Dienstag, 08.08.2006
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
mit einer Mischung aus Erstaunen und Freude haben wir - eine Gruppe von Lehrerinnen und Lehramtsstudentinnen - Ihren "Aktionsplan Integration" gelesen.
Insbesondere der Punkt 8, in dem Sie die Absicht der Landesregierung verkünden,
· bei den Schulen verstärkt dafür zu werben, Bewerber/innen mit Zuwanderungsgeschichte anzusprechen und
· Abiturienten/innen mit Zuwanderungsgeschichte zum Lehramtsstudium zu ermuntern
hat uns gefreut und hoffnungsvoll gestimmt.
Endlich haben Sie die Vorteile ins Blickfeld genommen, die wir Ihnen schon seit geraumer Zeit immer wieder aufgezählt haben:
· Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte nehmen eine wichtige Mittlerfunktion zwischen Schülern, Eltern und Lehrern in- und ausländischer Herkunft wahr.
· Sie sind daher prädestiniert, das zu unterstützen, was in einer pluralistischen Gesellschaft wie dieser, erklärtes Ziel der Schule sein muss: das Vorleben von tolerantem Miteinander auf der Basis von Respekt und auf gleicher Augenhöhe.
Leider währte unsere Freude und Hoffnung nicht lange.
Zwar wurde im Rahmen der Berichterstattung zum Aktionsplan Integration beklagt, dass gerade einmal 75 Lehramtstudenten pro Jahr diese gewünschten Voraussetzungen erfüllen. Logische Konsequenzen wurden daraus jedoch nicht gezogen. Logisch wäre gewesen, wenn die Landesregierung sich angesichts dieses Mangels daran erinnert hätte, dass es bereits seit über 20 Jahren Lehrkräfte in NRW gibt, die den angepriesenen Weg (als Studentinnen) schon erfolgreich eingeschlagen bzw. als Lehrerinnen längst hinter sich gebracht haben - übrigens ohne Aufforderung durch die Politik, allein getragen von der Motivation, etwas für die Kinder mit Migrationshintergrund und damit auch für diese Gesellschaft zu leisten. Dass die Landesregierung diese Lehrerinnen jedoch nicht etwa als gelungenes Beispiel für die zukünftigen Lehrkräfte erwähnt, sondern sie lieber tot schweigt, hat einen ganz konkreten Grund: ein Großteil von ihnen wurde gerade durch das Kopftuchgesetz mit einem Berufsverbot belegt. Gleichzeitig wurde damit allen Lehramtsstudentinnen mit Kopftuch signalisiert, dass ihre Mittlerfunktion nicht gewünscht wird, dass man auf ihre interkulturellen Kompetenzen verzichtet, solange man ihnen äußerlich ansieht, dass sie Muslime sind.
Wir fordern Sie, Herr Ministerpräsident Rüttgers, auf, die Konsequenzen aus den vollmundigen Erklärungen des Aktionsplans Integration umzusetzen und als ersten Schritt das Kopftuchverbot rückgängig zu machen oder wieder in die bisherige Einzelfallprüfung umzuwandeln, damit die betroffenen Lehrerinnen ihre jahrelange erfolgreiche Arbeit fortsetzen können. Damit würde Schulleitern, Kollegien, Schülern und Eltern, die den "Rausschmiss" bewährter Lehrerinnen nicht nachvollziehen können und als Unrecht empfinden, eine Situation erspart, die gewachsene zwischenmenschliche Beziehungen einer Zerreißprobe aussetzt und die zur strukturell erzwungenen Umsetzung gefühlten Unrechts zwingt und damit tatsächlich den Schulfrieden stören wird.
Die Rücknahme dieser diskriminierenden Vorschrift wäre auch der beste Beweis für junge Muslime in dieser Gesellschaft, dass die Ausgrenzungspolitik endlich ein Ende hat.
Auf der CDU-Web-Seite zur Werbung neuer Mitglieder findet sich für das Jahr 2006 ein neuer Slogan: "Gemeinsam für Deutschland". Mit diesem Slogan will die CDU nach eigenem Bekunden "Brücken bauen zwischen verschiedenen Einstellungen und Vorstellungen, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen Freiheit und Gemeinschaft, zwischen Leistung und Sicherheit." Wir fordern Sie auf: Halten Sie Wort, lassen sie nicht nur diejenigen mitwirken, die Ihnen nach Aussehen, Religion und Herkunft genehm sind - wir waren in der Vergangenheit dazu bereit, einen konstruktiven Beitrag zu dieser Gesellschaft zu leisten und sind es auch jetzt noch.
Mit freundlichen Grüßen,
die Frauen der ISGG
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Die ISGG ist eine Interessengemeinschaft muslimischer Lehrerinnen, Referendarinnen und Lehramtstudentinnen in NRW, der sich auch einige Kopftuch tragende Kolleginnen aus anderen Bundesländern angeschlossen haben.
Wir haben uns zusammengefunden, nachdem von staatlicher Seite die Definitionshoheit über die Aussage des Kopftuches übernommen, es als politisches Symbol gebrandmarkt und daraus resultierend ein Berufsverbot über uns verhängt wurde. Die Betrachtung des Kopftuches als politisches Symbol steht nicht nur im Widerspruch zu unserer Auffassung, sondern auch zu der der muslimischen Verbände, die in einer gemeinsamen Erklärung vom 21. April 2004 unmissverständlich dargelegt haben, dass das Kopftuch als Teil der islamischen Bekleidung einem rein religiösen Gebot folgt und kein politisches Symbol ist. Der Grund dafür, dass es muslimische Frauen mit und ohne Kopftuch gibt, erfolgt aus ihrem eigenen Entschluss, dieses Gebot für sich selbst umzusetzen - oder auch nicht. (So wie jeder Christ für sich selbst entscheidet, ob er sich an die 10 Gebote hält oder nicht.) Dieses unterschiedliche Verhalten innerhalb der muslimischen Gemeinschaft dokumentiert die ernsthafte Umsetzung des islamischen Prinzips "Kein Zwang im Glauben" und für die von den Muslimen akzeptierte Vielfalt unterschiedlicher Lebenskonzepte, auch der muslimischen Frauen.
Wir nehmen für uns nicht mehr, aber auch nicht weniger in Anspruch, als das, was für andere Frauen dieser Gesellschaft auch gilt: Beurteilt uns nach unseren Taten, nicht nach unserem Aussehen und nehmt endlich Abstand von der unerträglichen Bevormundung, die uns weismachen will, dass alle, außer uns selbst wissen, was das Richtige für uns ist.