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Dienstag, 26.12.2006

Erinnerung auf eine andere Weise: Der Tsunami vor 2 Jahren

Vor genau zwei Jahren brach die Naturkatastrophe „Tsunami“ über die Menschen im Fernen Osten herein. Wir erinnern uns noch einmal in einer etwas anderen Weise:

Im großen Konsumtempel in Thailands Touristenmetropole von Khao Lak, welche wie andere Städte in dieser Region ihre vielen Toten und Verletzen beweinte, betete ein Priester zusammen mit Hunderten Trauergästen verschiedener Religionen. Der „Altar“ - sonst die Präsentationsfläche, wo verkauft und Waren gepriesen werden, sozusagen der Altar des Mammon - ist immer noch umgeben vom grellen Licht der Geschäfte und Reklametafeln. Doch für diesen Anlass ist dieser Platz für den Gedenkgottesdienst der Flutopfer umfunktioniert worden. Und damit nicht genug, das schon seltsam anmutende Bild bekommt durch den abschließenden „erlösenden“ Satz des Priesters einen fast heiligen Rahmen: „Und wir hoffen, dass die Toten in das Paradies kommen.“

Die „Erlösung“ ist am selben Tag der „Tagesschau“ immerhin die Erstmeldung wert, ein paar Tage nach der größten Naturkatastrophe - viele Religiöse sprechen nicht selten auch von der Sintflut - der jüngsten Menschheitsgeschichte.
Der Erlösungsgedanke scheint tatsächlich allen Religionen und Weltanschauungen gemein zu sein. Nach solchen folgenschweren Katastrophen spendet dieser Glaube Trost für die Hinterbliebenen und stärkt die Hoffnung, dass sie nicht umsonst gestorben sind: Denn sie sind zwar tot, aber bei Gott dem Barmherzigen und Gütigen aufgenommen.

Szenenwechsel: Ein paar Minuten später schmettert der Schlagersänger Udo Jürgens nach seinem Auftritt zu Beginn der ZDF-Spendengala zu Gunsten der Flutopfer den Gläubigen die kratzigen Sätze entgegen: „Wo war denn der Gott, an den ihr glaubt, nach dem Ausbruch des Tsunamis?“ Blasphemie? Nein, vielleicht doch? Unverständnis? Ja, bestimmt.
Pikanterweise gab er selber die Antwort Tage davor in einem Interview der Süddeutschen Zeitung zum Jahreswechsel. Darin schimpfte der bekennende Atheist die Intellektuellen mit den Worten: „Wenn sie die Momente der Erlösung nicht zulassen auf Konzerten (...), dann vergehen sie sich an der Musik.“ Er und viele andere glauben an die Musik und ihre Erlösung, andere glauben wieder an Buddha, andere an Jahwe, wieder andere an Allah. Treffend heißt es in der Sure 109 der heiligen Schrift der Muslime dazu: „Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion."

Die Flutkatastrophe schien vor einem Jahr wieder Gedanken und Einsichten in die müden Köpfe der Menschheit zu bahnen. Was ist heute davon übrig geblieben? Fast könnte man meinen, dass die vielen Flutopfer die letzten wahren Märtyrer jener Menschheit sind, die beinahe im Begriff war, sich selbst zu vergessen. Ihr Tod scheint eine Art Opfer für unser Erwachen zu sein. Zu pietätlos dieser Gedanke? Nein, bestimmt nicht.

In Banda Ace z.B. kämpften seit Jahrzehnten muslimische Untergrundkämpfer für eine freies Banda Ace gegen die indonesische Zentralregierung – oft mehr schlecht als recht. Sie verwickelten nicht selten den Widerstandskampf mit Drangsalierung der Bevölkerung. Die wiederum wünschte sich nichts Sehnlicheres als Frieden und Ruhe. Das indonesische Militär auf der anderen Seite unterjochte das Gebiet und machte die Bevölkerung zu Sklaven. Nach dem Tsunami wurde alles anders – besser. Der Friedensvertrag zwischen Rebellen und Regierung ist längst unterzeichnet, das Militär abgezogen. Ein Ergebnis des „Tsunami“?

Diese gewaltige Naturkatastrophe führte uns Menschen unsere Verletzlichkeit, unsere Endlichkeit und unsere eigentliche Bestimmung vor Augen - Frühwarnsystem hin oder her.
Die Natur schlug „unzivilisiert“ auf Menschen, Häuser und Bäume ein und vernichtete diese. Da helfen auch kaum mobile schnelle Ökoeingreiftruppen, wie sie jetzt von multinationalen Konzernen und Organisationen gefordert werden. Und die vielen Sicherheitspakete und „Patriot Acts“ gegen den Terror wirken vor diesem Hintergrund beinah grotesk. Natürlich können Frühwarnsysteme Schäden eindämmen, sie sind wichtig und notwendig, jedoch können sie unseren Wunsch nach absoluter Sicherheit nicht befriedigen, so wie es keine absolute Sicherheit vor Terror gibt, noch dazu wenn weiterhin Krieg und bitterer Hunger in vielen Teilen der Welt herrscht.

Vielleicht dieser Tatsache gewahr, sprach der Bundespräsident Horst Köhler vor einem Jahr von der „Weltinnenpolitik“. Und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mahnte sogar: „Politische Lager sind jetzt nicht wichtig, religiöse und ideologische Unterschiede auch nicht. Es geht um Solidarität aus gemeinsamer Verantwortung.“ Die Globalisierung tritt aus dem Reich der Ökonomie in das Welteninnenreich der Menschen ein. Hat Gott dies auch zugelassen?

Plötzlich wendet ein deutsches Aufklärungsschiff, das eigentlich abgerichtet ist, Terroristen am Horn von Afrika zu jagen, in Richtung Südostasien, um eilig den Bedürftigen zur Seite zu stehen. Und da nimmt der Flugzeugträger Abraham Lincoln Kurs auf Sumatra auf. Nicht um „präventiv“ Bomben abzuwerfen. Nein - würde Abraham Lincoln heute noch leben, es wäre sein stolzer Tag - um Menschen in Not zu helfen. Beide Schiffe sind beladen mit Medikamenten, Nahrung, Lazaretten und mobilen Krankentransportern. Hat Gott dies auch zugelassen?

Die Welt spendete dann solidarisch, weltbürgerlich große Summen für ihre Geschwister in einem bisher nie da gewesenen Ausmaß und in einer Höhe, die ihresgleichen sucht. In den betroffenen Ländern leisteten und leisten bis heute die Überlebenden und Einheimische schier unglaubliche Hilfe bis zur völligen Erschöpfung und zum Zusammenbruch. (Wehmütig wünschte man sich seinerzeit nach dem Völkermord in Ruanda oder nach dem Krieg im Irak, dass eine ähnliche Solidarität stattgefunden hätte.)

Man leidet mit dem Mensch, ganz gleich ob „er“ sich zu den Christen, Hindus oder Muslimen zählt. Vielleicht erinnert der eine oder andere sich dann: Uns Menschen ist allen dieselbe Mutter und derselbe Vater gemein!
Seltsam schaurig-schöne Vorstellungen sind dies, nicht wahr? Wir sollten sie nicht vergessen und nicht aufhören uns über die Zeichen dieser Naturkatastrophe Gedanken zu machen. All das hat Gott auch zugelassen.(Aiman A. Mazyek; Erstveröffentlichung des Textes Dezember 2005 in islam.de)