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Dienstag, 22.05.2007

"Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren?" Hatz , Hetzte und Stammtische - Wo bleibt der kritische Journalismus? - Von Hans Leyendecker

Wie die BILD mit ihrer Berichterstattung zum Fall des Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri Journalismus und nebenbei ihre Unternehmenskultur definiert

Solide Wörterbücher führen das Substantiv "Hetze" auf das Wort "Hatz" zurück. Der aus dem 16. Jahrhundert stammende Begriff bedeutete zunächst "Hetzjagd", später "Aufwiegelung, üble Propaganda". Das Massenblatt Bild hat in seiner Samstagsausgabe gegen den vor Jahren von der CIA nach Afghanistan verschleppten Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri aufgewiegelt, es hat gehetzt: "Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren?", fragte Bild und jagte fort: "Monatelang terrorisierte der Islamist als angebliches CIA-Folteropfer die Bundesregierung, Parlament und Öffentlichkeit. Nun stellt sich raus: Al-Masri ist ein durchgeknallter Schläger, Querulant und Brandstifter. Auch ein Lügner?"

Anlass oder Vorwand für das publizistische Eindreschen auf den 43-Jährigen ist der Brandanschlag Masris auf einen Großmarkt in Neu-Ulm. Masri hatte sich mit dem Personal angelegt, Hausverbot bekommen und am frühen Morgen des vorigen Donnerstags Feuer gelegt. Er wurde am selben Tag in die psychiatrische Abteilung eines Bezirkskrankenhauses eingewiesen. Aus der Literatur über Folteropfer ist bekannt, dass sie manchmal etwas Drastisches, etwas Dramatisches tun, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Für die Stammtische zumindest ist aus dem Opfer Masri, dem man früher schon eher skeptisch begegnet war, jetzt endlich der Täter geworden. Die Unbarmherzigkeit

gegenüber Schwächeren beschränkt sich nicht nur auf manche Autoren bei Bild. Masri wird - angeblich mangels Glaubwürdigkeit - das Recht abgesprochen, Opfer sein zu dürfen. Da wird einem, der außer seiner Opfergeschichte nicht mehr viel hat, der Boden weggerissen. Die Skepsis der Straße, das alltägliche Vorurteil, das ihn kaum noch nach draußen gehen ließ, bekommt die Bestätigung durch die Gossenpresse.
Dass der CIA-Ausschuss des Europaparlaments und der BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Glaubwürdigkeit von Masri bestätigt haben, ist für die da draußen nebbich. Dass Masri großes Unrecht widerfahren ist, haben diverse Politiker diverser Parteien erklärt: na und. Dass die Staatsanwaltschaft München gegen seine amerikanischen Entführer, vermutlich CIA-Agenten, internationale Haftbefehle beantragt hat: ach ja. Einer wie er kann von allen niederkartätscht werden. Die immer noch vorhandene hetzerische Gewalt des Blattes, die von Heinrich Böll meisterlich beschrieben wurde, bekommt wieder einen neuen Namen. Die Erklärungen von Springer-Spitzenleuten über sauberen Journalismus, über Qualität erweisen sich angesichts dieses Falles als Konfetti. Das alles erinnert an einen Satz des Wiener Kulturkritikers Karl Kraus über die "Neue Freie Presse", demzufolge "hier im Haus der Abort des Lebens zugleich das Speisezimmer" ist.

Vor einigen Tagen verschwand aus dem Internet der Blog eines Springer-Mitarbeiters über Bild und den Chefredakteur des Blattes. Der Kommentator, der zu der Feststellung gekommen war, Bild bediene "auf fast allen Seiten die niedrigsten Instinkte" seiner Leser, hatte unter anderem auf ein Urteil des Berliner Landgerichts verwiesen, demzufolge Bild "bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsverletzung anderer" ziehe. Der Online-Beitrag war von der Axel Springer AG, in der Bild erscheint, als "Entgleisung eines einzelnen Mitarbeiters" bezeichnet worden, der "nicht den Werten unserer Unternehmenskultur" entspreche. Das Wort Unternehmenskultur klingt angesichts der El-Masri-Berichterstattung wie Hochstapelei.

(Der SZ-Redakteur Hans Leyendecker gilt in Deutschland als einer der profiliertesten investigativen Journalisten.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors, Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung am 21.05.07)