Newsnational Samstag, 07.03.2009 |  Drucken

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Religionsunterricht an deutschen Schulen: Der Glaube geht vor

Jüngstes Verfassungsgerichtsurteil wird Auswirkung auf den Fall Kalisch haben - Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gestärkt – Neue Entwicklung in Münster?

Der Theologieprofessor Gerd Lüdemann, der die christliche Lehre seit Jahren prominent anzweifelt, darf keine Pfarrer mehr ausbilden. Das entschied kürzlich das Bundesverfassungsgericht. „Die Wissenschaftsfreiheit von Hochschullehrern findet ihre Grenzen am Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“, heißt es in der Entscheidung der Karlsruher Richter. „In Glaubensfragen dürfe sich der Staat nicht einmischen“.

Der Göttinger Staatsrechtler Heinig sieht durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall des Theologieprofessors Lüdemann die konfessionelle Bindung der theologischen Fakultäten bestätigt. Wer die Bekenntnisbindung der Theologie abstreife, könne das Fach auch nicht unterrichten. Staatliche Professoren dürften nicht ohne Mitwirkung der Religionsgemeinschaften entscheiden, was Inhalt der religiösen Lehre ist, so Heinig.

Die evangelische Kirche forderte seit langem, Lüdemann aus der Ausbildung von Pfarrern und Religionslehrern zu entfernen. Die Uni folgte diesem Wunsch und entzog dem Religionskritiker den Lehrstuhl für das Fach, was zur Ausbildung der Pfarrer benötigt wurde.

Die katholische Kirche hatte seinerzeit ihren prominenten Fall mit Prof. Hans Küng. Damals suchte man konstruktiv nach Alternativen und übergab Hans Küng später einen eigenen Lehrstuhl, wo der Professor zwar unterrichten dufte, aber nicht mehr die katholische Lehre.

Nun gibt es ja bekanntlich einen ähnlichen Fall zur Zeit in Münster. Auch da tritt ein Professor als Zweifler der eigenen Religion auf. Diesmal geht es nicht um Jesus, sondern um den Propheten Muhammad. Professor Kalisch zweifelt an der Existenz des Propheten des Islam und will ergebnisoffen diese Hypothese in seinen Vorlesungen verteidigen. Dies ist aber nicht seine Aufgabe, denn er sollte als bisher einziger und erster Lehrstuhlinhaber für Religionsunterricht in Deutschland, Lehrerinnen und Lehrer für den Religionsunterricht in den Schulen fit machen. Die Muslime habe dagegen protestiert, die Religionsgemeinschaften nahmen ihre Empfehlung daraufhin zurück, bei Kalisch weiter zu studieren.

Die Studenten sind seitdem in heller Aufregung und stark verunsichert. Laut einem dpa-Bericht drohen die Studierenden des Erweiterungsfachs Islamunterricht in einem Brief an das Rektorat mit Exmatrikulation und dem Boykott von Lehrveranstaltungen, sollte Kalischs Professur nicht von der Lehrerausbildung getrennt werden.

Das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium sah sich nun gezwungen zugunsten der Muslime einzuräumen, dass Kalisch seine bisherige Aufgabe so kaum weiter machen kann.

Die Universität Münster sagt bis heute, dass sie weiter an Kalisch festhalten will und erweckt bisweilen durch Interviews ihrer Repräsentanten in den Medien den Eindruck, als müsse sie gleichsam einer abendländischen Verteidigerin von Forschung und Lehre hervorstechen.

Dass es darum nicht geht, zeigt das Urteil in Fall Lüdemann allzu deutlich. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften wurde darin gestärkt, zugunsten eines Glaubens, wie es die Religionsgemeinschaften sehen und nicht irgendwelche Freigeister oder der Staat. Nicht mehr und nicht weniger fordern die Muslime für sich und gerieren sich ihrerseits bisweilen ungewollt als Verteidiger der deutschen Verfassung.

Dabei hätte es sich die Uni Münster so einfach machen können. Einfach von Hans Küng abgucken und von Fall Lüdemann lernen. Und das hieße: konstruktiv mit den Muslimen an einen runden Tisch setzen und überlegen, wer da als Ersatz für Kalisch in Frage kommen kann und ihm das Weiterführen seiner Forschung und Lehre, für die sich ja die Universität zu verwenden hat, zu ermöglichen. Aber diese Konstruktivität wird bei der Auseinandersetzung mit den Muslimen in diesem Land kaum angewandt.

Am Beispiel der Diskussion nach dem interessanten und längst fälligen Beschluss der neuen hessischen Bildungsministerin für den islamischen Religionsunterricht, wird dies wieder deutlich. Ein Teil der Elite unseren Landes kommt in Sachen Islam einfach nicht raus aus ihren Schützengräben.

Stattdessen wird ein Politikum bevorzugt, so auch in Münster. Eine weitere Professurstelle ist dort für den Sommer ausgeschrieben. Es gibt bisher eine Reihe von Bewerbern. Offiziell hat sich bisher die Uni Münster nicht an die Muslime gewandt, um bei der Vergabe sich zumindest ein Stimmungsbild zu machen. Eine Reihe von Namen kursieren, auch der Name jenes Wissenschaftlers, der die offiziöse Muslimische Glaubensgemeinschaft in Österreich durch eine höchst zweifelhafte und umstrittene Lehrerstudie heftig angegriffen hat (islam.de berichte, siehe auch untere links).

Der Bildungsforscher Hopmann in Österreich nannte die Studie von Mouhanad Khorchide „schlichter Unfug" und Khorchide sperrte nach Bekanntmachung dieser Dinge den öffentliche Zugang zu seiner Dissertation.

Man darf gespannt sein, ob dies der Einstieg in eine erfolgreiche deutsche Lehrstuhlbesetzung ist, oder die endgültige Demontage des Standortes Münsters für den islamischen Religionsunterricht.



Lesen Sie dazu auch:
Über die seit Wochen anhaltende öffentliche Schlammschlacht gegen die offizielle und staatlich anerkannte muslimische Vertretung Österreichs
Muslime distanzieren sich vom Münsteraner „Islam“-Lehrstuhl
"Vielleicht wäre es besser gewesen, Professor Kalisch wäre selbst zurückgetreten" - Von Alexander Görlach

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