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Sonntag, 13.01.2008

Innenpolitische Aufrüstung gegen fundamentale Prinzipien unserer Demokratie - Von Gerhart Baum

Führende Verfassungsrechtler warnen übereinstimmend vor Fehlentwicklungen zu Lasten der Grundrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus

Ist unsere Rechtsordnung den Herausforderungen des Terrorismus noch gewachsen? Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Garantie der Menschenwürde, auf der unsere Verfassungsordnung ruht. Diese steht aber auch zur Diskussion. Eine Debatte in dieser Schärfe und Gegensätzlichkeit zwischen den Verfassungsorganen in unserem Land hat es bisher noch nicht gegeben. Während in der Vergangenheit sich die Kontroversen eher auf einzelne umstrittene Sicherheitsmaßnahmen konzentrierten, stehen wir jetzt an einer Wegscheide. Ein dem Gegenstand angemessenes Echo, etwa in den zahlreichen Erklärungen zum Jahreswechsel, ist allerdings nicht erkennbar. Der Bundespräsident immerhin sah sich genötigt, in einem Neujahrsinterview zu mahnen, dass auch Rechtsbrecher unter dem Schutz der Menschenwürde stehen.

Wir kennen das schon: Seit Jahrzehnten erleben wir eine ständige innenpolitische Aufrüstung auf Kosten unserer Freiheitsrechte. Neu ist, dass die Politik - an der Spitze der Bundesinnenminister Schäuble - mit zugespitzten Terrorismusszenarien operiert und damit erhebliche Ängste auslöst. Die Angst vor dem Terrorismus kann schlimmere Wirkung haben als dieser selbst. Neu ist auch, dass neben sinnvollen Vorschlägen die Maßlosigkeit einer neuen "Sicherheitsarchitektur" um sich greift, die den Kampf gegen Terrorismus als Krieg in einem Ausnahmezustand begreift. Die Grenzen des bewährten Polizei- und Strafprozessrechtes bis hin zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren als "Ersatzpolizei" sollen überschritten werden. Die Bundesrepublik soll sich auf den "amerikanischen Weg" machen.

Der Rechtsstaat beweist seine Autorität gerade dadurch, dass er auch Terroristen als Kriminelle behandelt. Bollwerk gegen diese Entwicklung ist bisher das Bundesverfassungsgericht. Es hat in einer Serie von beeindruckenden Urteilen in rascher Folge Entscheidungen des Bundesgesetzgebers und der Landesparlamente aufgehoben. Auch das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik in dieser Form bisher nicht gegeben. Bemerkenswert ist, dass die Richter es nicht bei ihren Urteilen belassen haben, sondern ihre Sorgen auch in öffentlichen Reden zum Ausdruck gebracht haben - und zwar unabhängig von ihrer unterschiedlichen politischen Herkunft. Es haben sich die Präsidenten der beiden Senate, Hans-Jürgen Papier und Winfried Hassemer, die Richterin Christine Hohmann-Dennhardt, der Richter Udo Di Fabio und der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm geäußert. In ihren Stellungnahmen haben sie übereinstimmend vor Fehlentwicklungen zu Lasten der Grundrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus gewarnt.

Papier wies dabei die Kritik, das Gericht habe durch seine Entscheidungen Ermittlungsinstrumente unwirksam gemacht, ausdrücklich zurück. Er verteidigt den absolut geschützten Kernbereich des privaten Lebens. In einem Staat, der keine Rückzugsbereiche der Privatheit übrig lasse, wolle er nicht leben. Im Feindstrafrecht sieht er eine Kapitulation des Rechtsstaates. Er sah sich genötigt, die Politik darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungen des Gerichts für alle Verfassungsorgane bindend seien und warnte vor einer erneuten Vorlage des Luftsicherheitsgesetzes. Udo Di Fabio warnt vor einem "präventionstechnischen Überbietungswettbewerb". Winfried Hassemer beklagt, "dass man sich den Staat nicht mehr durch anständiges Verhalten vom Leibe halten kann". Er kritisiert damit die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten unbescholtener Bürger ohne jeden Verdacht. Christine Hohmann-Dennhardt stellt die provozierende Frage, "ob der Mensch nurmehr als Summe seiner Daten interessiert oder weiter als Persönlichkeit mit Anspruch auf Privatheit begriffen wird".

Mit Sorge sieht das Gericht und sehen wir als Beschwerdeführer in den Verfahren zum Lauschangriff, dass die kritisierten Politiker diese Rechtsprechung gar nicht oder nur widerwillig akzeptieren oder gar zu umgehen versuchen. Ganz ungewöhnlich ist, dass der Bundesinnenminister - der stets betont, dass die Herausforderung durch den Terrorismus nur gemeinsam von allen Staatsgewalten bewältigt werden kann - drei fundamentale Urteile des Gerichts massiv kritisiert. Angeblich verhindern sie, seinem Sicherheitsversprechen gegenüber der Bevölkerung nachzukommen. Das ist eine kühne Behauptung! Für problematisch hält er im Lauschangriffurteil von 2004 die vom Gericht geforderten Schutzvorkehrungen für den inneren Kernbereich privater Lebensgestaltung in der Wohnung. Er kritisiert als "rechtspolitisch schwer tragbar und grundrechtsdogmatisch diskussionswürdig" das vom Gericht ausgesprochene Verbot der Rasterfahndung ohne konkreten Tatverdacht. Er fordert unter Ablehnung des strikten Verbotes des Abschusses von Passagiermaschinen den Einsatz der Bundeswehr zu Schutzzwecken im eigenen Land und möchte die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit aufheben. Dieses fundamentale Urteil zum Lebensschutz wird ausgerechnet von konservativen Politikern in Frage gestellt. Das ist eine Debatte, die es in sich hat. Und es ist wohl keine Übertreibung, von einer Krise zwischen Verfassungsorganen, zumindest zwischen dem für die Verfassung zuständigen Minister Schäuble und dem Bundesverfassungsgericht zu sprechen.

Das Bundesverfassungsgericht ist einem wachsenden Druck ausgesetzt. So beklagte sich die FAZ kürzlich über die Karlsruher "Rechtsoligarchen" und über die Interviews und Reden der Richter. Ministerin Zypries wird als "Mutter der Bürgerrechte" spöttisch diffamiert. Wie man in anderen Diskussionen immer wieder hört, soll Karlsruhe "weich geklopft" werden. Wo bleibt das Echo der maßgeblichen Meinungsträger unserer Gesellschaft auf die unüberhörbaren Warnsignale der Richter? Werden doch in unserer Gesellschaft in schnell wechselnden Erregungszuständen alle möglichen Themen höchst unterschiedlicher Bedeutung behandelt. Hier allerdings geht es um fundamentale Prinzipien unserer Demokratie. Jedoch die Bevölkerung verharrt in Gleichgültigkeit. Und auch diejenigen, die sich immer in kritischen Situationen zur Verteidigung der Freiheit zu Wort gemeldet haben, schweigen. Ein aufrüttelnder öffentlicher Diskurs ist bisher ausgeblieben. Mit Blick auf die jüngste Entscheidung des Bundestages zur Vorratsdatenspeicherung bleibt nur die bittere Feststellung: Die Politik erprobt weiter die Belastbarkeit des Grundgesetzes. Sicherheitsgewinn und Freiheitsverlust stehen in keinem Verhältnis mehr.


Zum Autor: Gerhart Baum (FDP), von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister, gehört zu Initiatoren der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die von der Großen Koalition geplante Vorratsdatenspeicherung.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors; Erstveröffentlichung in der SZ vom 07.01.08