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Donnerstag, 18.10.2007
"Wir müssen weiter über das Kopftuch reden" - Die Lehrerin Maryam Brigitte Weiss setzt sich dafür ein. Von Michaela Schlagenwerth
Maryam Brigitte Weiss ist erkältet. Mit roten Augen sitzt sie im Büro des Zentralrats der Muslime. Vor sich Hustenbonbons und eine Flasche Wasser. Noch ist Ramadan. Manchmal, so seufzt sie, sei es schwer zu entscheiden, ab wann man das Fasten breche. Maryam Brigitte Weiss ist Hauptschullehrerin und Frauenbeauftragte des Zentralrats der Muslime. Anfang der 90er Jahre ist sie zum Islam konvertiert, da war sie seit zehn Jahren Lehrerin. Nein, sagt sie, sie sei keine Suchende, sondern ganz und gar einverstanden gewesen mit ihrem Leben. Und einen Muslim geheiratet hat sie auch erst sehr viel später. Aber tief gläubig war sie und eine leidenschaftliche Religionslehrerin. Darauf, dass sich damals keiner ihrer Schüler vom Unterricht abgemeldet hat und sogar einige der katholischen Schüler zu ihr wechselten, ist sie bis heute stolz. "Gott ist mir immer sehr verständlich gewesen, ich hatte nie Hemmungen über ihn zu reden", sagt sie.
Maryam Brigitte Weiss unterrichtet in Haan, in der Nähe von Düsseldorf; der Ausländeranteil an ihrer Schule ist hoch. Als Klassenlehrerin hat sie schon immer viele Hausbesuche gemacht, und mit muslimischen Eltern ist sie "automatisch" auf das Thema Religion gekommen. So hat es angefangen. Gerade dass, was viele am Islam schreckt, dass es eine Gesetzesreligion ist, die das alltägliche Leben regelt, hat ihr besonders gefallen. "Für mich war Religion immer Teil meines Alltags", sagt sie. Mehr und mehr erschien ihr der Islam als Vollendung ihres Christentums; es war ein Prozess, der sich über viele Jahre erstreckte. Als sie Anfang der 1990er konvertierte und ein Kopftuch überzog, war sie selbst überrascht, dass ihre Umwelt eher freundlich und gelassen reagierte. Aber das war nur die eine Seite.
Islam als Vollendung
Denn dass Maryam Brigitte Weiss heute eine streitbare, eloquente und bestens organisierte und vernetzte Person ist, hat vor allem mit ihrem Kopftuch zu tun. Mit ihren Auseinandersetzungen mit den Schulbehörden, einem Nervenzusammenbruch und dem Willen sich zu wehren. Zuletzt ist sie als Frau, die im Grace-Kelly-Look unterrichtet - mit einem im Nacken statt nach muslimischer Art unter dem Kinn geknoteten Tuch - durch die Medien gegangen.
So unterrichtet sie seit einem Jahr in Hanau; im August hat sie ihren Prozess vor dem Düsseldorfer Verwaltungsgericht verloren. Weiss hatte mit nichts anderem gerechnet, sie unterrichtet weiter mit Kopftuch, sie ist in die nächste Instanz gegangen, und sie hofft, dass sie mit ihrem Fall bis vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe kommt. Es geht nicht nur um sie - Weiss hat in Nordrhein-Westfalen sechzehn Mitstreiterinnen. Sie alle finden das im Mai 2006 in Nordrhein-Westfalen erlassene neue Schulgesetz, das Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts verbietet, nicht verfassungskonform mit dem berühmten "Kopftuchurteil", welches das Verfassungsgericht anlässlich des Falls der Lehrerin Fereshta Ludin im September 2003 erlassen hat. Die Lehrerinnen möchten ihre Stellen nicht verlieren, sie möchten vor dem Gesetz Recht bekommen, und sie möchten, dass öffentlich weiter über das Kopftuch debattiert wird. Dass man weiter fragt: Was bedeutet das Kopftuch eigentlich? Welche Vorstellungen darüber gibt es? Dass sie sich früher relativ unbeschwert mit ihrem Kopftuch durch den öffentlichen Raum habe bewegen können, sagt Maryam Brigitte Weiss. Doch zwei, drei Jahre nach dem 11. September 2001 sei die Stimmung umgeschlagen. "In öffentlichen Verkehrsmitteln merke ich, wie es Menschen unangenehm ist, wenn ich mich neben sie setze. Man wird wahrgenommen als ein Mensch der geknechtet ist, oder, genauso schlimm, freiwillig das Gefängnis wählt."
Anerkennung für Muslime
Die Aufregung über Kopftuch tragende Frauen in europäischen Bildungseinrichtungen begann aber nicht mit dem 11. September 2001. Sie fiel, so sagt es die Wissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami in ihrer im Sommer erschienen Untersuchung "Politisierte Religion" vor allem mit den wachsenden Forderungen nach Anerkennung durch die Muslime selbst zusammen. Die Gelassenheit zuvor war vor allem Ausdruck von Gleichgültigkeit gegenüber einer Minderheit, die man gar nicht als Teil der eigenen Gesellschaft begriff. Erst als sich das änderte, begann das Entsetzen. Einen Ausdruck von "kultureller Segregation" nannte die damals für die prozessierende Lehrerin Fereshta Ludin als baden-württemberigsche Ministerin zuständige Annette Schavan das Kopftuch. Das Bild, das damals entstand und sich bis heute hält: Jede Frau, die ein Kopftuch trägt, verachtet jede Frau, die das nicht tut als Hure - oder zumindest als minderwertig.
Man müsse doch nur in öffentlichen Verkehrsmitteln sitzen und sehen, wie Teenager mit und ohne Kopftuch offenbar bestens befreundet und tuschelnd ihre Köpfe zusammen stecken, sagt Maryam Weiss. Dann sähe man doch schon, was für ein Unsinn das sei. Das bestätigt eine Studie, die die Konrad-Adenauer-Stiftung im vergangenen Jahr durchführte. Die befragten Kopftuchträgerinnen türkischer Herkunft favorisieren gleichberechtigte Partnerschaften und weichen in den meisten Punkten kaum von den Ansichten der deutschen Mehrheitsgesellschaft ab. Zwei Dinge allerdings unterscheiden sie: Die Religion spielt eine überragende Rolle, und nur bestürzende 58 Prozent glauben an die Gleichheit aller Menschen vor Gott, und sie fühlen sich in Deutschland nicht heimisch. Sie wissen mehr über die Vorgänge in der Türkei als über diejenigen in Deutschland. Doch wollen sie auf keinen Fall in der Türkei leben, das hat die Wissenschaftlerin Amir-Moazami, die bei der Türkeiaffinität zu gleichen Ergebnissen kam, herausgefunden. Die Befragten verstehen sich nicht nur in Deutschland als Ausländerinnen, sie werden auch als solche angesehen.
Das Kopftuch hilft ihnen eine eigene Identität zu bilden. Vielleicht, sagt Maryam Brigitte Weiss, ist jetzt Zeit anders über solche Dinge zu reden. Sie hat dafür gemeinsam mit ihren Kolleginnen den ISSG, die Interessengemeinschaft muslimischer Lehrerinnen, gegründet.
(Aus der Berliner Zeiting, Erstveröffentlichung am 16.10.07, mit freundlicher Genehmigung der Autorin)