sich auf die neutrale und distanzierte Vermittlung von Informationen über die Religionen, ohne den Glauben zu verkünden oder zum Glauben zu erziehen, so auch im Runderlass (Abschnitt II Nr. 5 S. 1) des zuständigen Ministeriums vom 28. Mai 1999, welcher als Grundlage für den Schulversuch dient. Doch wenn man sich inhaltlich näher mit dem Runderlass und weiteren sich darauf stützenden Grundlagen für den Modellversuch beschäftigt, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Nach dem Runderlass richtet sich der Unterricht an muslimische Schüler, erteilt ausschließlich durch Musliminnen und Muslime - setzt also das Glaubensbekenntnis voraus - und ist damit nicht überkonfessionell. Ziel ist, „den muslimischen Schülern in Deutschland die islamische Tradition in ihrer Geschichte, Ethik und Religion zu vermitteln und ihnen zu helfen, in einem säkularisierten, von christlicher Kultur geprägten Land als Muslime zu leben“ (siehe Runderlass Abschnitt II Nr. 5), „die Entwicklung einer islamischen Identität in einer nicht-muslimischen Umwelt zu unterstützen“, „ Orientierung auf der Suche nach einer eigenen Lebensausrichtung zu geben“, die islamische Sprachkultur und Metaphorik zu fördern; auf der Grundlage islamischer Quellen zu motivieren, eigenverantwortlich zu leben und zu handeln(Auszug aus dem Entwurf (März 2005) eines Lehrplans für die Islamkunde in deutscher Sprache an den Grundschulen des Landes Nordrhein-Westfalen Punkt 1, Aufgaben des Fachs) “. Hier wird also auf der persönlichen Identifikation der muslimischen Schüler aufgebaut. Eine Analyse der hier in Kürze wiedergegebenen Ziele der Unterrichtseinheit „Islamkunde“ führt zu dem Ergebnis, dass es bei der „Islamischen Unterweisung“ in NRW in der Sache um bekenntnisorientierten Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 und Art. 14 Abs. 3 LVerfNW handelt. Denn die sog. „Islamkunde“ setzt eine persönliche Identifikation mit dem Glauben voraus, vermittelt das Bekenntnis zum islamischen Glauben als Wahrheit, bietet Orientierungshilfen für eine islamische Lebensführung und bezweckt die Heranbildung zu gläubigen Erwachsenen (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Religiöse Unterweisung für Schülerinnen und Schüler islamischen Glaubens – 24 Unterrichtseinheiten für die Jahrgangsstufen 7-10, 1. Aufl. 1996, S. 11 ff; S. 23 ff;). Folglich setzt auch die sog. „Islamkunde in deutscher Sprache“ die Mitwirkung von islamischen Religionsgemeinschaften als Ansprechpartner voraus.

Das Land bedarf bereits für die Entscheidung des „Ob“ als auch für das „Wie“ eines solchen bekenntnisorientierten Unterrichts der Zustimmung einer islamischen Religionsgemeinschaft. Demnach verstößt der Modellversuch „Islamkunde in deutscher Sprache“ gegen das Gebot der inhaltlichen, personellen und organisatorischen Übereinstimmung in Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 14 I S. 2, Abs. 2 und 3 der LVerfNW und ist somit nicht verfassungskonform. Indem das Land sich in Angelegenheiten von Religionsgemeinschaften einmischt, verstößt es zudem gegen die religiös-weltanschauliche Neutralität, da im Schulversuch hoheitlich durch den Staat verordnet wird, was muslimische Schüler zu glauben haben und wie sie ihr Leben als gläubiger Muslim zu führen haben.

Anstelle sich mit diesen Fragen zu beschäftigen und die Verfassungskonformität herzustellen, plant das Land dessen ungeachtet, weitere Modellversuche zu starten. So sollen in Köln und Duisburg zu den bisherigen Modellversuchen weitere Modellversuche kommen, die irgendwann mal zur flächendeckenden Einführung von Religionsunterricht führen sollen.

Demnach sollen örtliche Moscheegemeinden in Köln und Duisburg sich zu kommunalen Schura zusammenzufinden. Diese Konstruktionen sollen dann nach Vorstellung des Kultusministeriums den Ansprechpartner auf der muslimischen Seite darstellen. Bemerkenswert dabei ist, dass die Zusammenschlüsse der Moscheegemeinden, die nun angesprochen werden, sich schon seit Jahren als Ansprechpartner für die Erteilung des Religionsunterrichts anbieten, jedoch abgelehnt werden. Bisher wurde die Ablehnung damit begründet, dass diese Zusammenschlüsse als Dachverbände keine Religionsgemeinschaften darstellen würden. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2005 entschieden hat, dass auch Dachverbände Religionsgemeinschaften sein können, werden nunmehr andere Argumente bedient. So wolle man die gemäßigten Kräfte stärken, begründete zuletzt ein Bediensteter des Schulministeriums die Absage an die Dachverbände (http://www.swr.de/international/de/2007/04/24/print3.html).

Der religiös-weltanschaulich neutrale Staat darf aber in diesem Kontext nicht mit Begriffen wie gemäßigt bzw. radikal handwerken, sondern muss hierzu auf die Begriffe der Rechtsstreue bzw. Verfassungstreue zurückgreifen, die mehr als ein Verweis auf die Verfassungsschutzberichte verlangen. Weiterhin stellt sich die Frage, wie denn vor allem intellektuell der Widerspruch aufgelöst wurde, dass man die Dachverbände ablehnt, aber keine Bedenken dabei hat, einen Zusammenschluss der Moscheegemeinden genau dieser Dachverbände als Ansprechpartner zu akzeptieren. Konsequent wäre es doch, mit den gleichen Argumenten auch die Moscheegemeinden abzulehnen. Nicht nur daran wird deutlich, was von der bisherigen Argumentation für die Ablehnung der sich anbietenden Dachverbände zu halten ist. Offensichtlich geht es der Kultusbürokratie darum, sich solch einen Ansprechpartner zu schaffen, mit der man nur Nettigkeiten austauscht und der man nur soviel Kompetenz zubilligt, das es ausreicht, ihren Segen für die Vorgaben des Ministeriums zu erteilen, ohne sich in die Inhalte einzumischen.

Dem Ministerium ist es offensichtlich bekannt, dass eine tatsächliche Kooperation im Sinne der verfassungsrechtlichen Vorgaben damit nicht erreicht wird. So sprach auch die zuständige Ministerin Sommer im Integrationsausschuss mit Bezug auf die Gestaltung eines Lehrplans etc. vom fehlenden technischen Sachverstand (siehe hierzu die Äußerungen der Ministerin für Schule und Weiterbildung, Barbara Sommer in der 17. Sitzung des Ausschusses für Generationen, Familie und Integration vom 24.08.2006)der einzelnen Moscheegemeinden. Dieser Problematik will das Ministerium abhelfen, indem parallel zu dem Ansprechpartner ein theologischer Beirat gebildet wird: „Dieser theologische Beirat besteht aus Theologen, die sich im Lande zusammenfinden und die immer dann auf den Plan gerufen werden, wenn der Dialog mit den Schuras Probleme bereitet, wenn es darum geht, theologische Grundfragen zu klären. Somit haben wir einen Ansprechpartner in den Schuras, auf der anderen Seite aber auch flankierend den Beirat“(siehe Fn. 3). Schon hieraus ergibt sich, dass das Konzept des Ministeriums im Hinblick auf verfassungsrechtliche Vorgaben nicht zu Ende gedacht ist. Einen Zusammenschluss, von dem man nicht annimmt bzw. dem man abspricht, theologische Grundfragen klären zu können, kann schon im Hinblick auf den Begriff der „Religionsgemeinschaft“ kein Ansprechpartner zur Erteilung von Religionsunterricht sein. Denn zu den Mindestvoraussetzungen im Rahmen des Art. 7 Abs. 3 GG gehört die Fähigkeit, gegenüber dem Staat die Grundsätze für den Religionsunterricht zu artikulieren. Die Pläne des Ministeriums zeigen, dass an einem kompetenten Ansprechpartner (noch) kein Interesse besteht und dass es nur darum geht, die verfassungsrechtlichen Vorgaben nur der Form nach zu erfüllen. So soll die von Art. 7 Abs. 3 GG geforderte „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft“ durch einen „großzügig gewährten Anspruch“ auf Beratung und Beobachtung durch Vertreter der Religionsgemeinschaften hergestellt werden.

Wenn das Land auch in Umsetzung des schwarz-gelben Koalitionsvertrages ernsthaft an der Einführung von Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG interessiert ist, dann muss die Kultusbürokratie mit den juristisch verpackten politischen Argumenten und der bisherigen Taktiererei aufhören und sich auf die tatsächlichen inhaltlichen Fragen konzentrieren. Denn nicht die Ansprechpartner fehlen, sondern der ernsthafte Wille und Mut, sich den Herausforderungen zu stellen. (Der Autor und Rechtsanwalt Mustafa Yeneroglu ist Vorstandsmitglied und Justitiar der IGMG; Erstveröffentlichung in:igmg.de)





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