Das Grundgesetz im (Migrations)-Vordergrund  Drucken





Die Bundesregierung



Als direktgewählter Bundestagsgeordneter gehöre ich seit 1998 dem legislativen Verfassungsorgan Deutschen Bundestag an. In dieser Zeit habe ich mich mit dem exekutiven Verfassungsorgan der Bundesregierung sowohl als Oppositionspolitiker als auch als Mitglied einer Fraktion auseinandergesetzt, die 1998 bis 2009 Teil der Mehrheit im Parlament war. In dem Zeitraum von 1998 bis heute habe ich zwei Bundeskanzler1 und drei Regierungskoalitionen sowie deren Umgang mit den Mitgliedern des Deutschen Bundestages miterleben dürfen. Neben den weitreichenden Erfahrungen, die ich während meiner nunmehr vier Wahlperioden sammeln durfte, ereigneten sich auch kritische Ereignisse im Umgang mit dem deutschen Parlamentarismus, wie z. B. der Umgang der Bundesregierung mit dem Deutschen Bundestag bei der Euro-Finanzkrise.

Verkürzt dargestellt ist die Aufgabe der Bundesregierung, die von der parlamentarischen Mehrheit im Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetze in praktische Politik umzusetzen. Dabei muss die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag Rechenschaft ablegen und trägt zudem die Verantwortung für die Ausführung der Gesetze auf Bundesebene. Geleitet wird die Bundesregierung durch den Bundeskanzler. Grundlage für die Arbeit und Vorhaben der Bundesregierung in einer Wahlperiode ist der Koalitionsvertrag zwischen den an der Bundesregierung beteiligten Parteien – eine Art "Fahrplan".

Die Zuständigkeiten der Bundesregierung sind im Grundgesetz in den Artikeln 62 – 69 geregelt. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Bundeskanzler zu. Er wird vom Bundespräsidenten vorgeschlagen und mit der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages gewählt, wobei der Wahl geheim ist. Der Bundeskanzler ist damit im Gegensatz zu den Bundesministern unmittelbar demokratisch legitimiert und nimmt daher eine Sonderrolle im Kabinett ein. Die Mitglieder in seinem Kabinett schlägt der Bundeskanzler selbst vor, sie müssen vom Bundespräsidenten ernannt werden.

In der politischen Praxis geht jedoch die Regierungsbildung der Wahl des Bundeskanzlers voraus. Dabei spielen die Koalitionsgespräche eine wichtige Rolle. Nicht nur werden das zukünftige Regierungsprogramm ausgehandelt sondern auch die Kabinettstärke und dessen personellen Zusammensetzung und damit das Regierungsteam.

Sobald das Regierungsprogramm beschlossen wurde und das Kabinett feststeht, wird die Zusammenarbeit der verschiedenen Ministerien durch wöchentliche Kabinettsitzungen koordiniert. Diese internen Regierungsrunden richten sich nach den drei wichtigsten Organisationsprinzipien der Bundesregierung: der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers, dem Ressortprinzip und dem Kollegialprinzip.

Richtlinienkompetenz bedeutet, dass der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür die politische Verantwortung trägt. Sobald der Bundeskanzler eine abweichende Meinung zu einem Ressortminister hat und das Thema zur "Chefsache" erklärt, gilt das Kanzlerprinzip. Das heißt, dass er im Konfliktfall gegenüber dem Bundesminister weisungsbefugt ist. Das Ressortprinzip hingegen beschreibt die Eigenverantwortlichkeit jedes Bundesministers in seinem Geschäftsbereich. Dies erfordert eine genaue Abgrenzung der Ressorts. In einigen Geschäftsbereichen gestaltet sich das jedoch schwierig. So ist z. B. die Entwicklungspolitik eng verzahnt mit der Außenpolitik. Bei möglichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheiden die Regierungsmitglieder durch Mehrheitsbeschluss – das sogenannte Kollegialprinzip. Der Bundeskanzler kann allerdings nicht vom Kabinett überstimmt werden. Die herausragende Stellung des Bundeskanzlers im Kabinett leitet sich von seiner besonderen demokratischen Legitimation ab, da er als einziges Mitglied der Bundesregierung vom Deutschen Bundestag in sein Amt gewählt wird.

Die grundsätzlichen politischen Weichenstellungen werden aber in sogenannten "Koalitionsrunden" getroffen, einem informellen Gremium aus dem Bundeskanzler, Bundesministern, den Fraktionsvorsitzenden und den Geschäftsführern der Koalitionsparteien. Dieses Gremium tritt unregelmäßig bei politischem Entscheidungsbedarf wie wichtigen anstehenden Gesetzesvorhaben zusammen und schlichtet Konflikte zwischen den Koalitionspartnern. Ist eine Frage im Koalitionsgespräch geklärt worden, wird diese in der politischen Praxis grundsätzlich vom Kabinett übernommen. Diese enge Abstimmung zwischen Bundesregierung und Regierungsparteien trägt wesentlich zur Mehrheitsfähigkeit von Regierungsentwürfen im Deutschen Bundestag und somit auch zur Stabilität von Koalitionsregierungen bei.

Die Bundesregierung hat sich nicht nur vor den Bürgern bei Wahlen oder gegenüber der medialen Öffentlichkeit zu verantworten sondern auch vor den gewählten Repräsentanten im Deutschen Bundestag. Als gewählte Parlamentarier stehen uns hierfür verschiedene Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung. Diese Kontrolle durch den Deutschen Bundestag wird in erster Linie von Oppositionsparteien wahrgenommen. Am sichtbarsten wird diese für die Bürger in Form von Debatten im Deutschen Bundestag. Seitens des Deutschen Bundestages gibt es verschiedene Möglichkeiten und Stufen, die Bundesregierung zu kontrollieren. Kern des parlamentarischen Kontrollrechts ist das sogenannte Zitierungs- und Interpellationsrecht (Befragungsrecht). Von diesem leiten sich die Kontrollinstrumente wie die Befragung der Bundesregierung, die Fragestunde sowie Kleine und Große Anfragen ab. Je nach Maßgabe können von diesen Instrumenten sowohl der Bundestag als Vollversammlung (Plenum), wie auch dessen Ausschüsse oder einzelne Bundestagsabgeordnete Gebrauch machen.

Daneben besteht das als Minoritätenrecht ausgestaltete Untersuchungsrecht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. Untersuchungsausschüsse gelten als stärkste Waffe der Opposition. Aktuell gibt es zwei Untersuchungsausschüsse – wobei der 2. Untersuchungsausschuss (Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund), dessen Vorsitzender ich bin, ein Novum in der Geschichte des Deutschen Bundestages darstellt. Dieser Untersuchungsausschuss ist der erste, der von allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien ins Leben gerufen wurde.

Weitere Institutionen mit Kontrollrechten gegenüber der Bundesregierung sind beispielsweise Kontrollgremien oder die bundestagsexternen Stellen Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und Bundesrechnungshof, die entweder der Legislative zuzurechnen sind oder zumindest nicht einer der anderen Gewalten zugerechnet werden können.

Der wichtigste Gradmesser zur Bewertung der Arbeit einer Bundesregierung kommt aber den Bürgern zu. Sie sind es letztendlich, die der jeweiligen Bundesregierung bei den Bundestagswahlen das Vertrauen für weitere vier Jahre aussprechen können oder die Regierung und damit dem Bundeskanzler abwählen.


Der Sozialwissenschaftler Sebastian Edathy trat 1990 in die SPD ein und wurde drei Jahre später und abermals 1995 Vorsitzende der Jusos im Landkreis Nienburg. Seit 1993 ist er Mitglied im SPD-Unterbezirksvorstand Nienburg und seit 1998 Bundestagsabgeordneter. Ab 2000 gehörte er dem Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion an. Weiter arbeitete er von 1999 bis 2002 als stellvertretender migrationspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und von 2000 bis 2006 war er Sprecher der Arbeitsgruppe "Rechtsextremismus und Gewalt" der SPD-Bundestagsfraktion.
Seit Januar 2012 ist er Vorsitzender des 2. Untersuchungsausschuss (Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund).

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