Leserbriefe Mittwoch, 30.06.2004 |  Drucken

Leserbriefe



Wiener Grüne Frauen gegen Kopftuchverbot. Sie fordern: Empowerment für islamische Mädchen und Frauen schrieb:



Wiener Grüne Frauen: Nein zum Kopftuchverbot!


1. Das Recht auf freie Religionsausübung ist in der österreichischen
Verfassung verankert und umfasst alle Religionen und ihre Symbole –
vorausgesetzt, das Kopftuch wäre als religiöses Symbol zu interpretieren –
in gleichberechtigter Weise.

2. Schluss mit der verlogenen Debatte um ein Kopftuchverbot als angebliches
Frauenrecht: Von jenen, die ein Kopftuchverbot im Namen der Frauenrechte
verlangen, z.B. vom Herrn FPÖ-Obmann Strache, wünschen wir uns ebenso
enthusiastischen Einsatz für Frauenrechte, wenn es um Genitalverstümmelung,
Frauenmorde im Namen der "Ehre", Steinigung von Frauen etc. geht.

Die Sorge um die "unterdrückte Frau im Islam" wird immer dann aufgegriffen,
wenn sie zielführend ist für politisches oder wirtschaftliches Kalkül (siehe
Afghanistan-Krieg) – ein Nutzenfaktor für Machtstrategien, eine von Männern
geführte öffentliche Debatte unter Ausschluss der Frauen. In Wahrheit ist
die Debatte um das Kopftuch ein Stellvertreterkrieg gegen das
"Andersartige", ein Religionskrieg, ein "Kampf der Kulturen", eine gewollte
politische Radikalisierung, nicht zufällig unter dem Deckmantel des Kampfes
gegen den Terrorismus, mit einem einzigen Ziel: die Demonstration eines
vermeintlichen westlichen Überlegenheitsanspruches.

3. Aus frauenrechtlicher Sicht ist festzustellen: Frauenfeindlichkeit,
Ungleichbehandlung und Patriarchat sind nicht etwas dem Islam spezifisch
Innewohnendes und durch ein etwaiges Kopftuchverbot wird unsere Gesellschaft
nicht frauenfreundlicher. "West-Feminismus" und das Bild der emanzipierten
gleichgestellten Frau werden hier instrumentalisiert, um Machtpolitiken zu
stützen. Die "christlichen Werte" als Insel der Seligen für Frauen
hinzustellen, ist purer Zynismus gegenüber der Lebensrealität von Frauen.

4. Das heraufbeschworene Bild der islamischen Frau, die in ein Kopftuch
gezwungen wird, ist ein einseitiges und zeichnet erneut – bewusst oder
unbewusst - das Bild der "schwachen unterdrückten Frauen": Tatsache ist,
dass das Kopftuch – wie auch beispielweise das christliche Kreuz – aus
völlig unterschiedlichen Motiven getragen wird: aus religiösen,
traditionellen, modischen oder politischen Gründen. Viele Frauen der sog. 2.
und 3. Generation tragen das Kopftuch freiwillig und als Zeichen des
Selbstbewusstseins. Diese differenzierten Lebens- und Alltagsrealitäten der
islamischen Frauen aus der Debatte um ein Kopftuchverbot auszublenden, ist
fahrlässig.

5. Ein Verbot des Kopftuchs verbessert an der Lebensrealität von Frauen
nichts, im Gegenteil: eine Zwangsmaßnahme kann niemals mit einer anderen
Zwangsmaßnahme bekämpft werden! Die Praxis in Ländern mit gesetzlichem
Kopftuchverbot zeigt, dass ein Kopftuchverbot von jenen, denen es um die
Verhüllung der Frau geht, leicht umgangen werden kann (zB durch das
verpflichtende Tragen einer Perücke u. ä.). Zumal ein Kopftuchverbot für
Frauen nur zu weiterer Diskriminierung führen würde: es richtet sich als
Verbot ausschließlich gegen Frauen (nicht gegen unterdrückende Männer), es
schließst Frauen von Jobs aus (gerade der öffentliche Dienst ist ein
wichtiger "Arbeitsmarkt" für Musliminnen), es schliesst Frauen von Bildung,
Karriere und Einkommen aus. Es grenzt Frauen pauschal aus (nicht hingegen
die Männer, die Frauen in das Kopftuch zwingen!). Genau jene Frauen, die man
vermeintlich vorgibt zu schützen, werden durch ein Kopftuchverbot doppelt
diskriminiert und doppelten Zwängen ausgesetzt!

6. Es braucht ein offensives Zugehen der Gesellschaft auf Musliminnen: Das
Kopftuchverbot ist kein Signal für Gleichberechtigung, sondern erneut des
Zwangs, des Verbots, der Herrschaft. Da Musliminnen vielfachen
Diskriminierungen ausgesetzt sind, braucht es gezielte
Empowermentstrategien. Viele Probleme der kopftuchtragenden Mädchen/Frauen
sind sozialer - nicht religiöser - Natur: Dort, wo sie Druck und Zwang
ausgesetzt sind, wird man mit Einmischung von aussen, die die kulturellen
Gegebenheiten nicht berücksichtigen, kaum etwas zum Positiven hin verändern!
Was nötig ist, um die Situation der Musliminnen zu verbessern, ist:
ein Dialog der Kulturen unter Einbeziehung der muslimischen Frauenbewegung, aufenthaltsrechtliche, sozialrechtliche, arbeitsrechtliche Verbesserungen
für Migrantinnen,
voller Zugang von Migrantinnen zum Arbeitsmarkt
Ausbau von Gewaltschutzeinrichtungen und Frauenhäusern
Sichtbarmachung von Frauen– ob mit oder ohne Kopftuch!


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