Newsnational Mittwoch, 12.07.2017 |  Drucken


Forscher rekonstruieren Radikalisierung jugendlicher Muslime

Chatprotokolle analysiert - Islambild von radikalisierten Jugendlichen nicht vergleichbar mit tatsächlichem Islam - Schaffung von "Lego-Ideologie"

Osnabrück (KNA) Erstmals haben Wissenschaftler in Deutschland den Radikalisierungsprozess jugendlicher Dschihadisten rekonstruiert. Islamwissenschaftler der Universität Osnabrück und Gewaltforscher der Universität Bielefeld werteten dazu die Chat-Protokolle einer Gruppe junger Muslime aus, aus der heraus später ein terroristischer Anschlag verübt wurde, wie die Forscher am Montag in Osnabrück vor Journalisten erläuterten. Demnach hat "ein selbst gebastelter Islam" die jungen Leute radikalisiert. Deren Identität gaben die Autoren nicht preis.

Die Wissenschaftler des Forschungsnetzwerks Radikalisierung und Prävention (FNPR) sprachen von einer "Lego"-Ideologie, die sich die überwiegend areligiösen jungen Männer vor allem aus dem Internet zusammengestellt hätten. Ihr Islam-Bild sei mit dem tatsächlichen Islam nicht vergleichbar, wie der Osnabrücker Islamwissenschaftler Michael Kiefer erläuterte. Selbst grundlegende Dinge wie die Verrichtung des Pflichtgebets seien Teilen der Gruppen nicht bekannt gewesen. Auch gehörten sie keiner Moscheegemeinde an. Einige seien zuvor durch gewalttätige Delikte auffällig geworden. Die dann erfolgte "Islamisierung der Radikalität" sei ein Überbau gewesen, der einer "Selbsterhöhung" diente.

Das Chat-Dokument enthält laut Angaben 5.757 Postings von bis zu zwölf Gruppenmitgliedern. Die WhatsApp-Gruppe sei von Anfang an mit dem Ziel eines Anschlags gegründet worden, so der Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick. Auffällig sei die Meinungsführerschaft eine Anführers, der die anderen immer wieder an das Ziel erinnert habe. Mangels eigener religiöser Kenntnisse über den Islam habe die Gruppe sich darauf beschränkt, anderen den "wahren Glauben" abzusprechen und sie zu verdammen. Darüber hinaus seien Lebensperspektiven diskutiert worden.

Im Übergang von der Schule ins Berufsleben seien junge Muslime sehr anfällig für eine Radikalisierung, so Zick. Andere Faktoren seien kritische Lebensereignisse wie Tod und Krankheit in der Familie, eigener Drogenkonsum sowie Gewalterfahrungen. Für solche Jugendlichen gebe es immer mehr dschihadistische Angebote im Netz, die ihre Fragen zum Leben durchgehend radikal beantworteten. Notwendig seien daher verstärkte sozialpädagogische und -psychologische Angebote. In der Wissenschaft fehlten nach wie vor die Strukturen, um Radikalisierungen zu analysieren und Prävention zu ermöglichen.




Ähnliche Artikel

» Teil der Lösung, nicht Teil des Problems
» Wer A sagt muss auch B sagen

Wollen Sie einen
Kommentar oder Artikel dazu schreiben?
Unterstützen
Sie islam.de
Diesen Artikel bookmarken:

Twitter Facebook MySpace deli.cio.us Digg Folkd Google Bookmarks
Linkarena Mister Wong Newsvine reddit StumbleUpon Windows Live Yahoo! Bookmarks Yigg
Diesen Artikel weiterempfehlen:

Anzeige

Hintergrund/Debatte

Film-Besprechung: "In Liebe, eure Hilde" - Dresens neuer Film erzählt eine tragische Geschichte aus der NS-Zeit auf der Berlinale 2024
...mehr

ZMD-Landesverband Rheinland-Pfalz in Staatskanzlei mit anderen muslimischen Religionsgemeinschaften: Kein Generalverdacht und: „Jüdisches und muslimisches Leben sind ein integraler Bestandteile des Landes"
...mehr

Daniel Barenboim mit DAG-Friedrich II von Hohenstaufen-Preis geehrt
...mehr

Buchkritik: "Faschismus" von Paul Mason – Von Aiman A. Mazyek
...mehr

Abraham-Familien-Haus in Abu Dhabi hat sowohl aus islamischer als auch aus interreligiöser Sicht aus mehreren Gründen einen hohen Wert - Von Aiman Mazyek
...mehr

Alle Debattenbeiträge...

Die Pilgerfahrt

Die Pilgerfahrt (Hadj) -  exklusive Zusammenstellung Dr. Nadeem Elyas

88 Seiten mit Bildern, Hadithen, Quran Zitaten und Erläuterungen

Termine

Islamische Feiertage
Islamische Feiertage 2019 - 2027

Tv-Tipps
aktuelle Tipps zum TV-Programm

Gebetszeiten
Die Gebetszeiten zu Ihrer Stadt im Jahresplan

Der Koran – 1400 Jahre, aktuell und mitten im Leben

Marwa El-Sherbini: 1977 bis 2009