Montag, 09.10.2006
Sie schreiben in ihrem Artikel "Kritischer Dialog" auf islam.de, Papst Benedict wollte in seiner Regensburger Rede, Zitat:
"(Glaube und Vernunft) nicht etwa miteinander versöhnen, denn dies ist nicht nötig, ist doch der Glaube eine selbstverständliche Dimension der Vernunft und beide im hellenischen Begriff Logos ursprünglich miteinander verbunden. Die moderne Vernunft ist lediglich um diese Dimension verkürzt worden".
Ich halte diese Aussage auch in ihrem eigenen Argumentationskontext nicht für besonders überzeugend. Auch wenn ihr aus etymologischer Sicht zuzustimmen ist (was sich schlüssig liest, ich aber nicht beurteilen kann), so wäre doch das Auseinanderfallen der von Ihnen so bezeichneten modernen, verkürzten Vernunft und einer offenbar universelleren, dem Christentum wie dem Islam inhärenten Vernunft allemal Grund genug, eine auch mehrheitlich anerkannte Versöhnung der Leitideen dieser zwei Formen von Vernunft anzustreben. Wenig später nehmen Sie sich dann noch einmal die Zeit, den so genannten verkürzten Vernuftbegriff in seiner Schädlichkeit zu verdeutlichen:
Zitat: "Als Europa dann in vollem Vertrauen auf die „verengte“ menschliche Vernunft den Menschen an die Stelle Gottes gesetzt hatte, war der Weg zum Wahnsinn des „Übermenschen“ sehr kurz: die brutale Unterwerfung der restlichen Welt, Nationalismus und Rassismus, Stalin, Hitler, wobei bei der Unterwerfung der Welt zu Beginn die Kirche ja noch durchaus in ihrem Sinne mitgewirkt hatte..
Meine Frage: halten sie Stalin und Hitler denn wirklich für anschauliche Repräsentanten der von Ihnen an anderer Stelle auch "moderne Vernunft" genannte säkuläre Rationalität? Können Sie mir in diesem Sinne auch nur einen einzigen Satz einer dieser Männer zitieren, der zu irgendeiner Zeit auch nur die geringste Bedeutung in einem beliebigen modernen wissenschaftlichen Diskurs gehabt hätte? Lassen sich die Bewegungen des Staatssozialismus und des völkischen Nationalismus des 20. Jahrhunderts nicht viel mehr als vom heutigen Standpunkt hanebüchener Irrsinn bewerten, der nur unter dem Eindruck verlorener Sicherheiten und damit verbundener notwehrhafter Utopie entstanden ist? Sie suggerieren, dass sich die Wirkmächtigkeit dieser Ideologien auch aus dem Zerfall religiöser Gewissheiten und damit verbundener ethischer Gebundenheit erklären lässt. Dem möchte ich nicht widersprechen, jedoch daran erinnern, dass die verwendeten Axiome dieser Ideologien extrem stark auf gemeinschaftliche und in ihrem Sinne eben auch ganzheitliche (völkische bzw. sozialistische) Ordnungen abzielten, die verwendete Symbolik sich zudem oft an tradierten religiösen Erlösungssemantiken anlehnte, hingegen die gebräuchlichere Charakteristik der Moderne als auf individuelles Zweckdenken abzielende Rationalität in beiden dieser Ideologien ein extremes Feindbild darstellte.
Daran anschliessend die Frage: ist Benedicts - oder auch Ihr - Problem mit einer in Europa dominanten säkularen Vernunft heute nicht sogar eher, dass sich das Verhältnis der Mehrheiten zum Wegfall religiöser Weisungen seit dieser Zeit stark entspannt hat? Wie ernst werden denn hierzulande Politiker genommen, die sozialtechnokratische Gesamtlösungen, bzw. Lösungsvorschläge unterbreiten, die auf rassistischen oder völkischen Theoremen beruhen? Ich meine: glücklicherweise nicht besonders ernst. Allerdings - und das werden Sie und Benedict sicherlich in gewissen Umfang bedauern - werden gesellschaftliche Eliten hierzulande mittlerweile annähernd ebenso wenig ernst genommen, wenn sie sich in ihrem Handeln auf Gott beziehen. Mittlerweile ist dabei selbst bei konservativen Politikern festzustellen, dass sie diesen Bezug umso mehr hintanstellen, je mehr es um konkrete, bzw. entscheidene Sachfragen politischer Gestaltung geht. Und ich möchte fragen: ist der Verzicht auf diese Bezüge denn wirklich zu bedauern? Ist der in vielen traditional geprägten Gesellschaften nach wie vor anzutreffende Zwang, sich bei politischer Betätigung religiös zu legitimieren, denn wirklich ein Vorteil? Sie werfen dem Papst - wie ich finde zu Recht - vor, die Thematisierung eigener Probleme mit einer rhetorischen Verlagerung auf Probleme der "Anderen" zu führen - ein alter, immer wieder gängiger Trick. Aber ist Ihnen, Herr Laabdallaoui, nicht ebenso vorzuwerfen, die Diskreditierung moderner Rationalität mit Bezügen auf sehr fragwürdige und zudem reichlich unaktuelle Beispiele zu betreiben? Waren die Handlungsgebote westlicher Demokratien zu Rechtstaatlichkeit und innergesellschaftlichem Gewaltverzicht in den von Ihnen genannten 6 Jahrzehnten nicht tatsächlich wirksamer, als in den allermeisten theologisch inspirierten Gesellschaften oder Staaten? Lassen sich nicht massenhaft Beispiele aufzählen, in denen einer Versöhnung von Vernunft und Glaube nicht gerade die Repräsentanten des Glaubens entgegenstanden? Und schliesslich: sind es von allen Staaten dieser Welt momentan nicht in auffälligem Maße solche Staaten, Gesellschaften oder Gemeinschaften die sich in ihrer Programmatik auf den Islam berufen, in denen es an der Selbstverständlichkeit einer solchen Sythese mangelt?