Newsinternational Sonntag, 28.07.2013 |  Drucken

Die Kreuzfahrer von heute

Fremde Kulturen ja – aber außer Bord - Von Raida Chabib

In sieben Tagen rund um das Mittelmeer. Von Barcelona in Südspanien nach Italien. Rom kennenlernen, Neapel genießen, die Insel Capri erleben und als Krönung ein paar Sonnenstunden in Südfrankreich. In kurzer Zeit viele sehenswerte Orte zu besuchen ohne das Hotelzimmer zu verlassen: Schiffsreisen in riesigen Hotels auf Wasser machen dies wahr und werden auch in Deutschland immer populärer. Trotz der Havarie der Costa Concordia vor der italienischen Küste im vergangenen Jahr reißt der Boom der Hochseeschifffahrt nicht ab, wie verschiedene amerikanische, britische und deutsche Marktanalysen bescheinigen. So stellt die Studie des Deutschen Reiseverbands (DRV) zum Kreuzfahrtenmarkt für die Schifffahrtsbranche einen Umsatz in Höhe von 2,4 Milliarden Euro für das Jahr 2011 fest. Bevorzugte Destinationen der Deutschen sind der Studie nach überwiegend das östliche und westliche Mittelmeergebiet aber auch Ziele in der Nord- und Ostsee. Auch die Orient-Route über Ägypten, Dubai und Muskat wird immer beliebter.

Muslime auf Kreuzfahrt

Das viel beworbene Angebot deutscher und Internationaler Schifffahrtsunternehmen fiel auch der Kölnerin Sarah B. in die Hände und so buchte die reisefreudige Deutsch-Libanesin mit ihrem Mann und ihrer Tochter ihre erste Reise im Jahre 2006 mit einem amerikanischen Ozeanriesen. Diese sollte nicht ihre letzte bleiben. Auch auf deutschen Schiffen ist sie unterwegs gewesen. Als muslimische Familie boten sie ein ungewohntes Bild für die überwiegend amerikanischen oder europäischen Mitreisenden: „Auf dem amerikanischen Kreuzfahrtschiff gab es viele neugierige Blicke aber auch zahlreiche nette Gelegenheiten, mit den Mitreisenden ins Gespräch zu kommen“, erinnert sich die  Soziologin. Auf dem deutschen Clubschiff empfand sie die Haltung der Mitreisenden hingegen überwiegend als ablehnend bis abweisend. Sie erklärt sich das damit, dass die Klientel der US-amerikanischen Reedereien auf den Mittelmeerrouten recht gemischt war, auf dem deutschen Schiff aber weitgehend homogen. Nur zwei Familien mit nichtdeutschen Wurzeln habe sie auf ihrer Fahrt gesehen. Ihr Eindruck bestätigte sich in Gesprächen mit der Besatzung, die die Anzahl der deutschen Gäste auf den verschiedenen Reisen auf über 95% schätzten.

Eine Prise Orient

Dies wundert nicht. Mit einem Stammmarkt, der sich auf deutschsprachige Länder, vor allem Deutschland, Österreich und der Schweiz konzentriert, hat sich der Kreuzfahrtanbieter AIDA Cruises in den letzten zehn Jahren nach eigenen Angaben zum führenden Kreuzfahrtanbieter Europas etabliert.  So wirbt die deutsche Schifffahrtgesellschaft gerade mit einem deutschsprachigen, auf ihre Zielgruppe abgestimmten Angebot an Unterbringung, Unterhaltung und Verköstigung: „Mit AIDA sind Sie auf der ganzen Welt zu Hause und immer genau da, wo sie am schönsten ist“, lautet das Motto. Die Welt erleben und doch Zuhause bezieht sich jedoch nicht – wie vom Anbieter beworben -  nur auf Komfort, Sicherheitsstandards und Unterhaltung. Die eigene Kultur ist mit an Bord dabei und gleitet sanft von Urlaubsort zu Urlaubsort über die internationalen Gewässer. So besichtigt man Muskat auf der arabischen Halbinsel im Kokon der eigenen Reisegruppe eingebettet über ein maßgeschneidertes Ausflugsangebot der Reederei, um sich dann abends in der schiffseigenen Brauerei bei einem einheimischen Bier von der Schnuppertour zu erholen. Nach einer Prise Orient ist man dann wieder unter sich, stößt miteinander im bayerischen Gasthofambiente an und feiert miteinander. Selbst einen hauseigenen FKK Strand hat man mit an Bord.  

Die Kultur mit an Bord


Die US-Amerikaner nehmen ihren FKK Strand zwar nicht mit, sind jedoch auf ihrer weiten Reise entsprechend mit ihrem American-way of life bestückt. Anders als die auf Außenstehende bisweilen geschlossen wirkende deutsche Clubschiffgesellschaft eröffnet ihre Sprache und ihre Einwanderungsgeschichte anderen Mitreisenden die Möglichkeit, ihre American Cruising Culture mit ihnen zu teilen. Ein muslimischer Reisender aus Dubai würde sich auf einem amerikanischen Schiff nicht dadurch überfordert fühlen, dass das Fleisch ungekennzeichnet bleibt und andere Speisen nur in deutscher Sprache erläutert werden, wie ein Restaurantmitarbeiter der deutschen Reederei erzählt. Auch das Unterhaltungsprogramm schließe Passagiere aus anderen Kulturkreisen von der Anlage her eher aus, meint eine deutsch-türkische Passagierin, die nach Norwegen unterwegs war. Besonders seien ihrer Familie dort der freie Bier- und Weinausschank aufgefallen, was für eine allgemeine Heiterkeit sorgte, die sie als praktizierende Muslime nicht teilen konnten. Demgegenüber pflegen US-amerikanische Schiffe auf dem ersten Blick eine offenere Konsum- und Unterhaltungskultur, die Mitreisende aus anderen Teilen der Welt einbezieht. Mit Casinos à la Las Vergas an Bord und Unterhaltungsangeboten, die sich an ein internationales Publikum richten, das feierlich begrüßt wird, setzen sie vielmehr auf eine Inklusion aller in die US-amerikanische Vergnügungs- und Genusskultur. Dennoch lässt das multikulturelle Signum der US-amerikanischen Einwanderungsgesellschaft, das sich auch an Bord ihrer Ozeanriesen widerspiegelt, nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch hier offensichtlich eine gläserne Mauer vor fremden Kulturen an den verschiedenen Anlegeplätzen der Welt aufzieht.

Fremde Kulturen ja – aber außer Bord

„Ein Kreuzfahrtschiff mit einem Angebotsspektrum für Reisende, die sich mehr kulturelle Bildung und weniger Parties und Freibier wünschen“, wünscht sich der deutsche Muslim nach seiner Erfahrung mit seiner ersten Kreuzfahrt auf einem deutschen Ozeanriesen herbei. Ob mehr - erschwingliche - Landgänge und kulturelle Bildungsangebote im Sinne der durchschnittlichen Kreuzfahrttouristen wäre, ist aber fraglich. Die meisten Reedereien mit familienfreundlichen Preisen legen zunehmend Wert auf ein breites Unterhaltungsspektrum an Bord. Das kommt bei den Passagieren an. Das Schiff wird zur eigentlichen Destination. Die Tendenz scheint sich vielmehr auf die Formel zuspitzen: Die Welt erkunden, ja – aber bitte außer Bord und in kleinen, bekömmlichen Häppchen. Ob der europäische und US-amerikanische Kreuzfahrttourismus auf diese Weise die Aufgeschlossenheit anderen Kulturen gegenüber befördert und zum gegenseitigen Austausch beiträgt steht zur Frage.


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