Seit wann gibt es Muslime in Deutschland - 1683-1945 – Eine Prise Geschichte Montag, 07.03.2011 |  Drucken

Seit wann gibt es Muslime in Deutschland - 1683-1945 – Eine Prise Geschichte

Stellt man in Deutschland die Frage, seit wann Muslime hierzulande leben, würde man sicherlich zur Antwort bekommen, dass die ersten Muslime mit der Arbeitsimmigration in den 1950er Jahren in die Bundesrepublik gelangt sind. Doch tatsächlich leben Muslime seit 1683 in Deutschland.

Die ersten Muslime in Deutschland

In dem Jahr 1683 fand die zweite Wiener Belagerung durch die Osmanen statt, die jedoch durch die Truppen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zurückgeschlagen wurden. Dabei gerieten mehrere hundert Muslime in Kriegsgefangenschaft und damit nach Deutschland. Manche von ihnen wurden zwangsgetauft, anderen gestattete man die Heimreise und andere wiederum beschlossen zu bleiben. In Brake und in Hannover befinden sich die ältesten noch erhaltenen muslimischen Grabsteine, ersterer aus dem Jahre 1689, letzterer von 1697.
Ab 1731 konnte man von echten bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der islamischen Welt sprechen. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. rekrutierte damals zwanzig türkische Soldaten für seine Garde. Für sie wurde 1732 in Potsdam ein Gebetssaal eingerichtet. Die Bande der Freundschaft zwischen Deutschland und dem Osmanischen Reich führte in der zaristischen Armee zu dem Gerücht, dass der Kalif gegen Russland den Dschihad ausrufen würde. Prompt liefen zahlreiche, in der russischen Armee dienende, Muslime zu den Preußen über. Sie bildeten 1762 ein selbstständiges Bosniakenkorps, bestehend aus 1.000 Mann, für die ein Vorbeter (Imam) ernannt wurde. Knapp hundert Jahre später, 1863, wurde in Berlin der Türkische Friedhof angelegt, die älteste Begräbnisstätte für Muslime hierzulande.


Die Türkenmode

Vom 18. Jahrhundert bis Anfang des 20. Jahrhunderts nahm auch die Architektur Anleihen am Orient, man sprach von der Türkenmode.

Ein wunderschönes Beispiel hierfür ist die rote Moschee im Schlosspark von Schwetzingen. Derartige Bauwerke galten damals als Zeichen der Toleranz und Offenheit und niemand nahm an ihnen Anstoß. Ein anderes bekanntes Beispiel für die Türkenmode ist das Pumpenhaus an der Neustädter Havelbucht in Potsdam.

Am beeindruckendsten jedoch dürfte die „Tabakmoschee“ in Dresden sein. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Dresden die Vorschrift, dass kein Fabrikgebäude, das als solches zu erkennen ist, im Stadtzentrum gebaut werden dürfe. Der Unternehmer Hugo Zietz, der Tabak aus dem osmanischen Gebiet importierte, kam schließlich auf die Idee, seine Tabakfabrik im orientalischen Stil zu bauen – der Entwurf stammte ausgerechnet von Hitlers späteren Schwager Martin Hammitzsch –. Den grandiosen Werbeeffekt des Gebäudes kann man sich vorstellen. Heute dient es als Bürogebäude, in dem von der Sächsischen Jugendstiftung bis zur Personalberatung alle möglichen Branchen residieren.

Die erste Moschee in Deutschland

Während des Ersten Weltkrieges schloss sich das Osmanische Reich den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn an. Aufgrund dieser Allianz gelangte zunehmend osmanisches Personal nach Deutschland. In Wünsdorf bei Berlin wurde das Halbmondlager für arabische und afrikanische Gefangene, die auf Seiten Frankreichs oder Großbritanniens kämpften, errichtet. Ein weiteres Gefangenenlager für die russischen Turkvölker entstand im benachbarten Zossen. Als Verbündeter des Osmanischen Reiches und als Geste an die muslimische Welt, errichteten die Deutschen 1915 in Wünsdorf die erste Moschee Deutschlands. Der Holzbau sollte an den Felsendom in Jerusalem erinnern. Als Zeichen des guten Willens wurde Rücksicht auf die Speisevorschriften der gefangenen Muslime genommen, fließendes Wasser für die Gebetswaschungen bereitgestellt und ein Imam aus Berlin in das Lager entsandt. Schließlich musste die Moschee Ende der zwanziger Jahre aufgrund von Baufälligkeit abgerissen werden. Heute erinnern nur noch die Moscheestraße und die Gräber der Soldaten an diesen Bau.


Abu Jihad Max von Oppenheim: Der deutsche Lawrence von Arabien

Im Ersten Weltkrieg entwickelte der deutsche Diplomat und Orientalist Max von Oppenheim (1860-1946) einen Plan, die Muslime in aller Welt für die Mittelmächte zu gewinnen. Seinem Plan lag die Idee eines politischen Missbrauchs des Dschihad zugrunde. Durch das Anzetteln von Revolten in den Kolonialländern sollten Großbritannien und Frankreich geschwächt und die Hauptfront entlastet werden. Oppenheim hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg den Orient bereist und Kontakte zu den führenden Persönlichkeiten des Islam geknüpft. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. stimmte zwei Monate nach Beginn des Krieges dem Plan ‚Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde’ zu. Im Auswärtigen Amt in Berlin wurde die Nachrichtenstelle für den Orient eingerichtet. Von dieser Planungsstelle aus sollten die muslimischen Völker zu Revolten angestachelt werden. Eigens zu diesem Zweck wurden Flugblätter in Sprachen wie Arabisch und Persisch gedruckt und das Propagandablatt ‚Al-Gihad’ herausgegeben. Die Flugblätter zeichneten sich vor allem durch bildliche Darstellungen aus, so dass sie auch Analphabeten verstehen konnten.

Schnell versammelten sich hier nicht nur Orientalisten und muslimische Nationalisten, sondern auch muslimische Gelehrte wie der tunesische Scheich Salih Al-Scharif Al-Tunisi, die alle bereitwillig der Manipulation der islamischen Religion zustimmten. Hauptaugenmerkmal waren Indien und Ägypten. Wenn sich die Muslime dort gegen die Briten erheben würden, wäre diese Entwicklung kriegsentscheidend. Die Jungtürken stimmten dem Plan zu. Während Berlin Geld und Material zur Verfügung stellte, sollten die Osmanen ihn realisieren. Hierzu bedurfte es der Mitarbeit des Sultans und dem Scheich des Islam, dem obersten Rechtsgelehrten des Osmanischen Reiches. Beide sollten zum Dschihad gegen die Kolonialmächte ausrufen, um so eine Erhebung der muslimischen Massen zu bewirken, die dann zu einem asymmetrischen Krieg führen sollte. Der Kriegsminister Enver Pascha (1882-1922) befahl dem Scheich des Islam im November 1914 eine Fatwa (ein Rechtsgutachten) herauszugeben, die die Muslime zum Dschihad aufrufen sollte. Die Fatwa besaß folgenden Inhalt:

Der Dschihad wurde zu einer Individualpflicht erhoben.
Dieser sei nur gegen Russland, Frankreich und Großbritannien auszuführen, da diese dem Kalifat feindlich gesonnen seien.
Wer sich nicht am Dschihad beteilige, begehe eine Sünde.
Muslime, die für die gegnerische Seite kämpfen, würden in die Hölle kommen.

Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Die muslimische Gemeinde, die Umma, ignorierte diesen Aufruf und deutsche Militärs mussten erkennen, dass es illusorisch war, von einer Fatwa, eine kriegsentscheidende Wirkung erhofft zu haben.


Die Wilmersdorfer Moschee

Nach dem Krieg verblieb eine Reihe von muslimischen Exilanten und Flüchtlingen in Berlin. Durch den Zuzug von muslimischen Studenten, Akademikern, Intellektuellen und deutschen Konvertiten entwickelte sich rasch ein reges Gemeindeleben, das sich um den Inder Maulana Sadr-ud-Din (gest. 1981) scharte. Dieser war ein muslimischer Missionar der Lahore Ahmadiyya-Gemeinde und von 1951 bis zu seinem Tod ihr Vorsitzender. In der Folge schlossen sich die Berliner Muslime zur Islamischen Gemeinde Berlin e.V. zusammen.

Zwischen 1923 und 1925 entstand die Wilmersdorfer Moschee, die durch Spenden der Lahore Ahmadiyya-Bewegung erbaut wurde, jedoch von Anfang an für alle muslimischen Konfessionen und Strömungen geöffnet war. Ihre intellektuell-philosophische und offene Ausrichtung zog viele Deutsche an, insbesondere Akademiker, wie den vom Judentum konvertierten Dr. Hugo Markus oder Dr. Griffelt. Ebenfalls wichtige Konvertiten waren die österreichischen Adeligen Baron Rolf von Ehrenfels und seine Frau, die 1927 in Berlin zum Islam übertraten. Der Baron nahm den Vornamen Umar an. Im Januar 1934 wurde das erste deutsche Ehepaar, Abdullah Dayer und Fatima Adaresh, das zum Islam konvertierte, getraut.

Auf Betreiben Sadr-du-Dins begann man ab 1924 eine deutschsprachige Vierteljahreszeitschrift Moslemische Revue herauszugeben, in der vor allem Konvertiten wie Dr. Hamid Markus, Dr. Khalid Banning und Dr. Arif Griffelt federführend waren. Die Popularität der Zeitschrift erstreckte sich bald schon auf die Balkanstaaten, wo sie in die entsprechenden Sprachen übersetzt wurde. Doch bereits zwei Jahre später musste die Publikation zeitweise wegen finanziellen Engpässen eingestellt werden. Erst 1929 war sie wieder verfügbar und erschien dann durchgehend bis Kriegsbeginn.

Von dieser dynamischen kleinen Gemeinde ging auch der Impuls der ersten Übertragung des Korans aus muslimischer Feder hervor. Dr. Abdul Hassan Mansoor von der Berliner Universität übersetzte hierbei eine englische Übertragung, die von Sadr-du-Din erarbeitet wurde, unter dessen Leitung ins Deutsche. Dr. Markus sorge derweilen für eine lesbare deutsche Sprachgestaltung. Schließlich waren die Arbeiten 1934 abgeschlossen und die Koran-Übertragung ging 1939 in Druck.

Erwähnenswert ist auch die Gründung des Zentralinstituts Islam-Archiv-Deutschland e.V. 1927 in Berlin. Immerhin lebten 1933 ca. 1.000 Muslime in Deutschland, darunter wohl 300 Konvertiten.

Am 22. März 1930 wurde die Islamische Gemeinde Berlin e.V. durch die Deutsche Moslemgemeinde, später umbenannt in Deutsche-Muslimische-Gesellschaft, unter Vorsitz von Dr. Markus ersetzt. Mit diesem Schritt wollten die Muslime vor allem ihre Verbundenheit zu Deutschland Ausdruck geben. Erstaunlicherweise fanden sich im Vorstand nicht nur Muslime, sondern mit Frau Rodgez und Herrn Gotsegh auch Nichtmuslime. Ziel der Vereinigung war es, den Islam zu fördern und die Kameradschaft unter den Muslimen Europas zu pflegen.


Halbmond unterm Hakenkreuz

Mit der Herrschaft der Nationalsozialisten änderte sich vieles für die Wilmersdorfer Moscheegemeinde. Die Deutsche-Muslimische-Gesellschaft wurde nun von den deutschen Behörden als internationale unter jüdisch-kommunistischen Einfluss stehende Organisation angesehen und ins Visier genommen. Dies zielte vor allem auf Dr. Markus, der jüdischer Abstammung war. Aufgrund des aufkommenden Palästina-Konfliktes warben die Nationalsozialisten auch unter den Muslimen und manche zeigten sich für die Botschaft der Schergen Hitlers empfänglich. Andere wiederum schlossen sich aus Patriotismus der deutschen Wehrmacht an. Erneut war es Max von Oppenheim, der 1940 dem Auswärtigen Amt einen Plan vorlegte, durch Missbrauch des Islam, die Muslime in den Kolonialländern aufzustacheln. Zwar gab es kein Kalifat mehr, jedoch sollte der Großmufti von Jerusalem Muhammad Amin Al-Hussaini die neue Leitfigur werden. Zunächst sollten die Muslime in Syrien dazu gebracht werden zu revoltieren. Oppenheim erhoffte sich, dass dann der Funke auf den Irak, Transjordanien, Palästina und Saudi-Arabien überspringen würde. Vier Jahre lang rief Al-Husaini von Berlin aus zum Dschihad gegen „Briten und Juden“ auf. Doch die Wirkung blieb aus. In dieser Zeit missbrauchten die Nationalsozialisten die Wilmersdorfer Moschee für ihre Propagandaauftritte mit dem Großmufti.

Amina Mosler, ebenfalls eine deutsche Konvertitin, die seit Kriegsbeginn die Leitung über die Moschee innehatte, stand dem Machtlos gegenüber. Nach Kriegsende unternahm sie die Herausforderung, die Säuberung und notwendigsten Reparaturen der stark beschädigten Moschee zu organisieren. Als sie die Moschee das erste Mal nach Ende des Krieges betrat, fand sie dort die Leichen von 14 SS-Angehörigen, die auf den Minaretten Stellung bezogen hatten, um sowjetische Soldaten aufzuhalten.
Zwar gelang es die Moschee wieder zu restaurieren, jedoch gelang es der Deutschen-Muslimischen-Gesellschaft nie wieder, ihre alte Dynamik zu entfalten. Wie auch? Nach dem Krieg hatte sich die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime auf ca. 150 reduziert. Die später durch die Arbeitsmigration eingewanderten Muslime konnten mit der „Ahmadiyya-Moschee“ und ihrer indischen Ausrichtung wenig anfangen. Folglich löste sich die Deutsche-Muslimische-Gesellschaft 1954 auf.
Seit 1993 steht die Moschee unter Denkmalschutz. Da sie jedoch zuletzt von immer weniger Gläubigen besucht wurde, musste sie 2007 geschlossen werden und wird nunmehr für besondere Ereignisse geöffnet wie z. B. den Tag der offenen Moschee.

Muhammad Sameer Murtaza ist Islamwissenschaftler, Mitbegründer des Arbeitskreises Eine Menschheit und externer Mitarbeiter der Stiftung Weltethos. Er leitet redaktionell auf islam.de das Projekt „Das Grundgesetz im (Migrations)-Vordergrund.



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