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Dienstag, 25.07.2006

NahOst-Krieg: „Moderner“ gegenseitiger Vernichtungswille bestimmt das politische Denken und die politische Substanz - Von Andreas Abu Bakr Rieger

Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul hat dem in Berlin erscheinenden „Tagesspiegel am Sonntag“ mitgeteilt: „Dass mittlerweile zivile Einrichtungen und Zivilisten in einem anderen Staat bombardiert werden, ist völkerrechtlich völlig inakzeptabel“. Von ihrem Schreibtisch in Berlin aus forderte die SPD-Politikerin die israelische Regierung auf, „alles zu tun, die Zivilbevölkerung zu schützen“. Kurzum, die Politikerin gehört zu denjenigen, die angesichts asymmetrischer Opferzahlen und dem Leid der Bevölkerung auf beiden Seiten die Verhältnismäßigkeit der Aktionen anmahnen.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns ist das Merkmal des Rechtsstaats. In Friedenszeiten schießt ein Staat nicht mit Kanonen auf Spatzen. In Israel herrschen aber der permanente Ausnahmezustand und damit andere Regeln. Auch in anderen Teilen der Welt fragt man sich, ob der Zweck „Terrorismusbekämpfung“ alle Mittel heiligt, gar selbst zum „Terror“ wird. Das Problem ist die zunehmende Relativierung des Rechts, auch des Kriegsrechts. Im Kampf gegen den Terrorismus gilt globales Ausnahmerecht. Die Strategie des kurzen Prozesses zerstört auch ein Dorf, wenn sich ein wichtiger Terrorist dort verbirgt.

David oder Goliath? Die israelische Armee zählt zu den bestausgerüsteten im Nahen Osten und gilt weltweit als eine der schlagkräftigsten. Für sein Militär kann Israel in diesem Jahr umgerechnet 7,8 Milliarden Dollar aufwenden. Als sicher gilt, dass Israel über nahezu 200 selbst gebaute Atombomben verfügt, die mit „Jericho“-Raketen bis zu 1.500 Kilometer weit ans Ziel gebracht werden können. Die ideologischen Gruppen im Nahen Osten müssen auch deshalb, angesichts der militärischen Machtverhältnisse, ihre absolut erfolglose militärische Taktik religiös verklären.

Die Kriegshandlungen scheinen gut durchdacht. Der eigentliche Kriegsgrund ist wie bei vielen anderen Kriegen eher lapidar. Israel will die Gelegenheit nützen, dem sowieso tief gespaltenen Libanon die Hizbullah endgültig madig zu machen. Viele Alliierte hat die Revolutionstruppe, die sogar offizielle Regierungsmitglieder stellt, auch in der islamischen Welt nicht. Saudi-Arabien macht die Hizbullah selbst für die jüngste Eskalation verantwortlich, und vielen Muslimen ist die iranische Außenpolitik durchaus suspekt (die stärkste Lobby des Iran in Deutschland ist natürlich die deutsche Wirtschaft).

In Deutschland wird die Debatte, soweit sie überhaupt aufkommt, wie immer scharf geführt. Fast immer wird dabei unterstellt, dass man für eines der beiden politischen Lager Sympathien haben müsse. Es gibt aber natürlich eine dritte Position, die sich der Logik der geistigen Mobilmachung für beide Seiten entzieht. Die israelischen Angriffe auf den Libanon maßlos zu finden, heißt natürlich nicht im Umkehrschluss, Sympathie für die trostlose Ideologie der Hizbullah zu haben. Ganz zu schweigen von der natürlichen Abscheu, die uns angesichts des Nihilismus der Selbstmordattentate ergreift.

Auf beiden Seiten droht der „moderne“ gegenseitige Vernichtungswille, das politische Denken und die politische Substanz zu bestimmen. Aus islamischer Sicht ist die tragende Idee der Ideologie, nämlich die absolute Politisierung des Seins, bis hin zur Taktik der totalen Kriegsführung, völlig inakzeptabel. Der Islam wahrt das Maß. Es könnte nicht offener zu Tage treten: Weder Hamas noch Hizbullah haben dem leidenden palästinensischen Volk Fortune gebracht. Auch dieser einfache Fakt steht gegen die arrogante Anmaßung, hier handle es sich um „Parteien“ Gottes. (Mit freundlicher Genehmigung der IZ, Erstveröffentlichung 25.07.06. Abu Bakr Rieger ist u.a. Herausgeber der Islamischen Zeitung)