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Montag, 18.09.2006

Mit Vermutungen und Unterstellungen auf KonvertitInnen-Jagd – Zum Emma-Dossier von Eva-Maria El-Shabassy

Die aktuelle EMMA enthält einen mehrere Seiten langen Artikel über Muslime und Musliminnen deutscher Herkunft, hochtrabend als "Dossier" bezeichnet. Er soll die Gefährdung und Unterwanderung des deutschen Rechtsstaates durch mit dem Terrorismus sympathisierende und/oder schariahörige KonvertitInnen, insbesondere Kopftuch tragende Lehrerinnen, aufdecken.

Wer sich nicht zum allerersten Mal mit diesem Thema beschäftigt, wird in dem "Dossier" viele Bekannte und viel Bekanntes wiederfinden, von der jungen Berlinerin, die Anfang des Jahres im Internet angekündigt haben soll, sich mit ihrem Baby zwecks Selbstmordattentat nach Afghanistan aufmachen zu wollen, über die Ende 2004 im Irak entführte Susanne Osthoff bis hin zu Kopftuch tragenden Lehrerinnen sowie die Vorsitzenden und namhafte Mitglieder des Zentralrats der Muslime.

Offenbar mangels verwertbarer Masse werden eine Belgierin und zwei Schweizer kurzerhand mit eingedeutscht, doch wichtiger ist, was dann über diese Personen und ihre Aktivitäten "enthüllt" wird. Soviel vorweg: Das meiste hat man schon zigfach anderswo gelesen. Allenfalls der Fleiß beeindruckt, mit dem aus Zeitungsartikeln, Internet und Verfassungsschutzberichten zusammengekratzt wurde, was irgendwie brauchbar schien. Von einigen wenigen Fällen abgesehen, wo MuslimInnen deutscher bzw. europäischer Herkunft explizit Sympathien mit einem pseudo-islamisch motivierten Terrorismus zum Ausdruck gebracht oder sich selbst einer entsprechenden Gruppierung angeschlossen haben, konstruiert EMMA aus Nebensächlichem und Belanglosigkeiten ein alarmistisches Stimmungsbild, z.B. wenn sie das (leider?) ganz und gar nicht dem "Islamisten"-Klischeebild entsprechende "Salonlöwen"-Auftreten des neuen ZMD-Vorsitzenden als Tarnung und Taktik verdächtigt - und ebenso das laut EMMA für ein Attac-Mitglied typische Outfit eines muslimischen Journalisten. Weiter lesen wir küchenpsychologisch vereinfachte Spekulationen über die Motive konvertierender deutscher Frauen. Und selbst eine Äußerung wie die des Vorsitzenden der Deutschen Muslim-Liga, die Religion nicht völlig ins Private zu drängen zu wollen, wird als Hinweis auf eine fragwürdige, möglicherweise verfassungsfeindliche Gesinnung präsentiert. Insgesamt bleibt die Ausbeute trotzdem so mager, dass das Fazit eigentlich darin bestehen müsste, sich erleichtert zurückzulehnen und die Akte zu schließen.

Stattdessen versucht EMMA-Autorin Cornelia Filter den Mangel an handfesten Belegen für ihre "Anklageschrift" durch Vermutungen und Unterstellungen zu übertünchen. Natürlich müssen Staat und Gesellschaft sich gegen Terrorismus und subversive Aktivitäten zur Wehr setzen, wozu die hiesige muslimische Community im übrigen längst ihren Beitrag leistet. Doch wenn EMMA aufgrund einiger weniger Fälle, die von der Mehrheit der hiesigen MuslimInnen ebenso verurteilt werden wie von der nichtmuslimischen Bevölkerung, alle KonvertitInnen pauschal als Verfassungsfeinde und Terror-Sympathisanten präsentiert, sprechen daraus denunziatorische Absichten.

Trotz Überwachung durch den Verfassungsschutz, trotz Rasterfahndung, trotz zahlreicher Razzien usw. gibt es keinerlei Beweise dafür, dass diejenigen islamischen Vereine und Verbände, die die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime - und damit auch der KonvertitInnen - repräsentieren, strukturelle Verbindungen zu (ausländischen) terroristischen Vereinigungen unterhalten, dass dort subersiv-verfassungsfeindliches Gedankengut verbreitet oder dass terroristische Aktivitäten vorbereitet würden. Dass es in einer so großen Population wie der muslimischen Community in Deutschland einzelne Personen oder kleine Gruppen gibt, die einer extremistischen Ideologie anhängen und/oder dem Wahn verfallen, Terror sei eine erlaubte Methode im Kampf für den Islam, sollte daher zwar keinesfalls verharmlost oder gar passiv hingenommen werden, liefert aber auch keine Faktenbasis für verallgemeinernde Denunziationen, wie sie die Grundsubstanz dieses EMMA-Artikels bilden.

Zu dieser denunziatorischen Strategie gehört es, einzelne Sätze aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu reißen und in einem neuen Kontext als Beweismaterial für die eigenen Behauptungen zu verwenden. Dies gilt z.B. für die mir in diesem EMMA-Artikel zugeschriebene Befürwortung der Steinigung als angemessene Strafe bei Ehebruch. Bereits kurz nach Erscheinen des Interviews, dem dieses Zitat entnommen ist (DIE ZEIT Nr. 51 vom 11.12.03) , habe ich mich dazu in Leserbriefen an DIE ZEIT (veröffentlicht in Nr. 3 vom 8.1.04 – von der Redaktion gekürzt) sowie an die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ( veröffentlicht in Nr.102 vom 4.5.04) geäußert. Mein Leserbrief an die SZ wurde ungekürzt veröffentlicht und sei hier noch einmal wiedergegeben:

In dem Artikel „Zu streng genommen“ von Katajun Amirpur, der durchaus zutreffende Überlegungen enthält, werde ich mit Aussagen zitiert, die keineswegs meine Meinung wiedergeben und darüber hinaus mein Ansehen nachhaltig schädigen. Die Autorin nimmt offensichtlich Bezug auf einen Artikel der ZEIT, in dem ich verkürzt und irreführend zitiert werde, was ich jedoch längst richtig gestellt habe.
Weder bin ich ein Anhänger der Steinigung, noch hatte ich mich überhaupt zum Thema Scharia geäußert.
Die Scharia basiert auf Koran und Sunna, ist aber, wie Amirpur richtig feststellt, eben keine unabänderliche Gegebenheit. Je nachdem, wo und zu welcher Zeit der Islam gelebt wurde und wird, findet man sehr unterschiedliche Ausprägungen in der praktischen Umsetzung der Gebote, die das tägliche Leben der Muslime betreffen, und das muss auch so sein, wenn eine Religion lebbar bleiben soll.
Manche Rechtsgelehrten halten die Körperstrafen angesichts extrem hoher prozessualer Einschränkungen für zwar kaum je anwendbar, zumindest als abschreckende Drohung aber für unabdingbar. Andere sehen sie kontextgebunden an die gesellschaftlichen Verhältnisse zur Zeit der Offenbarung. Aus der Tatsache, dass der Prophet nach Selbstanzeige einer Frau die Steinigung offensichtlich nur widerwillig zuließ, und dass diese Strafe im Koran nicht erwähnt wird, folgt für mich, und folgern muslimische Gelehrte im Iran und in anderen muslimischen Ländern, dass diese Strafe heute nicht mehr anzuwenden ist.
Das mir bereits in dem Zeit-Artikel und nun auch von Amirpur verdreht in den Mund gelegte Zitat „Vielleicht werden ja tausende Ehen gerettet, wenn einmal in hundert Jahren eine Frau gesteinigt wird?“ bezieht sich auf die Frage nach der Motivation von Menschen, die diese Strafe tatsächlich vollziehen. Es hätte daher ergänzt werden müssen mit „....aus der Sicht derer, die solches tun.....“ Meine Suche nach Verstehen und Erklärung beinhaltete aber keineswegs Billigung noch gar Befürwortung der Steinigung.
In einigen Ländern werden Körperstrafen heute ganz offensichtlich instrumentalisiert, um Regierungen, die weder im Auftrag, noch im Interesse ihres Volkes handeln, ein „islamisches“ Aussehen zu verschaffen. Von diesen Machenschaften distanziere ich mich entschieden, ebenso wie von Rechtspraktiken, die für Männer und Frauen, Privilegierte und Nicht-Privilegierte, Staatsangehörige und Ausländer etc. unterschiedliches Recht vorsehen, was islamischen Grundsätzen diametral entgegensteht.

Soweit dieser - von der sonst so rechercheeifrigen EMMA ignorierte - Leserbrief. Zu ergänzen wäre noch, dass die Steinigung für in Deutschland und Europa lebende Muslime überhaupt kein Thema ist, evtl. von einer winzigen Minderheit mit extremen Ansichten abgesehen. Die von mir während des Interviews geäußerte Forderung, dass sich muslimische Theologen und Gelehrte dringend mit dem Thema Steinigung befassen müssen, wird auch von namhaften muslimischen Persönlichkeiten erhoben. Bis zu einer Klärung dieser Frage kann und muss die Steinigung nach meiner Überzeugung durch ein Moratorium ausgesetzt werden.

EMMAs zentrales, schon in zahlreichen früheren Heften verfolgtes Anliegen besteht darin, Verbindungslinien zwischen einer am Islam orientierten Denk- und Lebensweise, wie sie z.B. im Tragen eines Kopftuches zum Ausdruck kommt, und einer reaktionären, Grundgesetz und Menschenrechte missachtenden, subversiven Gesinnung - bis hin zu Fanatismus und Terrorismus - zu konstruieren. Dabei bilden muslimische Lehrerinnen, die mit Kopftuch unterrichten (wollen), die wichtigste Zielscheibe: "Sie kämpfen ... erbittert um das Recht auf das Kopftuch in der Schule", heißt es dazu im aktuellen Heft. Statt Frauen zu ermutigen und unterstützen, wenn sie sich mit legalen Mitteln für ihre Rechte einsetzen, werden sie als für ein mittelalterlich-repressives Frauenbild kämpfende Glaubensfanatikerinnen diffamiert. Ob es den EMMA-LeserInnen wohl auffällt, dass deutsche Frauen nach diesem Verständnis vom Kampf um die eigenen Rechte gewiss heute noch kein Wahlrecht hätten und ihre Ehemänner um Erlaubnis fragen müssten, wenn sie berufstätig sein möchten?

Über die Glaubensüberzeugungen, Lebensweisen und politischen Einstellungen von MuslimInnen deutscher und nichtdeutscher Herkunft und insbesondere von Kopftuch tragenden MuslimInnen gibt es bisher kaum empirisch abgesicherte Erkenntnisse. Was an Forschungsergebnissen vorliegt, deutet allerdings in eine den EMMA-Behauptungen entgegengesetzte Richtung. Das wird auch durch eine brandneue Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung bestätigt, wonach 90 % der befragten Kopftuch tragenden Musliminnen eine positive Einstellung zu Demokratie und beruflicher Selbstverwirklichung äußerten (islam.de berichtete) Mögen diese Ergebnisse Augen und Ohren der politisch Verantwortlichen, der JournalistInnen und der deutschen Öffentlichkeit im allgemeinen erreichen! Nur so können wir endlich jenseits aller Verdächtigungen und Denunziationen gemeinsam die vielen Aufgaben in Angriff nehmen, die zur Gestaltung einer friedlichen, gerechten und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller und religiöser Prägung bejahenden Gesellschaft vor uns liegen. (Die Autorin ist Grundschullehrerin in NRW)