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Mittwoch, 07.06.2006

Warnung vor falschen Freunden - Von Irmgard Pinn und Aiman A. Mazyek

Über "Solidaritäts-Allianzen" mit Personen und Gruppierungen, die unter dem Vorwand, Befreiungskämpfe für Irak und Palästina zu unterstützen, Lügen und Hass verbreiten sowie Muslime gegeneinander aufhetzen

Im Internet finden sich zahlreiche Webseiten, Foren und Mailinglisten zur Verbreitung von Informationen über die Situation im Irak, in Palästina und anderen muslimischen Ländern, die in den offziellen Medien und in der Politik zu kurz kommen oder gänzlich verschwiegen werden. Außerdem dienen sie der Vernetzung von Gegnern der amerikanischen Hegemonialansprüche im Nahen Osten sowie der israelischen Besatzungspolitik. Viele Betreiber bemühen sich, diese Aufgaben - trotz eigener Parteilichkeit - ehrlich, gerecht und mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens zu erfüllen. Andere dagegen, insbesondere extremistische Splittergruppen unterschiedlichster Richtungen (z.B. das Iraq News Network), benutzen das Internet, um unter dem Etikett "Solidarität mit den Entrechteten und Unterdrückten" rassistisches, nationalsozialistisches, antisemitisches oder den Islam als Hass- und Gewaltideologie mißbrauchendes Gedankengut zu verbreiten.

Es ist nicht leicht, sich in diesen Webseiten, Foren und Mailinglisten zurechtzufinden. So liefern sie zwar einerseits durchaus von den Mainstream-Medien unbeachtete oder unterdrückte Informationen und decken manchmal sogar skandalöse Verstöße gegen Menschenrechte, Völkerrecht und humanitäre Grundprinzipien auf, doch ziehen die Absender daraus aufgrund ihres eigenen weltanschaulich-politischen Hintergrunds oft einseitig-radikale, irreführende, teils sogar militante Schlussfolgerungen, z.B. So finden sich auf einer Homepage namens Al-Moharer interessante Insider-Berichte und Kommentare zur aktuellen Situation im Irak, insbesondere auch Einblicke in interne Allianzen und Feindseligkeiten. Um Informationen und Bewertungen adäquat einschätzen zu können, ist es jedoch wichtig zu wissen, daß es sich bei den Betreibern um Baathisten handelt, die für die Rückkehr Saddam Husseins an die Macht kämpfen.

Auf der Al-Moharer-Homepage selbst läßt sich diese Bindung leicht erkennen, nicht aber aus jenen Artikeln und Kommentaren, die aus dieser Quelle über "befreundete" Webseiten und Mailinglisten weiter verbreitetet werden. Vielmehr ist es geradezu charakteristisch, daß der ideologisch-politische Hintergrund von Beiträgen im Dunklen bleibt und daß hier Personen und Organisationen zusammentreffen, die normalerweise nichts miteinander zu tun haben (wollen) bzw. sich sogar gegenseitig anfeinden: aufrichtige Friedensaktivisten und Anti-Imperialisten, Kommunisten, Saddam-Hussein-Anhänger, Neonazis usw., wobei manche unter Pseudonym agierenden Autoren bzw. Diskussionsteilnehmer den Gedanken an Infiltration und Provokation nahe legen.

Letztlich geht es vielen jedenfalls nicht um Gerechtigkeit und Frieden im Nahen Osten, sondern darum, Sympathisanten oder Mitstreiter für ihren eigenen weltanschaulichen und politischen Kampf anzuwerben. Einigendes Band ist ein mehr oder weniger aggressiver Antisemitismus, der von den beteiligten Alt- und Neonazis (insbes. von in den USA ansässigen Holocaust-Leugnern und Revisionisten) gerne mit "Beweismaterial" aus der NS-Ideologie bedient und weiter angefacht wird. Exemplarisch zeigt sich das auf einer dem "Proletariat" gewidmeten Mailingliste. Hier treffen sich der militante irakische Widerstand und namhafte Antisemiten, z.B. mit einem Solidaritätsaufruf für den nach Deutschland ausgelieferten Holocaust-Leugner Ernst Zündel. Der in den USA lebende Nationalbolschewist Constantin von Hoffmeister beklagt Hitlers Verrat am Sozialismus bzw. an Stalin und der bekannte "Gaskammer-Experte" Robert Faurisson beschwert sich über einen "universalen Bann" der UNO über den Revisionismus (mit einem Quellen-Link zu dem besonders an eine Vernetzung in muslimische Länder interessierten rechtsextremistischen in Australien ansässigen "Adelaide-Instititut"). Erwähnt sei auch der eifrig auf der "Proletariat"-Liste postende Kim Il Sung- und Saddam Hussein-Verehrer John Paul Cupp (North American Commitee Against Zionism and imperialism NACAZAI).

Revisionisten, Kommunisten oder Baathisten versuchen über Webseiten und Mailinglisten, sich mittels einer islamisierten Rhetorik als Vorkämpfer für Interessen und Rechte der Muslime zu profilieren. Im Gegenzug melden sich dort extremistische Muslime zu Wort, die den gemeinsamen Kampf gegen die USA und Israel als islamischen Djihad propagieren und Saddam Hussein zum Helden in diesem Djihad glorifizieren. Auf der "Proletariat"-Liste geschieht dies insbesondere durch eine als "Scheicha" Aeisha Muhammad firmierende Person. In den von ihr über viele Mailing-Listen verbreiteten Aufrufen des "bewaffneten Kampfes" wird Saddam Hussein zum großen islamischen Kämpfer (Mujahedin) und "Vater der Märtyrer" verklärt. Über die Identität dieser mit großem "islamischen" Pathos auftretenden, ansonsten aber offenbar unbekannten Person wird im Internet spekuliert, daß es sich um die Ehefrau des in den USA lebenden Wissenschaftlers Kaukab Siddique handelt, was auf Verbindungslinien zur pakistanischen Jamaat al Muslimen verweisen würde.

Ob und in welchem Ausmaß Muslime und Musliminnen durch diese Kreise angesprochen werden, läßt sich schwer einschätzen. Immerhin gibt es eine gewisse Resonanz, wobei sich manche vermutlich aus voller Überzeugung identifizieren, während es anderen offensichtlich an islamischem Wissen und politischem Durchblick mangelt. Wiederum andere kümmern sich nach dem Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" nicht um die ideologische Basis und die wahren Ziele ihrer "Bundesgenossen", solange ein gemeinsamer Kampf erfolgversprechend erscheint. Schließlich werden diese Netzwerke von militanten muslimischen Extremisten dazu benutzt, Muslime gegeneinander aufzuhetzen. Dabei werden alle, die sich der Autorität ihrer Islam-Auslegung nicht beugen, als "Ungläubige" oder mit den "Ungläubigen" paktierende Verräter diffamiert. So wird der Iran auf der erwähnten "Proletariat"-Liste als Komplize der Zionsten diffamiert, und ein durch Aeisha Muhammad auf dieser Liste verbreiteter Artikel setzt kurzerhand Bush und die US-Regierung sowohl mit christlichen Zionisten als auch mit Schiiten gleich (Quelle: Al-Moharer-Webseite).

Aus der in Deutschland ansässigen muslimischen Community beteiligt sich - soweit bekannt - niemand an solchen Vernetzungen (was u.a. daran liegen mag, daß dort in englischer Sprache kommuniziert wird). Allerdings gibt es einige Hinweise auf Beziehungen zu national-arabischen Gruppierungen, erkennbar z.B. aus Unterstützer-Listen für verschiedene Veranstaltungen des irakischen Widerstands. Davon unabhängig zirkulieren allerdings in letzter Zeit in deutscher Sprache verfasste anonyme Mails durch das Internet, die ein ähnliches wie das oben beschriebene Gedankengut verbreiten (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 13.01.06) Und es ist durchaus davon auszugehen, daß dieses bei einer weiteren Klimaverschlechterung im Zusammenleben von Muslimen mit der einheimisch-deutschen Mehrheitsbevölkerung breitere Resonanz finden könnte. Wachsamkeit und Aufklärung sind daher geboten.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland und islam.de distanzieren sich von solchen Allianzen mit aller Deutlichkeit und warnen zugleich davor, Informationen aus diesen Kreisen blind zu vertrauen oder selbst an deren Verbreitung - in welcher Form auch immer - mitzuwirken. Wie ein Sprecher betont, gilt das "insbesondere für solche Beiträge, deren Verfasser sich als rechtgläubige Muslime oder sogar als islamische Autoritäten ausgeben". Es gäbe, heißt es weiter, genügend aus Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, des Völkerrechts, der Menschenrechte und nicht zuletzt aus dem Islam selbst ableitbare Argumente, um Vertreibungen, Enteignungen, die dauerhafte Besatzung eroberter Territorien und militärische Interventionen zu kritisieren und das Selbstbestimmungsrecht aller Völker einzufordern. Antisemitische und sonstige nationalsozialistische Hetzpropaganda läßt sich dagegen weder mit islamischen Grundsätzen vereinbaren noch ist sie für die Durchsetzung der Souveränität Iraks oder Palästinas von irgend einem erkennbaren Nutzen. Solidaritätsbekundungen weltweit bekannter Holocaust-Leugner, Zitate aus den berüchtigten, längst als Fälschung nachgewiesenen "Protokollen der Weisen von Zion", wie sie z.B. auf der Webseite von "Radio Islam" zum Herunterladen angeboten (und gerne auch von Rechtsextremisten wie dem Informationsdienst "Altermedia" genutzt) werden und ähnliches tragen im Gegenteil dazu bei, Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit vor den berechtigten Forderungen der Iraker und Palästinenser zu verschließen.

Dazu bedarf es einer Gegen-Vernetzung zwischen Muslimen und Personen, Gruppen und Institutionen, die sich kompetent und nicht durch anti-islamische Vorurteile belastet gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren.